Kathrin-Silvia Kunze

Der Kampf der Balinen


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wenn auch nicht mehr ganz so jung. Gut gewachsen, zeichneten sich bei jedem Schritt die Muskeln unter dem Fell ab, als das Tier direkt und ohne Scheu auf Seline zukam. An dem weichen Blick der braunen Augen hatte Seline sofort erkannt, dass es ein Weibchen war. Und es kam ihr vor, als wäre es erst gestern gewesen, als sie dort im Wald zum ersten Mal über das zarte dunkelbraune Fell gestreichelt hatte, so wie sie es auch jetzt tat. Sofort hatte sie damals den rechten Namen für das Tier empfunden. Leela! Und vom ersten Moment an, war es eine echte Verbindung gewesen. Ein Bund fürs Leben. Bei der schönen Erinnerung hatte Seline unbewußt gelächelt. Nun aber holte die Wirklichkeit sie wieder ein und Seline dachte traurig, ich werde das Bündnis auch alleine für uns beide weiter tragen, wenn Leela mich verlässt! In meinem Herzen werde ich es weiter tragen! Und als sie das Zittern ihrer vor Anstrengung völlig verschwitzten alten Freundin spürte, da fühlte Seline sich hilflos und schrecklich allein. Aber sie wusste nicht, dass sie auch jetzt wieder beobachtet wurde. Und auch dieses mal wieder aus einem Dickicht heraus Denn dort war jemand. In der Dunkelheit. Lautlos, heimlich lauschend. Auch aus der Entfernung entging ihm keine Bewegung, kein Wort. Doch dieses Mal war Seline zu gefangen vom Leid ihres Tieres und von ihrem eigenen, um etwas davon zu bemerken. Dort hockte er. In seinem grünen, blattreichen Versteck. Und beobachtete gespannt das hektische Treiben. Du Tor; schollt sich Trismon selber. Das also ist es, was sich hinter der übergroßen Eile der zwei vermummten Gestalten verborgen hat! Trismon war es zutiefst unangenehm, dass er hier so verstohlen im Gebüsch lauerte. Allliebender, durchfuhr ihn der Schreck. Was, wenn ihn hier jemand so sehen würde?! Eine nicht auszudenkende Schande wäre das! Trismon wollte sich schon so leise wie nur irgend möglich abwenden. Da jedoch sah er Tränen auf dem Gesicht der Empathin schimmern. Wieder erschien sie ihm viel zu jung, um jetzt schon das oberste Mitglied des Rates zu sein. Zu zart und zu zerbrechlich für diese gewiss schwere Bürde, war sie. Es rührte ihn, wie sie sich so besorgt um das kranke Tier bemühte. Sie ist ja ganz bestimmt eine gutherzige Frau, räumte Trismon ein. Aber einer der obersten Entscheidungsträger?! Niemals! Und doch ertappte er sich bei dem Gedanken, dass er ihr jetzt gerne dort in ihrer Not beigestanden hätte. Aber er war kein Heiler. So würde er dort also eher stören als nützen. Zumal sich schon genug Helfer um das Tier eingefunden hatten. Und deshalb tat Trismon das einzige, was er hier tun konnte. Er senkte respektvoll den Blick und schlich unauffällig und lautlos davon. Jedoch nicht, ohne zuvor im Stillen den Allliebenden zu bitten, das Leiden des Tieres zu beenden.

