hatte dann aber erst von Patrick Arnold erfahren, dass KHK Werner Tremmel am Nachmittag zu einer großen Runde eingeladen hatte. Der Tatorterkennungsdienst und die Gerichtsmedizin sollten präsentieren, was sich seit dem Leichenfund am Vortag ergeben hatte. Thomas trug den Beamer in den Besprechungsraum im zweiten Stock der Keithstraße 30. Er schloss den Laptop an und richtete die Leinwand aus. Die Damen aus dem Sekretariat hatten sich gefreut, dass er die Bewirtung selbst übernahm, je eine Kanne Kaffee und Tee kochte und das Geschirr in den Besprechungsraum brachte. Er baute alles auf, sah dabei immer wieder auf die Uhr und hoffte, dass nicht Werner Tremmel der Erste war, der im Raum erschien.
Dann klopfte es an der offenen Zimmertür. Dr. Pohlmann trat ein. Er gab Thomas die Hand, suchte lange nach einem geeigneten Platz, um dann auf das Laptop zu starren.
»Ich habe richtige Folien dabei«, sagte er schließlich. »Wir hatten hier doch immer einen Overheadprojektor.«
»Hatten wir«, bestätigte Thomas.
Er ging zu einem der Wandschränke und fand das Gerät dort auch. Er stellte es auf den Tisch neben den Laptop. Die Lampe des Projektors funktionierte noch. Dann waren Stimmen auf dem Flur zu hören. Thomas blieb sitzen. Als erster betrat Hans Schauer den Raum, gefolgt von Torsten Regener. Thomas erhob sich und begrüßte die Kollegen, die er seit Jahren kannte.
»Unsere Schlecht-Wetter-Typen sind da, Schauer und Regener, lange nicht gesehen.«
»Der Witz ist älter als dieser Overheadprojektor dort auf dem Tisch«, entgegnete Torsten.
Sie gaben sich die Hände, hatten aber nicht viel Zeit für einen Plausch, weil Patrick zwei Minuten später erschien. Ihm folgten Werner Tremmel und Marek, die im Gespräch waren.
»Soll ich Roose anrufen, damit er seinen Urlaub um einen läppischen Tag verkürzt«, raunte Werner Tremmel gerade. »Wir brauchen hier volle Unterstützung und zwar von der Chefetage.«
»Die haben Sie ja mit mir«, entgegnete Marek, »aber wenn ihnen das nicht reicht, müssen Sie das selbst mit meinem Chef klären.«
»Das werde ich auch.«
Werner Tremmel nickte heftig, dann sah er Thomas neben Laptop und Overheadprojektor sitzen und verstummte. Thomas ließ sich nicht irritieren, stand auf und bot den Anwesenden Kaffee und Tee an. Alle setzten sich an den U-förmigen Tisch und Werner Tremmel eröffnete die Sitzung, nachdem er Thomas noch ein paar Sekunden mit seinem Blick durchbohrt hatte.
»Danke, dass Sie alle erschienen sind. Die Leiche von Ken Börder wurde erst vor knapp achtzehn Stunden aufgefunden, wir sind also noch in einer sehr frühen Phase der Ermittlungen. Bevor die einzelnen Fraktionen über ihre Untersuchungsergebnisse berichten, würden wir gerne ein kurzes Bild des Opfers geben, soweit diese Fakten noch nicht bekannt sind. Patrick, du hast das Wort.«
Patrick Arnold übernahm, nachdem Thomas die Präsentation aufgerufen hatte, die schon auf dem Desktop des Laptops bereitlag.
»Der Tote heißt Ken Börder, geboren am 3. Mai 1979 in Würzburg.«
Die erste Folie zeigte eine Fotografie des lebenden Ken Börders, die nicht von seinem Personalausweis oder Führerschein stammte. Patrick fuhr fort. »Der Vater ist unbekannt, die Mutter im Jahre 2009 verstorben. Ken Börder hatte eine vier Jahre ältere Halbschwester, die 1984 an einer nicht öffentlichen Badestelle im Main ertrunken ist. Nach diesem Vorfall kam Ken Börder für drei Jahre ins Heim, zog dann aber wieder zur Mutter zurück.« Patrick wechselte auf die zweite Folie. »Ken Börder machte nach dem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zum Speditionshelfer. In den Jahren 1997 bis 2001 verpflichtete er sich für vier Jahre bei der Bundeswehr. Den kompletten Dienst leistete er in der Balthasar-Neumann-Kaserne im Kraftfahrausbildungszentrum und im Sanitätszentrum ab. Dort erwarb er auch den Führerschein der Klasse CE für Lastzüge und Sattelkraftfahrzeuge. Dieser Führerschein wurde 2001 in einen regulären EU-Führerschein übertragen, da Ken Börder nach seiner Bundeswehrzeit eine Stellung bei einer Berliner Spedition annahm. Die Firma meldete 2003 Insolvenz an, Ken Börder wurde allerdings schon Mitte 2002 entlassen. Seither galt er als arbeitssuchend. Ken Börder ist nach 2003 mehrfach straffällig geworden.«
Patrick gab eine Kurzzusammenfassung von den Rechercheergebnissen, die Thomas und er am Vormittag von Lars Meier erhalten hatten. Er nannte auch die Namen der Männer, die mit Ken Börder in Verbindung standen, betonte den von Rainer Eckermann aber nicht übermäßig. Er erwähnte auch nicht, dass Rainer Eckermann die Wohnung von Ken Börder aufgelöst hatte. Werner Tremmel hatte vor, seinen Haupttatverdächtigen erst zum Ende der Sitzung zu verkünden.
