Wolfgang Manfred Epple

42 Grad


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      42 Grad

      Kriminalgrotesken

      Wolfgang Manfred Epple

      Copyright: © 2013 Wolfgang Manfred Epple

      Published by: epubli GmbH, Berlin

       www.epubli.de

      ISBN 978-3-8442-5647-5

      Mordversuch?

      Eifersucht ist eine schlimme Krankheit, und nicht nur Menschen fallen ihr gelegentlich zum Opfer; auch Haustiere kann es bös erwischen. Besonders häufig können wir das beobachten, wenn deren Gastfamilie sich menschlichen Nachwuchs zur Seite stellt. Dann heißt es aufgepasst!

      Verpflichtet nicht den treuen Hasso als Babysitter! Er könnte seinen Schafspelz an den Nagel hängen, um eine Hauptrolle in »Rotkäppchen« zu übernehmen.

      Lasst Klein Elsie nicht allein in den Stall! Der Gaul könnte beweisen, dass ein Hufeisen nicht immer Glück bedeutet. Habt ein Auge auf den Weißen Erich! Der brave Hofgänserich überlegt sich vielleicht eines schönen Tages, wie viel größer der Spaß sein würde, Mäxle, an die Gurgel zu gehen, statt immer nur dem Briefträger nachzuzischen.

      Möglich auch, dass der eine oder andere Goldfisch sich heimlich Haifischzähne wünscht, oder dass in den Falten unserer Matratze die gekränkte Hausstaubmilbe zähneknirschend Rache schwört.

      Kann durchaus sein - wir kriegen das bloß nicht so mit, weil diese Tiere sich nicht erkennbar artikulieren können.

      In unserem Fall war‘s ein Kanarienhahn, und der konnte das ausgezeichnet.

      Wir zogen damals in eine schiefe Dreizimmerwohnung mitten in der Stadt, nachdem wir ein halbes Jahr in der Südsee herumgeflittert hatten. Das Geld war verbraucht; ich musste neues heranschaffen.

      Straßenbahnumklingelt saßen wir auf unserer Sperrmüllcouch, rauchten Zigarren und guckten in das gebrauchte Schwarzweißgerät, bis ich aufsprang und zur Nachtschicht lief. Zurück blieb mein Schatz von der sonnigen Insel, gequält von Einsamkeit und Langeweile. Wir versuchten, uns fortzupflanzen, damit Leben in die Bude komme, aber das war nicht so leicht, wie wir uns das vorgestellt hatten.

      Ich lief weiter zur Schicht, mein Inselkind blieb allein und unbefruchtet auf der Couch zurück und wartete, bis ich mich wieder neben sie setzte oder auf sie legte. Mir tat das leid.

      Da fiel mir meine Mutter ein. Die hatte unter Niedergeschlagenheit gelitten, nachdem ihre jüngste Tochter flügge geworden war. Sie aß kein Frühstück mehr und starrte die Wände an. Eine ganze Zeitlang ging das so, bis ihr Mann es nicht mehr ertrug und seiner Frau einen möhrenfarbenen Kanarienhahn hinstellte, dazu ein blauweißes Wellensittichpaar und sechs Blutschnabelweber. Jede Gattung war in ihrem eigenen Käfig untergebracht. Die gefiederte Schar ließ sich nicht lange bitten und erfüllte gleich das stille Haus mit fröhlichem Lärm. Da schmeckten meiner Mutter die Brötchen wieder, und sie schaute nicht länger auf die Tapete.

      In dem Zoogeschäft beim Bahnhof sah ich ihn sitzen. Er war kanariengelb, wie sich das gehörte, war Hahn und damit sangesfähig und außerdem jung genug, um einige Jahre durchhalten zu können.

      Ich legte vierzig Mark hin, der Zoohändler pflückte das Tierchen von der Stange und schob es in eine Pappschachtel. Er gab mir Sand mit und eine Tüte Körner und einen Spiegel und ein Glöckchen, damit der Kanari vor Einsamkeit nicht schwermütig werde. Einen Käfig erwarb ich auch und trug alles in unsere Wohnung.

      Der Kanari bekam keine Gelegenheit, schwermütig zu werden, und selten bedurfte er der Zerstreuung durch sein Spiegelglöckchen. Vincent - wir tauften ihn so, weil des gleichnamigen Malers Lieblingsfarbe das Gelb gewesen war - Vincent empfing all unsere Liebe. Bald hatten wir ihn soweit, dass er in Verzückung geriet, kaum dass wir uns seiner Behausung näherten. Er rückte ganz nah an die Käfigtür, stand Aug in Auge mit uns und begann zu trillern. Er trillerte, wie noch kein Kanarienhahn vor ihm getrillert haben mochte. Zur Kugel aufgeplustert, die Flügel zitternd abgespreizt vor Glück, stand er bebend auf seinen dünnen Stelzen, das Köpfchen hochgereckt, mit aufgerissenem Schnabel, und - sang, sang, bis er müde wurde.