      15. Kapitel

      Ein neuer Morgen war angebrochen und hatte die Schatten der vergangenen Nacht hinfort gewischt. Der frühlingshaft, fahlblaue Himmel, war durchzogen von kleinen, zerfetzten Wolkenfäden. Aber das störte die Sonne nicht. Mit ihrer Kraft erwärmten sie den noch jungen Tag und verschenkte ihr Licht an alle. An die grüne Natur ebenso wie an die rote Stadt. Mit ihren freigiebigen Strahlen bedachten sie die Sandsteingebäude, die Tiere in den Gärten und die Einwohner auf den Straßen und Plätzen. Und sie vergaß dabei auch nicht die zwei Männer, die dort unten auf dem Boden so früh schon gewichtige Dinge zu bereden hatten. „Das hier ist unsere Siedlung, NordcumMelan.“ Trismon kniete auf dem Boden und zeichnete mit dem Finger, die Umrisse seiner Heimat in den Sand. „Sie liegt direkt am Meer.“ Er zog oberhalb der Siedlung einen dicken Trennstrich und versetzte dem Bereich darüber durch Wischbewegungen mit seiner Hand ein dunkles Muster. „Zu beiden Seiten der Ansiedlung liegen Wälder. Und in etwa hier“, Trismon drückte mit der Fingerspitze ein Loch in den Boden, „haben wir den unterirdischen Zugang entdeckt!“ Trahil stand direkt neben ihm und sah sich aufmerksam an, was er dort im Sand zu erklären suchte. Trismon hatte diesen alten Mann vom ersten Augenblick an gemocht. Den scharfsinnigen Blick seiner Augen, der durch sein ruhiges und zurückhaltendes Wesen noch betont wurde. Dies alles erinnerte ihn an seinen alten Lehrmeister Mimail. Und obschon Trismon eher als Einzelgänger zu beschreiben war, der gerne alleine blieb und auch seine Gedanken eher für sich behielt, war er mit Trahil schnell vertraut geworden. Und bei einer eher zufälligen Begegnung heute morgen, hatten sie sich bald in ein Gespräch vertieft. Vor allem ging es dabei um die Frage, was das dort unter der Erde eigentlich sein könnte. Mit einfachen Zeichen im Sand versuchte Trismon ihnen beiden nun einen Überblick zu verschaffen. Dabei beeindruckte ihn im Besonderen die schnelle Auffassungsgabe Trahils. Denn die gezielten Fragen des Alten bezogen sich auf Trismons Schilderungen in der gestrigen Ratsversammlung und damit auf nur einmal Gehörtes. Und doch hätte man meinen können, auch Trahil hatte das unterirdische Gebäude selbst schon einmal gesehen. Er hat ein sehr ausgeprägtes Vorstellungsvermögen, lobte Trismon ihn im Stillen. Und er blickte zu ihm auf, fast so, wie einst zu seinem Lehrmeister. Trahil lächelte hinab und fragte in seiner ihm eigenen, wohltuend besonnenen Art: „Könntest du versuchen wiederzugeben, an was du dich in dem Raum dort unten erinnern kannst?! Einzelheiten, die dir jetzt womöglich noch unwichtig erscheinen. Sie könnten uns helfen zu verstehen, wozu dieses unterirdische Bauwerk dienen soll!“ Trismon schürzte nachdenklich die Lippen. „Wie schon gesagt, es war alles in dieses dunkle rote Licht getaucht, das die Gegenstände viel eher verhüllte, als sie zu erhellen.“ Trismon legte die Stirn in Falten und blickte für kurze Zeit in die Ferne. So als würde er dort noch einmal sehen können, was sich an jenem schicksalhaften Tag ereignet hatte. Dann wandte er sich wieder der Zeichnung auf dem Erdboden zu und fuhr mit dem Finger durch den warmen, roten Sand. Hier ein Strich, dort eine Schraffur und schon entstand der rätselhafte Ort vor den Augen der zwei Männer noch einmal. Während er den Erdboden bemühte, gab Trismon zu jedem der gezeigten Gegenstände eine Erklärung ab. „Alles war voll seltsamer schrankähnlicher Gebilde. Sie hatten in sich Lichter in vielen verschiedenen Farben. „In sich?“, fragte Trahil nach, um sicherzugehen, dass er sich hierbei nicht verhört hatte. „In ihnen leuchtete es immer wieder auf, in unterschiedlichen Farben!“, nickte Trismon, der die Nachfrage des Alten nur zu gut verstehen konnte. Dann legte Trismon wieder die Stirn in Falten, in dem Versuch das Unerklärliche begreiflich zu machen. „Es gab dort ein grollendes, an- und abschwellendes Geräusch, das über allem schwebte und auch über den Boden zu kriechen schien. Und dabei immer dieser seltsam flackernde, dunkelrote Halbschatten.“, flüsterte Trismon plötzlich in sich gekehrt und mehr zu sich selbst. Trahil schauderte und brachte nur ein unschlüssiges, nachdenkliches Seufzen hervor. Wie gestern, so wusste er auch jetzt nicht, ob er von Trismons Erzählung begeistert oder doch eher beängstigt sein sollte! Wohl beides zugleich, entschied er sich dann aber letztendlich und wandte sich wieder an Trismon. „Und du behauptest, die Wände am Eingang seien viele Armlängen dick gewesen?“ Trismon sah wieder zu ihm auf und nickte. „Es brauchte etwa drei volle Schritte, um den Eingang zu durchqueren.“ Dann blickte Trismon wieder fort und fügte etwas unsicher hinzu: „Und ich glaube, da war noch eine weitere Tür. Auch wenn ich nicht weiß, wie oder warum, aber diese Tür steckte in der Wand! Man konnte nur ein kleines Stück von ihr erkennen.“ Dann blickte er wieder zu Trahil auf und sah ihm bei den nächsten Worten fest in die Augen. „Und dieses Türstück zuckte! Also, es bewegte sich immer vor und zurück.“ Trahil schluckte schwer, denn der offene Blick des anderen zeigte ihm, dass hier die volle Wahrheit ausgesprochen wurde. Doch sein Geist wehrte sich gegen solch unnatürliche Geschehnisse. Deshalb hielt er sich hartnäckig an dem Gedanken fest, dass ein jeder sich irren kann, vor allem in solch einer extremen Situation! Trismon sah den ungläubigen Blick des Alten und warf abwehrend die Arme in die Luft, als er sprach: „Und frag mich jetzt nicht, aus welchem Material diese Tür war. Denn Holz war es ganz sicher nicht!“ Trahil wollte die Stimmung des jungen Mannes aufhellen und antwortete lächelnd: „Na siehst du! Zumindest das ist jetzt schon mal sicher!“ Trismon blickte zu ihm auf und lachte. Dann kehrte Trahil wieder zurück zu der Frage, was dort in NordcumMelan unter der Erde nur sein konnte. „Allein solch dicke Wände finde ich schon merkwürdig genug! Und Trahil schüttelte den Kopf, als er fortfuhr: „Selbst als Schutz vor rauem Wetter, wie es dort oben bei euch sicher vorherrschen mag, scheint mir dieser Aufwand übertrieben!“ Trismon lächelte bei der Erwähnung seiner Heimat und erinnerte sich an die langen, dunklen, kalten Winter dort, als er antwortete: „Unsere Vorratsgruben legen wir jedenfalls ein bisschen weniger sorgfältig an, falls du das meinst.“ Die beiden Männer grinsten sich an. Nach einem Augenblick des vertrauten Schweigens, wand sich Trismon wieder an Trahil, blickte zu ihm auf und fragte mit gedämpfter Stimme: „Meinst du, dort sollte etwas so versteckt werden, das Niemand es finden kann?“ „Möglich wäre es!“, antwortete der Alte. „Aber was wurde versteckt? Und vor