Frank Hille

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 13


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für deutlich bessere Flugeigenschaften. Mit ihren zwei 23 Millimeter Maschinenkanonen, den beiden 7,62 Millimeter MG und dem 12,7 Millimeter MG des Bordschützen sowie ihrer enormen Panzerung stellten die Maschinen eigentlich eine potentiell hochgefährliche Waffe dar. Teilweise wurden ungelenkte Raketen unter den Tragflächen mitgeführt. Diesen guten Kampfeigenschaften standen allerdings die vollkommen unzureichenden Zielerfassungssysteme entgegen, denn die Flugzeuge verfügten als Visier nur über individuell an der Frontscheibe angebrachte Markierungen. Aufgrund des vorherrschenden Konstruktionsmerkmals der Maschine, der extrem starken Panzerung, war es auch nicht möglich, das Flugzeug in einen Angriff mit hohem Sturzflugwinkel zu bringen, so dass sich ein Anflug in einem flachen Winkel bis maximal 30 Grad als beste Variante herausgestellt hatte. All das schränkte die Treffgenauigkeit stark ein, sie lag bei nicht einmal 10 Prozent. Bei Kursk waren erstmalig und nur vereinzelt in Kassetten befindliche panzerbrechende Bomben mit gutem Erfolg auf die massiert vorgehenden deutschen Panzereinheiten eingesetzt worden, aber der Gegner hatte die Konzentration seiner Kräfte danach schnell aufgegeben und die Formationen weit auseinandergezogen und aufgelockert. Die

      Il 2 waren jetzt tiefer gegangen und hatten den Anflug eingeleitet. Die deutschen Jagdflieger hatten es zwar jetzt schwerer diese Maschine zu bekämpfen, da der Bordschütze nunmehr den rückwärtigen Raum deckte, aber während „Zitadelle“ hatten die Russen wieder hohe Verluste hinnehmen müssen, da die deutschen Jäger nun vor allem von unten her angriffen. Rein materiell gesehen waren die Verluste für die in den Osten verlagerte sowjetische Industrie kein Problem, denn die Rüstungsproduktion lief dort auf Hochtouren. Weit schwerwiegender war die viel zu kurze Ausbildungszeit der Piloten.

      Kolja Valtenschuk hatte sich schon als Junge immer wieder am Flugplatz von Orel herumgetrieben und den startenden und landenden Maschinen zugesehen. Für ihn war es unverständlich, dass sich so ein stählerner Kasten einfach in die Luft erheben konnte und nicht gleich wieder auf den Boden krachte. Er war damals in der 5. Klasse gewesen und für ihn hatte festgestanden, dass er eines Tages Pilot werden würde. Mit 15 Jahren hatte er sich den Segelfliegern am Platz angeschlossen und nachdem er lange Theorie gebüffelt und für die anderen jungen Männer nur Hilfsarbeiten ausgeführt hatte, durfte er erstmals im Sommer 1939 in eine Maschine klettern. Als das Flugzeug abgehoben hatte und er durch die günstige Thermik schnell höher gestiegen war sah er seine Heimat das erste Mal aus der Vogelperspektive und war so ergriffen, dass er jetzt noch mehr Kraft einsetzen würde, um seinen Traum erfüllen zu können. Er war ein intelligenter und zielstrebiger junger Mann und das Lernen fiel ihm leicht. Außerdem brachte er viel Talent für das Fliegen mit und beherrschte das Segelflugzeug bald fast mühelos. Als der Krieg ausgebrochen war fand er sich zusammen mit seinen Eltern schnell nach der Evakuierung weit im Osten des Landes wieder. Als gelernter Dreher und Fräser wurde er in einem Betrieb zur Herstellung von Motorenteilen eingesetzt und bedrängte seine Vorgesetzten ständig, ihn doch endlich zur Ausbildung als Pilot abzustellen. Zu dieser Zeit war er 17 Jahre alt gewesen und ihm war mitgeteilt worden, dass er viel zu wichtig für den Betrieb wäre, denn die älteren Männer waren größtenteils schon eingezogen worden. Er ließ nicht locker, und da die Deutschen im Jahr 1943 weitestgehend gestoppt worden waren und die Rüstungsproduktion jetzt wie ein Uhrwerk und auf Hochtouren lief, aber der Front die Piloten ausgingen, erinnerte man sich an seine Ausbildung zum Segelflieger, und rief ihn zur russischen Luftwaffe ein. Natürlich war die Beherrschung der von 1.700 PS angetriebenen und 400 Kilometer in der Stunde schnellen und mehr als 5 Tonnen wiegenden Il 2 eine ganz andere Sache als der antrieblose Segelflug, aber Valentschuk brachte schon fliegerische Fähigkeiten mit. Der Druck auf die künftigen Flieger war groß, und während der Ausbildung stürzten drei Maschinen wegen Pilotenfehlern ab. Nach gerade einmal 30 Stunden wurden die jungen Männer an die Front kommandiert, und übernahmen auf einem Feldflughafen bei Kamenka ihre Maschinen, die sie dann nach Senischeno verlegten. Dieser Ort lag in fast gerader Linie nördlich von Slawjansk. Am Nachmittag hatten 4 Rotten Il 2 ihre Einsatzbefehle erhalten, sie sollten die bei Gojala Dolina angreifenden deutschen Panzer vernichten. Kolja Valentschuk war guter Dinge, er glaubte fest an einen Erfolg des Einsatzes.

