weiß, welchen Beruf du ausübst, aber die Tatsache, dass du dich mitten in der Nacht meldest, lässt nichts Gutes ahnen.«
»Ich bin froh, dass du dran bist und nicht Valerie«, sagte Knud. »Ich hätte nicht gewusst, wie ich es ihr sagen sollte.«
»Nun mach’s nicht so spannend. Was ist den passiert?«
»Tina ist tödlich verunglückt.«
»Oh … Das sind wirklich außergewöhnlich schlechte Nachrichten«, sagte Hinnerk und fasste seine langen Haare mithilfe eines Gummis zum Zopf zusammen, indem er das Telefon zwischen Schulter und Kinn hielt.
»Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich anrufe. Tina hatte auf der Stadtautobahn einen Unfall, in den mehrere Fahrzeuge verwickelt waren. Ausgelöst wurde er, weil jemand eine Leiche von der Brücke geworfen hat. Die müsst ihr euch unbedingt ansehen. Kannst du gleich herkommen, am besten ohne Valerie?«
»Ja, natürlich. Ich bringe Heiko mit.«
»Alles klar. Die Spusi ist schon vor Ort. Ihr müsst zu der Ausfahrt Alboinstraße kommen. Da hier alles gesperrt ist, wird es nicht leicht sein, durchzukommen.«
»Das schaffen wir schon. Also, bis gleich!«
Hinnerk drückte das Gespräch weg und wählte sogleich Heiko Wielands Nummer.
Der neue Kollege aus Wiesbaden, der den Posten von Lars Scheibli eingenommen hatte, weil dieser mit seiner Familie zurück ins „Ländle“ gezogen war, wurde von Valerie heimlich „Heike“ genannt. Aus einer Ahnung heraus. Und Valerie hatte einen Blick für derlei Angelegenheiten.
»Ja, was’n los?«, meldete sich Heiko verschlafen.
»Es gibt Arbeit, Kollege. Schwerer Unfall auf der A100 mit unbekannter Leiche. Ich hole dich gleich ab, okay?«
»Ja, wenn ich mir vorher noch die Hose anziehen kann …«
»Wenn’s sein muss. Also, bis dann!«
Heiko strich sich durch seine blonden Locken und gähnte herzhaft.
»Ich hoffe, das wird kein Dauerzustand, dass man dich nachts aus den Federn holt«, sagte Fabian Jansen, ein gutaussehender dunkelhaariger Mann, der derzeitige Lebensgefährte von Heiko und Grund, warum dieser überhaupt nach Berlin gewechselt war.
»Das hast du nun davon. Hättest mich ja nicht in die Hauptstadt locken brauchen, sondern mich im beschaulichen Wiesbaden lassen können.«
»Ich habe aber keine Lust auf eine Wochenendbeziehung. Und wie wir beide wissen, gab es noch andere Gründe für deinen Umzug.«
»Das ist wahrlich kein Thema für diese frühe Morgenstunde. So, ich muss jetzt los.«
Heiko, der sich blitzschnell angezogen hatte, gab Fabian einen Kuss auf den Mund.
»Und mach keine Dummheiten«, rief er im Hinausgehen. »Die Hände bleiben über der Bettdecke!«
»Du gönnst mir aber auch wieder gar nichts.«
Hinnerk war froh, dass Valerie keine Fragen gestellt hatte. Das peinliche Thema würde es ohnehin noch spätestens zum Frühstück zu erörtern geben. Wie sollte er ihr nur beibringen, dass ihre ehemalige Geliebte nicht mehr am Leben war? Die beiden waren zwar die letzten Jahre nur noch freundschaftlich verbunden gewesen, und Tina hatte sich mittlerweile mit Staatsanwältin Ingrid Lindblom getröstet … Ach, du lieber Himmel. Der Staatsanwältin musste es ja auch jemand schonend beibringen … Doch das sollten andere tun. Das war wahrlich nicht seine Aufgabe, dachte Hinnerk. Wenigstens hatten jetzt die gelegentlich auftretenden Eifersüchteleien ein Ende. Das einzig Positive an der Tragödie.
Heiko stand schon vor der Haustür, als Hinnerk ankam, sodass sie gleich weiterfahren konnten.
