Anton Volkov

In der Umarmung zwischen zwei Schritten


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wenn man den eigenen sich brechenden Knochen hört. Den Schmerz, der da ist, aber nicht sein darf. Den Schmerz, den man nicht zulässt. Dem man nicht lässt zu sein.

      Diese Welt des Kampfes und die Anforderung nach vollkommener Verlässlichkeit des Körpers schlägt dich in den Bann, nimmt deinen Magen-Darm-Trakt ein. Du wirst Eins damit. Alle diese körperlichen Dinge sind so. Sind wahr. Sind hier und jetzt. Und es gibt nicht wirklich genügende Ausgänge, du kannst einfach nicht davor fliehen, verneinen, dass sie bestehen. Dich davon abgrenzen. Nein, du kannst dem nicht entfliehen.

      Und vielleicht habe ich gerade deshalb den Tanz aller Tänze gewählt. Den Tango, den Tango Argentino, der von mir die vollkommene Widmung meiner Aufmerksamkeit meinem Körper gegenüber forderte. Als ich meinen Körper mehr und mehr kennen lernte, lernte ich ihn auch lieben, schätzen, und widmete ihm auch meinen Geist und mein Herz. Wie einst dem Karate. Er ging in meine Adern über. In der Tat, in die Adern. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, von Drogen, Zigaretten, Alkohol abhängig zu sein. Vom Würfelspiel. Vom Fernsehen. Und was es sonst noch alles gibt. Ich weiß aber, wie sich die Sucht nach dem Tango anfühlt.

      Es gibt immer etwas mehr dort drinnen. Etwas, was man von sich selbst entdecken kann; was man entdeckt, wenn man mit einer Frau tanzt, auf die man reagiert, die auf einen reagiert, die deine Wellenlänge auffängt, die mit dir im Einklang steht. Dies ist wie eine Vibration. Sobald man die Vibration einfängt und frau diese einfängt, vibrieren beide in einer Umarmung. Wie bei der Liebe auf den ersten Blick.

      Stell dir vor, du sitzt in deinem Cabrio, fährst spazieren. Es ist Sommer. Nicht zu heiß. Gerade die richtigen Temperaturen. Der Himmel strahlend blau. Du lauschst dem Einklang der Musik im Radio. Es ist entspannend. Auszeit. Du genießt dein Leben. Dabei fährst du durch grüne Landschaften, umgeben von blühenden Wiesen, farbenfrohen Blumen, schattenspendenden Bäumen, gebirgigen Schlupfwinkeln, engen Talengen. Und während dieser Fahrt lauschst du der Musik. Zumindest versuchst du es. Du versuchst, die Musik im Radio einzufangen. Du bist aber von Bergen umgeben. Und Berge begrenzen das Signal, das Radio krächzt. Die Musik entfernt sich. Sie ist einfach – mir nichts dir nichts – weg.

      So ungefähr verläuft meine Reise im Tango, den ich tanze. Ich versuche, die Wellenlänge mit meiner Tanzpartnerin einzufangen. Uns in Einklang zu bringen. Zuerst gibt es nur mich. Und Troilo. Rodríguez. D'Agostino. D'Arienzo. Ich halte meine Partnerin in der Umarmung, sie ist da, aber noch nicht bei mir. Wir versuchen, die gleiche Wellenlänge einzufangen, in Einklang zu kommen.

      Hier und da hörst du den Gesang, der sich mit anderen Radiostationen vermischt. Du erahnst den Gesang, für einige Augenblicke ist er da, um im nächsten Moment wieder zu verschwinden, zu rauschen.

      Die Musik ist da, aber nicht hier. Sie versucht, sich dir zu nähern. Kämpft. Sie nähert sich. Sie bleibt dir treu, bleibt bei dir… und du weißt, sie ist gut und sie wird auf dich warten. Die Musik ist da, meine Partnerin ist da, sie versucht, sich mir zu nähern. Kämpft. Sie nähert sich. Sie bleibt mir treu, bleibt bei mir… und ich weiß, sie ist gut und sie wird auf mich warten.

      Und dann... plötzlich öffnet sich der Blick in die Weite, du siehst ein weites grünes Tal, einen reinen wolkenlosen Himmel. Du verspürst den Wind in den Ohren, die frische Luft an deiner Haut, die wärmende, strahlende Sonne. Der Gesang aus dem Radio wird klar, kristallklar wie der Tropfen im Wasser des frischen Bergbaches und das Lied erklingt im Freiraum, in der Weite der Landschaft. Fein und klar. Frei. Als ob sie sich in dich einnisten würde, tief drinnen in deinem Körper, sie ist hier und bleibt hier. Sie versucht nicht zu fliehen, sie flieht nirgendwohin, weil sie hier sein möchte. Du bist im Einklang mit der Musik. Atmest ein. Atmest aus. Schließt deine Augen. Nur für einen kurzen Moment. Du genießt den Moment.

      Wir sind Eins. Eins mit der Frau. Wir atmen ein. Wir atmen aus. Im Einklang mit der Musik. Schließen die Augen. Genießen den Moment. Die Umarmung. Für mich gibt es nichts Schöneres als dieses Gefühl zu erleben, wenn ich mich mit meiner Tanzpartnerin auf gleicher Wellenlänge treffe; nichts Schöneres, als das Gefühl zu verspüren, dass sie mir in meiner Umarmung vertraut und wir zusammen im Rhythmus der Musik dahingleiten.