»Ken Börder war zuletzt in Charlottenburg, in der Bunger Allee 17, wohnhaft«, fuhr Patrick fort. »Der Vermieter hat Herrn Börder allerdings im März dieses Jahres abgemeldet, ohne eine Folgeadresse anzugeben. Dies ist möglich, weil die Meldebehörde annehmen muss, dass die betreffende Person anderweitig gemeldet ist, wenn der angemietete Wohnraum vom Mieter oder Vermieter gekündigt wurde.«
Mit dieser Information schloss Patrick seinen kurzen Vortrag. Werner Tremmel bedankte sich. Es war üblich, erst alle Fakten zu präsentieren und so war Marek jetzt an der Reihe. Er steckte seinen Datenstick selbst in den USB-Port des Laptops und wartete, bis Ordner und Datei erkannt wurden. Dann öffnete er die Präsentation.
Marek wiederholte die wesentlichen Fakten, die er Werner Tremmel bereits am Leichenfundort mitgeteilt hatte. Angaben zur Kleidung des Toten, die Tatsache, dass Ken Börder eine große Menge Bargeld bei sich gehabt hatte, weitere Informationen über den Inhalt der Brieftasche. Auf dem Beamer erschienen die Fotografien einzelner Geldscheine, Vorder- und Rückseite von Personalausweis und Führerschein und einige Bilder von der Brieftasche selbst. Auf der zweiten Folie präsentierte Marek die unscheinbare Armbanduhr. Das Lederarmband hatte in der feuchten Erde gelitten. Das Uhrglas war leicht zerkratzt, die Einfassung dunkel angelaufen. Die dritte Folie zeigte den Schlüsselanhänger, ein etwa fünfmalzwei Zentimeter großer Boxhandschuh aus Leder mit angenähten weißen Schnüren. Am Schlüsselring hing ein moderner Bohrmuldenschlüssel mit quadratischem Griff. Es war der fehlende Schlüssel zu Ken Börders Wohnung, den Hausmeister Blöhmer gegenüber Werner Tremmel erwähnt hatte.
»Alle persönlichen Gegenstände des Toten, also Brieftasche samt Inhalt, Schlüsselanhänger mit Schlüssel und die Uhr haben wir in der Kriminaltechnik untersucht. Die Sachen liegen jetzt für eine DNA-Analyse bereit und können von Herrn Dr. Pohlmann angefordert werden. Sofern nicht gewünscht ist, dass die Kriminaltechnik diese Untersuchungen durchführen lässt.«
Dr. Pohlmann nickte. »Ich werde mich zu gegebener Zeit darum kümmern.«
»Danke«, sagte Werner Tremmel mit einem Lächeln in Richtung des Gerichtsmediziners.
Marek fuhr mit seinen Ausführungen fort. »In der unmittelbaren Umgebung des Leichenfundortes haben wir keine Objekte gefunden, keine Grabewerkzeuge, keine Waffen und auch keine weiteren persönlichen Gegenstände, die möglicherweise dem Toten zuzuordnen wären. Wir haben auch die dem Toten fehlenden Gliedmaßen nicht auffinden können.«
»Moment«, warf Werner Tremmel ein. »Aber es wurde doch ein Finger gefunden.«
»Das ist richtig.«
Marek sah Dr. Pohlmann an, der ein, zwei Sekunden brauchte, bis er begriff, dass in diesem Moment sein Urteil gefragt war.
»Mittelfinger«, sagte er schließlich. »Auf dem Feldweg habe ich den Mittelfinger der rechten Hand sichergestellt. Außerdem fehlten dem Toten noch der Ringfinger sowie der kleine Finger, ebenfalls an der rechten Hand. Es handelt sich dabei ...«
»Entschuldigung Herr Dr. Pohlmann«, unterbrach Werner Tremmel den Gerichtsmediziner. »Ich würde vorschlagen, der Kollege Quint beendet erst seinen erkennungsdienstlichen Vortrag, bevor wir zum Ergebnis der Obduktion kommen.«
»Selbstverständlich«, antwortete Dr. Pohlmann und lächelte in die Runde.
»Ich bin auch gleich fertig«, sagte Marek. »Also, der Leichenfundort, die Lichtung ist eine sogenannte Wildschweinsuhle. Der Untergrund ist daher stark durchwühlt. Wir haben das Terrain heute Morgen von einem Fachmann begutachten lassen. Die Spuren konnten nur den dort verkehrenden Wildtieren