Wolfgang Manfred Epple

42 Grad


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wandelte sich zum Adler, zu einem gelben, mürrischen Reichskriegsadler. Zornige Augenbrauen wuchsen ihm über seinen schwarzen Knopfäuglein, die nicht länger freundlich blickten, nicht länger sehnsuchtsschluchzend sich im Rausch des eigenen Gesanges verzehrten.

      Vincent wurde streng, glatt und windschnittig. Er weigerte sich eisern, uns als trillernde Plüschkugel die Momente zu versüßen, in welchen der Säugling einmal nicht das Wohnzimmer entweihte. Er hockte auf der Gardinenstange, und es schien, als führe er etwas im Schilde.

      Es war ein goldener Oktobersonntag. Wir lagen auf der Couch und waren damit beschäftigt, ein Brüderchen für unsere Tochter anzufertigen. Die Stunde war günstig. Das Kind lag jenseits des Flures in seinem Gitterbett und schlief, die Mutter hatte es vor wenigen Minuten zugedeckt. Und Vincent würde uns nicht stören, er hatte in diesem Punkte resigniert. Vermutlich saß er still auf seinem Ausguck und machte ein böses Gesicht. Was half‘s - das Leben ging weiter.

      Da war etwas. Irgendein Ton durchbrach unser Seufzen. Ein fernes Wimmern, ein helles Wehklagen, ganz anders als gewöhnlich, wenn es um volle Hosen oder leeren Magen ging. Fast wie ein Hilferuf.

      Wir rappelten uns hoch und drangen zum Kinderzimmer vor. Die Tür war angelehnt.

      »Voge! Voge! Nein, nein ... weg!«

      Behutsam öffnete Moana die Tür einen Spaltbreit.

      Auf der Querstange des Gitterbetts tanzte ein gelber Teufel. Er wollte nicht unterhalten, er tanzte den Kriegstanz. Er tanzte auf dem linken Bein, er tanzte auf dem rechten Bein. Er stieg in die Höh, verharrte flügelrauschend knapp unterhalb der Lampe. Das Kind stand bebend mit angstverzerrtem Gesicht, indem es sich mit der linken Hand zu schützen versuchte und mit der rechten ans Gitter klammerte.

      Der Adler stieß herab, parierte die ungeschickte Hand, krallte sich fest. Riss Haare aus, die ihren Seidenglanz verloren hatten und nun in angstschweißgetränkten Büscheln wie Schnittlauch am Kopfe seiner Feindin klebten.

      Der Adler schrie gellend. Hackte auf die Schädeldecke, als gelte es an das nahrhafte Mark eines Hirsekorns zu kommen. Er suchte die Augen. Erhielt einen Schlag, taumelte zur Seite, flog einen Bogen und griff umso wütender von vorne an.

      Vincent war so in Rage, dass er nicht bemerkte, wie ich die Kamera vom Nachttisch klaubte und in Anschlag brachte. Selbst das Blitzlichtgewitter konnte ihn nicht stoppen, zu groß war die Erbitterung unseres vernachlässigten Spielkameraden.

      Als ich endlich die Hand ausstreckte, um ihn in Haft zu nehmen, versetzte mir der Rasende einige empfindliche Schnabelhiebe, bevor er sich mit einem letzten Aufschrei ins Wohnzimmer davonmachte und schweratmend auf der Gardinenstange Zuflucht nahm.

      Stunden vergingen, bis er sich beruhigt hatte und wortlos in seinen Käfig schlich. Dort blieb er noch sieben Jahre, immer schweigsam und mürrisch, bis er tot von der Stange fiel.

      Brüderchen und Schwesterchen aber weinten bitterlich. Sie gruben ihm ein Grab neben dem Komposthaufen. Darauf legten sie einen gelbbemalten Stein und beschrieben ihn mit ihrer krakeligen Kinderschrift:

      Hier ruht Vincent. Der liebste Vogel von der Welt!

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