      Wie soll man da nicht süchtig werden?!

      Es war aber nicht immer so. Es passierte nicht von heute auf morgen, von sich aus.

      Es heißt, alles im Leben hat seinen Sinn.

      In der Tat musste ich auch für meine ersten Tanzschritte kämpfen. Und vielleicht waren dies die schwierigsten Schritte meines Lebens überhaupt. Meine Beginne im Tango waren kein bisschen göttlich. Im Gegenteil. Ich verwickelte mich eher darin, nein, eigentlich stolperte ich regelrecht hinein. Und dies – sagen wir mal – ziemlich ungeschickt. Dazu etwas später… aber wie kam es überhaupt zu meiner ersten Begegnung mit dem Tango? Dem hin und weg sein? Der Liebe auf den ersten Blick?

      Als ich nur noch drei- bis viermal pro Woche Karatetraining hatte, wusste ich plötzlich einfach nicht, wohin mit der vielen überschüssigen Zeit. Drei Tage Ruhezeit pro Woche können für einen bis dahin aktiven und übertrainierten Körper sehr anstrengend sein. Ich musste mich mit etwas ablenken. Um nicht zu viel in den naheliegenden Gasthäusern zu hocken, schlug einer meiner Freunde, ein Tangotänzer, mir vor, einen Abend mitzugehen. Dieser Abend sollte mein Leben verändern.

      In dieser Zeit war in Moskau alles der Außenwelt und Neuem zugewandt, alles, was mit seiner Andersartigkeit mein Heimatland betrat. Wir atmeten diese neuen Dinge ein wie Damen, die begehrlich durch Parfümerien schweifen. Dies war die Zeit, als auch der argentinische Tango, der sog. Tango Argentino, seinen Weg nach Moskau fand. Valentina Ustinova lernte ihn während ihres Studiums in den Niederlanden kennen und lieben. Und als sie nach Hause zurückkehrte, vermisste sie in dem Moskauer Grau den Tango. So wurde die Idee geboren, einen kleinen Tangosalon zu eröffnen. Sie begann mit einem Dutzend an Begeisterten, die den Tango Argentino erleben wollten, die den Willen nach einem langfristigen Verhältnis zum Tango verspürten.

      Es waren einige kalte russische Winter vergangen, in denen das Feuer entfachte, brannte, diese Menschen wärmte, die zu einer verbundenen und freundschaftlichen Gemeinschaft aus bereits ungefähr 150 Tangotänzerinnen und Tangotänzern, den sog. Tangueras und Tangueros, zusammengewachsen waren. Es gab also bereits eine gewisse Tangoszene in Moskau, als mich mein Freund Aslan an diesem besagten Abend einlud, ihn zu seinem Tangokurs zu begleiten. Es war der 25. Januar, der in Russland als Studententag und als Namenstag aller Tatyanas gefeiert wird. Winter. Eiskalt. Die eisglatten Straßen Moskaus bedeckt mit schmutzigem Schnee, von den Dächern der Gebäude hingen Eiszapfen, in der Luft war starke Feuchtigkeit zu verspüren, minus 15 °C. Dunkel. Sehr dunkel. Kalt. Eiskalt. Es war 19 Uhr, als wir vor dem Gebäude standen und kurz darauf den Raum betraten. Ich ohne jegliche Erwartungen. Nur neugierig wie ein Teenager, denn ich verband die ganze Sache – ich gebe es zu – doch mehr oder weniger mit einer interessanten Gesellschaft von hübschen Frauen. Von all dieser Welt des Tangos wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich viel, nur das, was mir Aslan erzählt hatte, der es bei jedem unserer Treffen immer wieder schaffte, Tango in das Gespräch einzubinden, in ein Gespräch über Gott und die Welt, das wir bei unseren allmorgendlichen Kaffees nach seinen durchgetanzten Nächten führten, an jenen Morgen, als sein Körper noch immer mit einer Art emporgehobener Energie durchtränkt war, von einer mir bis dahin unbekannten Energie, die sich regelrecht in seinen glitzernden Augen widerspiegelte und die auch ich verspüren konnte. Was auch immer wir bei diesen morgendlichen Treffen von Mann zu Mann bearbeiteten, es gelang ihm, in eine Erzählung über den Tango abzuschweifen. Ich kannte ihn und ich ahnte, dieser Tango musste es in sich haben, ich musste der Sache auf den Grund gehen. Komme, was wolle.

      Und so stand ich dann da – in dem mit Tangomusik gefüllten Raum – die Musik zog mich in den Bann, sie übte eine mir bis dahin unbekannte Wirkung auf mich aus. Ich verfolgte das Lehrerpaar – den ersten Tangotanz meines Lebens. Ich war angetan. Sie tanzten einen Tanz,… zwei Tänze. Die beiden – so lernte ich später – improvisierten. Sie erzählten vieles über den Tango. Tango sei Lifestyle. Ein Gehen in der Umarmung. Ich verstand nichts. Ich hörte nur zu. Staunte. Ein Tanz, der im Augenblick entstehe, in dem hier und jetzt. Sie zeigten einige Figuren und wie sie sich verständigten. Ich war sprachlos.