Lena Clostermann

Empty Souls


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einem Science-Fiction-Film. Wenn ich diesen Platz überqueren sollte, wäre ich vermutlich einen ganzen Tag unterwegs. Die Einheit ist eine eingezäunte Stadt.

      Der Mann mustert mich und blickt sich um. »Das hier ist die Plane. Willkommen in der Einheit, Soldat. In vierzehn Tagen bekommst du eine Auffrischung des Mittels. Außerdem wirst du ärztlich behandelt und durchgecheckt. Bis dahin wirst du dich ruhig verhalten und deine Ausbildung anfangen. Ich bin übrigens der Ausbilder deines Abschnitts. Wir werden uns öfter begegnen.«

      Alles klar. Ich habe genau vierzehn Tage, um hier wieder rechtzeitig rauszukommen – und dem Ausbilder so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen.

      »Du wirst mich Sir G40 nennen, Soldat.«

       Ich antworte einfach das Erste, was mir in den Sinn kommt: »Jawohl, Sir G40.«

      »Komm mit, die anderen sind gerade beim Schießtraining«, sagt G40.

      Ich folge ihm über die Plane zu einem hochmodernen Gebäude, das sich ziemlich in die Breite zieht. Es besteht aus sehr viel Glas, so wie auch das Hauptgebäude des Obersten, doch von draußen kann man nicht hineinschauen. Ich bin mir aber sicher, dass man von innen sehr gut hinausschauen kann. Am Eingang angekommen scannt G40 wieder seinen Fingerabdruck, und die Tür gleitet blitzschnell auf. Mit einer Handbewegung bedeutet er mir, einzutreten. Alles ist wie im Film. Am liebsten würde ich mich in alle Richtungen umblicken und diese neue Welt bestaunen, mich davor fürchten und mir alles ganz genau einprägen. Doch ich brauche meine gesamte Konzentration, um meine Maske zu bewahren.

      Er bleibt vor einer weiteren Tür stehen, und abermals legt er den Finger auf einen Scanner. Wir betreten eine Halle, und ich sehe, wie die Hüllen unter höchster Konzentration ihre Techniken trainieren. Die rechte Wand hängt voller Waffen, angefangen von Pistolen über Langwaffen und Revolver bis hin zu Flinten. Es ist erschreckend, wenn man bedenkt, dass wir eigentlich noch Kinder sind. Ich merke, dass G40 mich mustert, und versuche, so gleichgültig wie nur möglich zu wirken.

      »Nun, Soldat, das hier ist dein Abschnitt. Ich werde dir nun deinen Paten für die erste Zeit hier zuweisen.«

      Er setzt sich wieder in Bewegung und ich folge ihm. Wir steuern geradewegs auf ein Mädchen zu, das konzentriert und mit versteinerter Miene seine Waffe hält. Sie hat hellblondes Haar und scheint sich mit der Waffe bestens auszukennen.

      »E0225 ist eine der Besten aus diesem Regiment«, sagt er, während er sie von oben bis unten mustert. Ich mustere sie auch und habe das dumpfe Gefühl, sie von irgendwoher zu kennen.

      Es ist wie ein Schlag auf den Hinterkopf. Shit. Ich hätte es wissen müssen.

      Kapitel VIER

       Wo viel Gefühl ist, ist auch viel Leid. (Leonardo da Vinci)

      »E0225, konzentrier dich, sonst wirst du es nicht richtig hinbekommen!«

      G40 zeigt mit dem Finger auf mich, und mein Magen zieht sich unweigerlich zusammen. Nicht richtig hinbekommen, jemanden zu töten …

      »Ich werde alles tun, um es richtig auszuführen«, sage ich und ziele abermals mit meiner Waffe, als ich plötzlich aus dem Augenwinkel bemerke, dass ein Junge mir zuschaut. Ich war so mit meiner Haltung beschäftigt, dass ich gar nicht bemerkt habe, dass G40 nicht allein ist.

      »E0225, lass dich von dem Neuling nicht ablenken. Deine Leistungen sind äußerst wichtig.«

      Ich sehe den Jungen kurz an. Mit seinen grünen Augen mustert er mich. Etwas krampft sich tief in mir zusammen und ich nehme ein deutliches Ziehen wahr. Verdammt, ich werde jetzt nicht wegen eines Jungen aus der Rolle fallen! Und doch bin ich innerlich merkwürdig nervös. Kurz – nur ganz kurz – bleibt mir unter seinem Blick die Luft weg. »Hallo, ich bin E0225.«

      Er erwidert meinen Blick. Der Ausdruck kommt mir anders vor, irgendwie lebendiger als der Ausdruck bei den anderen Hüllen. »Hallo E0225, ich bin E0489«, sagt er.

