Rainer Sörensen

Seelenreise


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Wie sehen die Leistungsunterschiede zwischen Patienten mit retrograder Amnesie und Menschen, die nicht an dieser Störung leiden, aus?

      Wie wirkt der Verlust der Identität auf elementare Fähigkeiten? Gibt es möglicherweise auch Leistungssteigerungen, wenn der biografische „Ballast“ fehlt?

      Zu den elementaren Fähigkeiten gehören:

      * die Konzentrationsfähigkeit,

      * das räumliche Vorstellungsvermögen,

      * die Fähigkeit zur Umorientierung, messbar zum Beispiel mit

      Wahrnehmungsexperimenten mit der Umkehrbrille.

      Auf etwas höherer Ebene könnte man Unterschiede im Lernvermögen messen:

      * in der Merkfähigkeit bei Tasteindrücken, Geräuschen, Farben

      und sinnlosen Silben,

      * beim Erlernen einer neuen Sprache.

      In den Universitätskliniken wäre es sinnvoll, die Zuständigkeit der Fachkräfte besser zu definieren.

      Gehirn: Neurologen und Neurochirurgen

      Persönlichkeit: Psychologen

      Womit beschäftigen sich die Psychiater?

      Sie wissen es nicht genau.

      Die Bezeichnung Psychiatrie für ein medizinisches Fach taucht in einem neu definierten Schema der Zuständigkeiten aller Wissenschaften, deren Forschungsobjekt der Mensch ist, nicht mehr auf. (s. Anhang)

      Was kann das materielle Gehirn ohne Identität? Auch schon vorwissenschaftlich kann man diese Frage ansatzweise beantworten. Sportpsychologen üben mit Leistungssportlern das mentale Training. Der geistige Persönlichkeitsanteil des Hochspringers, des Bobfahrers, des Golfspielers programmiert sein materielles Gehirn mit dem fiktiven Bewegungsablauf. Dann – das ist sehr wichtig – soll sich der Geist zurückziehen, während des körperlichen Vollzugs keine weiteren störenden Anweisungen geben, soll den Körper "einfach machen lassen“.

      Schon ein entspannter Spaziergang macht die Grenzzone zwischen der körperlichen „Welt eins“ und der geistigen „Welt zwei“ deutlich. Der Körper wird in den Automatik-Modus versetzt und kann durchaus selbständig auf kleine Hindernisse und Unebenheiten auf dem Weg reagieren. Gleichzeitig darf der Geist in Tagträumereien schwelgen. Nur wenn die Physis überfordert ist, greift der Geist korrigierend ein.

      Die Entscheidung, die Wegrichtung zu ändern oder den Spaziergang abzubrechen, kann nur der immaterielle Anteil der Persönlichkeit treffen.

      Schon jetzt wird deutlich, dass der physische Anteil der Persönlichkeit sehr gering ist.

       Das Gehirn ist nur der Arbeitsspeicher.

      Änderung der Denkrichtung

       Die immaterielle Identität, das Ich, ist agierendes Subjekt.

       Das physische Gehirn, das „Instrument“ des Ich, ist Objekt.

       Alzheimer und senile Demenz:

       Nicht das Gehirn verliert die Erinnerung – das Ich verliert nach und nach das Gehirn, die Kontaktstelle zur physischen Realität.

       Aphasie:

       Nicht das Gehirn verliert den Wortschatz – das Ich verliert den Zugang zum Sprechzentrum im Gehirn.

       Amnesie:

       Nicht das Gehirn verliert die Ich-Identität – das Ich findet nicht den Zugang zum Gehirn.

       Gelegentlich kann sich das Ich völlig vom Gehirn lösen.

      Völlig losgelöst – der Traum

      Hallo darkness, my old friend

      I’ve come to talk with you again

      Because a vision softly creeping

      Left its seeds while I was sleeping

      Simon and Garfunkel

      Die ungeheure Intensität unserer Eindrücke im Traum

      kommt wohl daher,

      dass wir im Traum niemals zerstreut sind.

