Dietrich Novak

Böse Mächte


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und eine DNA Analyse durchgeführt.«

      »Gut, dann werden wir bald wissen, um wen es sich handelt. Dann hat man sie also betäubt, bevor man sie umbrachte?«

      »Nicht unbedingt. Sie kann das Gift auch freiwillig genommen haben. Im Mittelalter hat man den Eisenhut auch in Hexensalben verarbeitet. Die Alkaloide der Nachtschattengewächse wirken auf das Zentralnervensystem und brachten den vermeintlichen Hexen angenehme Träume und Halluzinationen. Das Aconitin erregt zuerst die sensiblen Nervenenden in der Haut, anschließend lähmt es sie aber. Bewegungsunfähig kann sie durchaus ihren Tod miterlebt haben.«

      »Dann ging es also tatsächlich um rituelle Praktiken«, sagte Valerie.

      »Durchaus anzunehmen. Erst nahm man ihr die Angst und dann das Leben. Die Frau muss auch über längere Zeit gehungert haben. Dabei bildet der Körper vermehrt Aceton. Diesen stechenden Geruch, der an Nagellackentferner erinnert, konnten wir feststellen.«

      »Danke, dann warten wir auf den schriftlichen Bericht. Jetzt würde ich gerne zu Tina gebracht werden.«

      »Natürlich. Du nimmst mir nicht übel, wenn das eine neue Kollegin macht?«

      »Was denn, gibt es etwa schon Ersatz für Tina?«

      »Die ganze Arbeit muss schließlich auch zukünftig gemacht werden. Ich bin sogar froh, dass die Stelle nicht gestrichen wurde.«

      Stella Kern stellte sich als eine außerordentlich hübsche und sensible Frau heraus. Ein wenig erinnerte sie Valerie sogar an die junge Tina, obwohl sie eine ganz andere Haarfarbe hatte. Kein Außenstehender hätte wohl auf Anhieb ihren Beruf erraten. Valerie geißelte sich sogleich innerlich für die Abschätzung der Gerichtsmedizinerin, aber durch den bevorstehenden, schweren Gang waren ihre Sinne geschärft, und sie nahm jede Kleinigkeit wahr.

      »Guten Tag, ich bin die Neue«, sagte sie mit melodischer Stimme. »Auf gute Zusammenarbeit, Frau Hauptkommissarin.«

      »Ja …«, stotterte Valerie.

      »Ich lasse Sie dann mal allein«, sagte Stella Kern, nachdem sie Tinas Leiche aus dem Kühlfach gezogen und abgedeckt hatte.

      Valerie sah in das blasse Gesicht von Tina und konnte ihre Tränen nicht zurückhalten.

      »So muss es also mit uns zu Ende gehen«, flüsterte sie, als könne Tina sie hören. »Dabei hättest du noch viele schöne Jahre vor dir gehabt. Verzeih mir, dass ich dir nicht mehr Zeit geschenkt habe. Aber du wirst für immer in meinem Herzen bleiben.«

      Wie lange Valerie in stillem Zwiegespräch verweilt hatte, hätte sie anschließend nicht sagen können. Aber irgendwann kam Stella umarmte Valerie vorsichtig und führte sie sanft weg.

      »Kommen Sie, Frau Voss. Sie haben Sie sehr gemocht, nicht wahr? Ich hörte, sie war auch unter den Kollegen sehr beliebt.«

      Valerie nickte stumm.

      Friedrichshagen lag in tiefem Schlummer, als drei schwarz gekleidete Personen den Zaun des evangelischen Friedhofs erklommen. Sie benutzten nicht den Haupteingang in der Aßmannstrasse, sondern den in der Peter-Hille-Straße, weil der Zaun dort niedriger war.

      Vidar war vor Aufregung ganz still, denn er fürchtete sich nicht nur vor der Mutprobe. Es war auch durchaus möglich, dass man sie entdeckte. Delano hatte verfügt, dass Vidar von Sirona und Finbar begleitet wurde. Da Vidar im Keltischen „Waldkrieger“ bedeutet, würde Sirona als die keltische Göttin der Jagd und des Waldes gut passen, feixte er. Nur Finbar – „Der Blonde“ oder “blondes Haupt“ – passte nicht ganz dazu. Doch der hatte nach einigem Ungehorsam etwas gutzumachen.

      Zielsicher steuerten sie auf eines der frischen Gräber der letzten Tage zu. Vidar und Sirona räumten die Kränze und Gestecke beiseite, und Finbar begann, den provisorischen Erdhügel abzutragen. Dann schaufelte er tiefer, bis der Spaten dumpf auf dem Holz des Sarges aufstieß. Danach löste er die Schrauben des Deckels und klappte diesen auf.