      G40 schaut mich kurz an. »Die Kennenlernstunde ist beendet. Soldat, du wirst E0225 jetzt zuschauen. Und du, E0225, musst mehr Kraft in den Armen aufbauen.« Dann geht er weg und lässt mich mit dem Neuen allein.

      Der Junge muss ungefähr in meinem Alter sein. Seine dunkelblonden Haare kleben an der verschwitzten Stirn, als wäre er schon länger unterwegs gewesen. Seine Augen strahlen in einem ähnlichen Grün wie meine, nur dunkler. Er ist außerdem ziemlich groß, und in seinem Gesicht sind einige Blutergüsse und kleinere Schrammen zu erkennen. Ein kleiner, silberner Ring steckt in seiner linken Augenbraue, was auffällt, zumal es ihn individuell macht. Er trägt den grauen Overall, der mich an einen Strampler erinnert, doch an ihm sieht er männlich aus.

      Er wirkt ziemlich angespannt. Vielleicht hat er das Mittel erst vor Kurzem injiziert bekommen. Vielleicht wurde er ja erst ganz frisch aufgelesen und hierhergebracht. Ich bin die Blicke aus leeren Augen gewöhnt, doch unter seinem fühle ich mich durchdringbar.

      Ich muss mir meinen Respekt selbst verdienen, auch bei dem neuen Schönling. Mit einer Drehung zur Zielscheibe hebe ich die Waffe, fokussiere auf das Ziel, und mit einem lauten Knall verlässt die Kugel den Lauf. Sie trifft genau ins Schwarze. Ich drehe mich mit einem strammen Ruck um und schaue ihn gerade in die Augen. Mein Blick ist kalt und starr, und genau das soll er zu spüren bekommen. Mir fällt auf, dass er gut einen Kopf größer ist als ich und leichte Muskeln seinen Körper attraktiv machen, doch davon lasse ich mich nicht beirren.

      »Genau richtig, E0225«, sagt er, und ich glaube, mir wird übel. Er sollte Respekt haben oder sich zurücknehmen, doch stattdessen sagt er, dass es genau richtig war?

      G40 kommt erneut zu uns. »Glückwunsch, du hast jetzt einen Schützling, E0225. Der Oberste persönlich meint, es wäre eine gute Förderung für dich.«

      Nein! Nein, alles, bloß das nicht. Jeder weiß, was es heißt, einen Schützling zu bekommen. Du hast ihn allein für eine Zeit lang zu unterrichten, und er weicht dir nicht von der Seite.

      »E0225, du kannst ja schon mal damit anfangen, ihn fürs Schießen fit zu machen. Für die anderen Stunden bist du entschuldigt, also nimm ihn ruhig etwas härter ran.«

      »Danke, Sir G40.« Meine Stimme ist zu leise.

      Alle anderen aus dem Abschnitt verlassen die kleine Halle zusammen mit G40.

      Wir sind allein. Na super. Er denkt, dass ich es nicht merke, wie er mich von der Seite anschaut.

      »Hattest du schon mal eine Waffe in der Hand?«, frage ich.

      »Ja, das eine oder andere Mal schon.« Seine Stimme kommt mir etwas tiefer vor als eben.

      Ich werde ihm zuerst paar grundlegende Dinge zeigen.

      »Versuch einfach mal, die Zielscheibe zu treffen.«

      Er nimmt die Waffe, schaut sie kurz an, bis er seinen Arm langsam hebt und – perfekt trifft. Er ist ziemlich gut. Nur darf er unter keinen Umständen mitbekommen, wie beeindruckt ich bin.

      »Schöne Leistung, E0489. Ich denke, wir werden gut kooperieren.«

      Oh verdammt, wenn er wüsste, dass ich wach bin, wäre ich die Zielscheibe von eben. Von wegen kooperieren. Er dreht sich nicht um, sondern schaut nur auf sein getroffenes Ziel. Ich bin geschockt. Er sollte nicht so gut sein. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Jeder neue Tag birgt ein Risiko, entdeckt und injiziert zu werden, aber mit einem Schützling erweitert sich das Risiko rasant.

      Ich frage mich, wie er wohl früher war. Was für ein … Mensch er war. Was für ein Mensch ich bin, verkrochen in mein Inneres, weit weg von alldem, was mir eine Riesenangst macht, weit weg von diesen Psychopaten und weit weg … von mir selbst. Aber eines weiß ich – ich werde nicht kampflos aufgeben. Niemals. Ich schulde es unendlich vielen, nicht aufzugeben, aber besonders mir selbst. Eigentlich dürfte ich nicht über solche Sachen nachdenken. Ich habe mir angewöhnt, derartige Gedanken bei ihrem Auftauchen direkt nach hinten zu schieben, einzusperren und zu verstoßen, sodass nicht einmal die Gefahr besteht, wegen irgendetwas in meiner Mimik aufzufallen.