»Ich gehe davon aus, dass es sich bei der unbekannten Leiche um einen Tötungsdelikt handelt«, sagte Heiko. »Andernfalls hätte man uns wohl nicht informiert.«
»Scharf kombiniert. Rechtsmediziner Knud hüllt sich zwar bisher in Schweigen, meint aber, wir müssten uns die Leiche ansehen.«
»Warum hat sich Knud bei dir gemeldet und nicht Tina Ruhland? Hat sie heute Nacht keinen Dienst?«
»Nein, dabei hätte ihr das das Leben gerettet. Sie ist nämlich eins von den Opfern.«
»Scheiße, jetzt verstehe ich, warum du mich mitnimmst und nicht Valerie. Weiß sie es schon?«
»Nein, bisher nicht. Zum Glück hat sie sich nicht im Schlaf stören lassen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«
Mit einigen Schwierigkeiten und nur unter Zuhilfenahme ihrer Dienstausweise war es ihnen gelungen, zur Unfallstelle zu gelangen. Knud winkte ihnen zu und deutete zur Brücke hinter ihnen.
»Hallo, ich bin noch ganz geschockt von den Ereignissen«, sagte er. »Manfred Hoger und die anderen von der KTU versuchen gerade, oben am Brückengeländer und auf der Straße irgendwelche Spuren zu sichern.«
»Demnach hat man die Leiche von oben heruntergeworfen«, stellte Hinnerk fest.
»Ja, sie ist auf dem Dach des Fahrzeugs gelandet, in dem Tina als Beifahrerin saß. Das war bestimmt nicht so geplant. Ich meine – die Dachlandung. Vielmehr sollten wohl sämtliche Spuren an der Leiche verwischt werden, indem sie mehrfach überfahren würde. Bei der Karambolage ist sie vom Dach geschleudert worden und blieb deshalb relativ unversehrt. Kommt, schaut sie euch an!«
Knud führte Hinnerk und Heiko zu der bewussten Stelle, lüpfte die Plane und zeigte auf die Stichverletzungen.
»Das nennt man Übertöten«, sagte er. »Die dreißig Stiche wären nicht alle tödlich gewesen, aber einige davon. Der Täter muss wie im Rausch gehandelt haben oder unter Drogeneinfluss. Aber es muss Helfer gegeben haben. Auf der Brücke sind mindestens zwei Personen gesehen worden.«
»Dann gibt es also eine Personenbeschreibung?«, fragte Heiko.
»Leider nicht. Sie waren schwarz vermummt. Auch über das Fahrzeug gibt es widersprüchliche Angaben. Die reichen vom dunklen Kombi bis zum normalen, hellen Pkw. Wahrscheinlich hat niemand so genau auf das Fahrzeug geachtet. Habt ihr einen Blick auf die Beine des Opfers geworfen?«
Knud schob die Plane noch etwas weiter nach unten.
»Seht ihr das?«
»Ja, sie hat Verletzungen an den Oberschenkeln. Sieht aus wie ein Muster. Moment mal, das erinnert mich an ein Pentagramm«, sagte Hinnerk.
»Genau, ein fünfeckiger Stern mit einem Kreis herum. Im Altertum wurde es als Zeichen des Lebens und der Gesundheit verwendet. Im und nach dem Mittelalter diente es der katholischen Kirche als Abwehrzeichen gegen Dämonen und Druden, denn es stellte auch die fünf Wunden Jesu Christi dar. Bei diesem hier handelt es sich um einen sogenannten Drudenfuß, denn es steht auf dem Kopf. Es ist vermutlich das bekannteste Symbol der Magie und der Mystik. Heutzutage wird es in der Hauptsache als satanistisches Zeichen wahrgenommen.«
Hinnerk pfiff leise durch die Zähne.
»Da hat wohl jemand nicht so gespurt wie erwartet. Es könnte sich um eine Bestrafung handeln.«
»Aber warum die Mühe? Man hätte sie doch einfach irgendwo vergraben können. Zum Beispiel im eigenen Garten«, meinte Heiko.
»Das ist wie bei Hunden«, antwortete Hinnerk, »das eigene Revier wird sauber gehalten. Und im Wald vergraben war ihnen wohl zu riskant. Da ist die Anonymität der Hauptstadt schon sicherer. Wenn alles gut gegangen wäre, hätte jeder geglaubt, eine unglückliche junge Frau habe ihrem Leben freiwillig ein Ende gesetzt, indem sie von der Brücke gesprungen ist.«
»Hatte sie Papiere oder ein Handy dabei?«
»Nein, nichts.«
»Dann gilt es, die Vermisstenkartei zu durchforsten. Falls sie überhaupt jemand vermisst. Ich fürchte, da kommt ein schönes Stück Arbeit auf uns zu.«
»Nun,