      Feldwebel Erich Winkler hatte seine Beklemmungen noch nie richtig überwinden können, wenn der Panzer mit geschlossenen Luken ins Gefecht ging. 1940 war er als Soldat zur Panzerwaffe eingezogen, dort zum Richtschützen ausgebildet worden und bis jetzt nur mit viel Glück aus zwei brennenden Fahrzeugen herausgekommen. Da die Ausfälle der Truppe hoch waren war er die Leiter der Dienstgrade recht schnell hochgestiegen, ohne dass er es extra darauf angelegt hatte, es hatte sich aufgrund der Verluste einfach so ergeben. Er besaß viel Kampferfahrung, und sein Gefühl sagte ihm, dass das Gefecht heute schwierig werden würde. Das vor den deutschen Panzern liegende Terrain war ungünstig und er hatte auch mit Sorge während der Wartezeit in der Bereitstellung festgestellt, dass die Luftwaffe kaum Einsätze flog. Das hieß, dass die Panzer nur durch die eigene Infanterie begleitet die auf dem Hügel festsitzenden russischen Einheiten angreifen mussten. Früher hatte erst die Artillerie lange Vorbereitungsfeuer geschossen, danach hatten die Stuka wichtige Ziele bombardiert, und erst dann waren die Panzer angetreten. Was ihm aber Zuversicht gab war die Tatsache, dass der Panzer IV in der Ausführung H eine kampfstarke Maschine geworden war, deren Hauptbewaffnung sämtliche gegnerischen Fahrzeuge vernichten konnte und die homogene 80 Millimeter starke Bugpanzerung guten Schutz gewährleistete. Des Weiteren schützten 5 Millimeter starke Stahlplatten den Turm und die Seiten des Kampfwagens gegen Panzerbüchsenbeschuss - die Schürzen. Dass jetzt gleichzeitig 80 Panzer auf einem begrenzten Abschnitt ins Gefecht gingen würde auch bedeuten, dass die Russen sich kaum auf die Bekämpfung einzelner Ziele konzentrieren konnten. Der 23jährige Erich Winkler hatte wie viele andere Panzermänner auch den Namen seiner Verlobten auf das Stirnteil des Panzeroberkastens gepinselt: Edeltraut.

      Der Anflug war Kolja Valentschuk gut gelungen, und er drückte die Maschine weiter vorsichtig an. Es war sein erster scharfer Einsatz und bislang hatte er nur einige Salven in der Ausbildung auf Attrappen auf dem Übungsplatz abgegeben. Dabei war ihm aufgefallen, dass sich das Flugzeug bei der Nutzung der Maschinenkanonen regelrecht schüttelte und das provisorische Visier vollkommen nutzlos war. Ein genaues Zielen war damit unmöglich aber er sagte sich, dass er mit der Zeit schon ein Gefühl für die richtige Entfernung und den Winkel für den Angriff bekommen würde. Als die Panzer ungefähr noch 800 Meter entfernt waren befanden sich die 8 Il 2 in 200 Meter Höhe und bei 400 Meter Abstand betätigte Valentschuk die Knöpfe für die Auslösung der Waffen. Er konnte erkennen, dass die Geschosse viel weiter entfernt als von ihm vermutet zwei Panzer an Bug und Turmfront trafen, aber offensichtlich keinen Schaden angerichtet hatten, denn die Kampfwagen rollten weiter. Die 23 Millimeter Geschosse aus den Maschinenkanonen hatten zu wenig Energie besessen um die Panzerung durchschlagen zu können. Valentschuk hatte gerade einmal die Hälfte der Munition verschossen und die Angriffsformation der Deutschen schon überflogen. Auf ein Kommando des Rottenführers hin kurvte er nach links ein, und das Manöver gelang ihm gut. Er hatte sofort die Absicht des anderen Piloten verstanden, sie würden jetzt die Panzer von hinten angreifen und versuchen, die schwächer gepanzerten Motorraumabdeckungen und Turmoberseiten zu treffen. Die Kurve hatte sie ein ganzes Stück von den Angreifern weggebracht, und als sie wieder auf geraden Kurs gingen merkte Valtenschuk instinktiv, dass er diesmal besser und auch weniger hoch in Position gekommen war. Als er dann das Feuer eröffnete sah er, dass die Geschosse bei einem Panzer wie an einer Schnur gezogen in den Motorraum und den Turm einschlugen, ohne abzuprallen. Er verschoss die restliche Munition beim Abflug ohne wirksame Treffer, dann drehten die Il 2 ab.

      Erich Winkler sah angestrengt durch die Winkelspiegel der Kommandantenkuppel, das war in dem sich rasselnd und schaukelnd vorwärts bewegenden Fahrzeug nicht einfach. Die Russen hatten das Feuer aus ihren Panzerabwehrgeschützen zu spät eröffnet, und jetzt waren die an der Spitze der Angriffsformation fahrenden deutschen Kampfwagen schon aus dem Richtbereich herausgekommen und krochen langsam den Hügel hinauf. Die Sowjets feuerten aus allen Rohren auf die hinteren Reihen der Formation und konnten drei Panzer in Brand setzen, ein weiterer explodierte. Winkler sah durch seine Winkelspiegel ausschnittsweise, dass sein Panzer bald aus dem Beschussfeld der Russen heraus sein musste. Der Panzer fuhr im vierten Gang mit Höchstdrehzahl und erreichte so, auch durch die Steigung bedingt, eine Geschwindigkeit von lediglich 10 Kilometern in der Stunde. Winkler war sich sicher, bald aus der größten Gefahr heraus zu sein, denn er ging davon aus, dass die russischen Nahbekämpfer sie