      Vincent bekam nur das Beste. Die frischesten Apfelstücke, die grünsten Salatblätter klemmten wir zwischen die Gitterstäbe, und zur Zerstreuung des fleißigen Unterhaltungskünstlers hielten wir verschiedene Sorten Knabberstangen in Bereitschaft. Mindestens einmal täglich wechselte Moana den Sand aus, und sie hatte ein Auge darauf, dass der Trinknapf niemals trübes Wasser enthielt. Denn der Sänger brauchte nicht nur reichlich davon, seine Stimmbänder geschmeidig zu halten - ein erfrischendes Bad am Morgen war ihm Herzensbedürfnis.

      Und er vergalt es uns reichlich. Noch bevor sein Gefieder getrocknet war, fing er schon an, seine Arien zu schmettern.

      Eigentlich hätten wir in dieser Dreisamkeit ein recht zufriedenes Leben führen können, aber wir dummen Menschen wollten mehr - des Sängers Gesellschaft genügte uns nicht. Wir fuhren fort in unserem Bemühen, aus eins und eins drei zu machen.

      Schweigsam und ernst beobachtete Vincent uns dabei durch die Gitterstäbe, als ahne er, was da im Entstehen war. Wie oft hat er warnend sein Glöckchen geläutet; wir aber trieben es weiter.

      Der Tag kam, an dem wir es wagten, ihn hinauszulassen, damit er nicht vergesse, was sein Element sei. Wir versicherten uns, dass kein Fenster offenstand und entriegelten die Käfigtür. Vincent zauderte nicht lange und schwirrte ab. Er war ein ausgezeichneter Flieger, hatte nichts verlernt in der Zeit seiner Einzelhaft.

      Der Luftraum im Wohnzimmer gehörte nun ihm. Auf seinem Lieblingsplatz, der Gardinenstange, thronend, überwachte er das Geschehen. Wurde Gebäck zum Kaffee gereicht, kam er herunter, landete auf dem Tisch, pickte fordernd gegen die Glasschüssel, und wir hatten nichts dagegen, wenn er sich seinen Anteil nahm. So zutraulich wurde er, dass er sich abwechselnd auf Moanas und meiner Schulter niederließ und uns beim Fernsehen Gesellschaft leistete. Wenn ihm die Augen zufielen, kroch er in meine hohle Hand und hielt ein Nickerchen.

      Er folgte uns in die Küche. »Komm!«, riefen wir, indem wir mit der Hand winkten, und Vincent verließ seinen Ausguck und schwirrte hinter uns durch die Tür, über den Flur bis in die Küche, wo er auch eine Gardinenstange für ihn angeschraubt fand.

      War das Essen fertig, riefen wir wieder »Komm!«, und er begleitete uns zu Tisch.

      Der Nachteil seiner Freiheit: Bei unseren Übungen auf der Couch konnte er nun tätlich einschreiten, musste nicht länger das alberne Verhütungsglöckchen läuten.

      Sobald wir die Vorbereitungen trafen, fing er an, unruhig auf seiner Stange hin und herzulaufen, und wenn wir dann eins zu werden drohten, verlor er die Beherrschung. Mit zornigem Schrei stürzte er sich herab, riss uns in den Haaren, zwickte uns ins Ohr und zeterte so lange, bis wir aus dem Takt gerieten und es für diesmal gut sein ließen.

      Irgendwann geschah es dann doch: Eine Tochter ward uns geboren, und die Fliegerei war zu Ende.

      Düster kauerte Vincent in seinem Gefängnis, nahe der Käfigtür, und machte böse Augen, während der Säugling an Mutters Brust schmatzte, wenn er nicht gerade am Schreien oder Stinken war.

      Der Säugling wechselte zur Flasche über, wurde schwerer, schrie lauter, stank ärger.

      Vincent aber verfiel in völliges Schweigen. Die Federn gingen ihm aus; er saß so herum.

      Der Säugling begann zu kriechen. In sämtlichen Ecken war er zu finden, alles wollte er anfassen.

      Endlich richtete er sich auf. Schwankend wie ein betrunkener Matrose hielt er sich an den Stäben seines Gitterbetts.

      Wir machten Fotos und legten sie zu den anderen.

      Der Säugling stand nun viel in seinem Gatter, ließ sich die Sonne auf sein seidiges Haar scheinen, spielte mit bunten Kugeln, klingelte mit Glöckchen, bekam Zähne.

      Und Vincent?

      Nein, wir hatten ihn nicht völlig vergessen. In den Stunden, da unsere Tochter in ihrem Bettchen spielte, gewährten