      Vidar betrachtete schaudernd das eingefallene, fahle Gesicht des alten Mannes, dessen knochige Hände über der Brust gefaltet waren. Denn er wusste, dass die Probe darin bestand, es mindestens eine Viertelstunde neben der Leiche in totaler Finsternis auszuhalten.

      »So, du kannst dich niederlegen, und ich schließe den Deckel«, sagte Finbar. »Und denk daran, was du noch zu erledigen hast.«

      In der Enge des Sarges mit der Leiche halb unter sich befielen Vidar sogleich Beklemmungen. Er überstand die Zeit nur, indem er autogenes Training zu Hilfe nahm und sich in eine Art Dämmerzustand versetzte. Als der Deckel wieder geöffnet wurde, rang er nach Atem und würgte heftig. Doch dann holte er eine Knochensäge aus der Tasche und begann die linke Hand der Leiche abzutrennen. Nachdem ihm das gelungen war, steckte er das grausige Relikt in eine Tüte und warf diese im hohen Bogen über den Grubenrand. Die Schließung des Sargdeckels war wie eine Befreiung für ihn.

      Finbar half Vidar aus der Grube, und sie begannen sogleich, das Erdreich zurück zu schaufeln. Zuletzt legten sie die Kränze und Gestecke auf den nicht besonders hohen Hügel. Wenn sie sich die Mühe gemacht hätten, mittels eines Handyfotos die alte Ordnung herzustellen, wäre ihre Tat womöglich unentdeckt geblieben. Aber ihre schlampige Vorgehensweise sollte am nächsten Tag sogleich auffallen und hohe Wellen schlagen. Dass davon nichts in die Presse gelangte, geschah aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen und um nicht noch mehr Verbrecher anzulocken.

      Anerkennend klopfte Finbar Vidar auf die Schulter.

      »Gut gemacht, Bruder. Der Meister wird zufrieden sein«, sagte er leise. »Jetzt lasst uns abhauen, bevor noch jemand kommt!«

      Sirona war nur allzu froh, den Heimweg antreten zu können. Erleichtert atmete sie auf, als sie alle unerkannt im Wagen saßen. Ihre Gedanken behielt sie lieber für sich. Eine Grabschändung war nicht gerade ein Kavaliersdelikt, wenn auch nicht zu vergleichen mit einer rituellen Opferung. Nur das eine war im Rausch und in mystischer Verzückung geschehen, und das andere bei vollem Bewusstsein. Nein, sie wollte keine Priesterin werden, dachte Sirona. Schon deshalb nicht, wenn es mit derlei Prüfungen verbunden war.

      Die unbekannte Tote von der Autobahn wurde offensichtlich nicht vermisst, denn sie erschien in keiner Datenbank. Dass es sich um einen Flüchtling handelte, war eher unwahrscheinlich, denn die Frau sah deutlich westeuropäisch aus. Dann schon eher um eine illegal Eingewanderte, die womöglich zur Prostitution gezwungen worden war. Doch auch die internationalen Datenbanken gaben nichts her. In der Not veröffentlichte man ein Foto der Toten und bat die Bevölkerung um sachdienliche Hinweise.

      Bald darauf meldete sich eine junge Frau, die angab, die Tote zu kennen.

      »Das ist eindeutig Imogen Breuer«, sagte Nina Dietz, eine pausbäckige Aschblonde, Anfang dreißig. »Wir sind zusammen in eine Klasse gegangen, haben uns aber später aus den Augen verloren. Als ich sie zufällig einmal in der Stadt traf, wirkte sie auf mich seltsam entrückt, als habe sie psychische Probleme.«

      »Hat sie Ihnen eine Adresse genannt?«, fragte Valerie, die deutlich ernster war nach ihrem Besuch in der Pathologie.

      »Nein, sie erzählte nur, dass sie noch einige Jahre bei den Eltern gewohnt hat. Das Ehepaar Ulrich und Tatjana Breuer lebte damals in der Uhlandstraße. Ob sie jetzt noch dort wohnen, weiß ich leider nicht.«

      »Das wird sich leicht herausfinden lassen. Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte Valerie und verabschiedete die Frau. »Schmidtchen, sieh doch bitte mal nach, ob Ulrich und Tatjana Breuer noch in der Uhlandstraße gemeldet sind.«

      »Yep, wird gleich erledigt.«

      »Hat jemand Lust mitzukommen?«, fragte Valerie.

      »Du kennst ja meine Aversion, Todesnachrichten zu überbringen«, sagte Hinnerk. »Vielleicht will unser Küken?«

      »Also, als Federvieh hat mich noch keiner bezeichnet«, lachte Heiko. »Aber ja, ich komme mit.«

      »Denk dir nichts dabei. Mein Mann hat mitunter einen etwas gewöhnungsbedürftigen Humor …«

      »Sagt die Frau, die uns in dieser Beziehung alle schlägt.«