      Im Leben sind wir es und müssen es sein.

      Arthur Schnitzler

      Der Körper ruht und entlässt das Ich aus dem vierdimensionalen Raum-Zeit-Gefängnis.

      Für Sigmund Freud waren Träume der „Königsweg zum Unbewussten“. Carl Gustav Jung identifizierte archetypische Träume als Zugang zum „kollektiven Unterbewusstsein“. Die Parapsychologie beschäftigt sich mit einer weiteren Traumqualität, sie richtet ihre Aufmerksamkeit auf seltsame Träume, die man als Signale aus der Zukunft deuten kann.

      Das persönliche Traumtagebuch als Mittel zur Identifizierung seltsamer Träume

      Man lege ein Notizbuch mit Schreibstift auf den Nachttisch und sei bereit, jeden bemerkenswerten Traum zu notieren, bevor er seine Konturen verliert und in die Vergessenheit sinkt.

      Banale Träume kann man vernachlässigen

      Die banalsten Träume sind Leibreizträume, zum Beispiel infolge von Durst, Hunger oder Hormonstau. Dabei träumt man von gefüllten Wassergläsern, köstlichen Mahlzeiten und erotischen Abenteuern. Häufig sind auch Harndrangträume: Im Traum möchte man dringend ein WC aufsuchen, doch es ist besetzt, damit die Kontinenz erhalten bleibt; schließlich wacht man auf und besucht die reale Toilette. Banal sind auch sogenannte Tagesrestträume, mit denen man kleine und große Probleme des Vortags verarbeitet.

      Wichtige Träume, die man notieren sollte, sind wesensfremd

      Man notiere jene Träume, die im Kern nichts mit der eigenen Lebensrealität zu tun haben, wobei allerdings möglicherweise Tagesrestelemente zur Vermittlung der wesensfremden, seltsamen Traumbotschaft instrumentalisiert werden. Seltsame Träume sind verwirrend, manchmal sogar erscheinen sie geradezu aufdringlich. Es kommt vor, dass Farbigkeit den seltsamen Inhalt besonders betonen will. Träume dieser Art entfalten sich nicht in klar erkennbaren Geschichten, meist müssen sie gedeutet werden wie Bilderrätsel.

      Alpträume

      Notiz in einem Traumtagebuch:

      Traum Nr. 26

      Mit 41° Fieber bin ich eingeschlafen (echte Grippe)… wirres Traum-Chaos… dunkel und hell oszillieren… dann taucht ein verzerrtes Gesicht auf… ich fühle Druck auf meinen Augen… heißer Atem (?) dringt in mein rechtes Ohr und breitet sich im Hals aus… ich gerate in Panik und wache auf.

      Träume dieser Art sollte man nicht belächeln, denn wer aus ihnen nicht zurückkehrt, ist ein Fall für die Psychiatrie.

      Aus einem Tagebuch einer Jugendreise, 1972, Ort Cala Figuera, Mallorca, das Alter von Kerstin: 18 Jahre.

      „Wir fanden dann Kerstin ganz nah am Klippenrand. Sie war nicht ansprechbar, reagierte nicht auf unsere Zurufe. Vorsichtshalber näherten wir uns ganz langsam und schließlich konnten wir Kerstin ins Hotel führen.

      Am folgenden Morgen verließ sie das Hotel, bevor ihre Schwester aufwachte, und irrte, nur mit einem Slip bekleidet, hinunter zum Hafen. Von nun an bewachten wir, zusammen mit anderen Hotelgästen, Kerstin rund um die Uhr. Zwei Tage später brachte ein Ambulanzwagen Ellen und Kerstin zum Flughafen.

      Ich erinnere mich noch genau an die Stunden, in denen ich auf Kerstin aufpasste. Ich versuchte mit ihr zu reden und sie antwortete nur mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln.