Dörthe Haltern

Prophezeiungen der Weisen


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Erst habe ich überlegt, ob ich überhaupt mit ihm reden sollte. Ich hätte auch sagen können, mir ginge es nicht gut."

      "Hast du aber nicht.", riet er und schloss sie in seine Arme. Sie spürte Wärme ihren Körper erfüllen. Stumm schüttelte sie den Kopf. Eine Weile sprach keiner von ihnen. Sayonara spürte, wie es draußen dunkel wurde. Auch in den Höhlen erlosch das gelbliche Licht bis zu einem bloßen Dämmern.

      "Was macht dir so viel Angst, Sayo?", wollte er wissen. "Du bist hier in Sicherheit. Niemand würde auf die Idee kommen, dir hier etwas anzutun."

      "Die Dämonen erwachen.", flüsterte sie. Leise, aus Angst die unheilvollen Worte, würden sich durch das bloße Aussprechen erfüllen. "Sie werden auch vor Yesúw keinen Halt machen, wenn sie nicht vorher jemand aufhält. Und ich habe Angst davor, dass es niemanden mehr gibt, der sie stoppen könnte. Nekat ist unterwegs und sucht die Erwählten, um Justakas eigenen Fluch zu erfüllen. Rugar und Rawnes begleiten ihn. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er sie finden wird. Er glaubt, einer wohnt in oder in der Nähe Caparian Citys und die Andere soll auf einem Gut eines der Landlords sein, doch er ist schon Jahre dabei sie zu suchen und bis jetzt hat er nicht einmal eine Spur."

      "Er weiß, wo sie sind?" Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf. Eine leise Stimme begann aufgeregt zu wispern. Eine Stimme, die nur er hören konnte und die ihm Befehle zuraunte.

      "Nein.", korrigierte sie ihn leicht gereizt. "Das ist es ja. Er glaubt es nur zu wissen, doch das glaubt er schon die ganze Zeit. Ich fürchte, es sind nur falsche Hoffnungen, die ihn leiten und am Ende werden wir doch alle verloren sein. Justaka wusste, was er sich leisten konnte."

      "Es wird schon alles gut werden.", meinte er leicht nervös. Er musste weg hier. Nur weg hier und das so schnell wie nur möglich. Je weniger Zeit er verlor, desto schneller kam er an sein Ziel.

      Sie schien seine Eile nicht zu bemerken, sondern hielt an seinen Worten fest, womit sie verzweifelt versuchte einen winzigen Funken mehr Hoffnung zu bekommen. Sie starrte weiterhin auf den Fluss, der sich noch immer in die Tiefe stürzte, ohne dass ihn etwas aufhalten konnte. Dieser Anblick betrübte sie wieder. Man sagte, der Fluss würde sie beschützen, aber selbst wenn die Dämonen kommen würden, wenn sie die Welt überfluten würden mit ihrer bösen Saat, selbst dann würde der Yesúw sich immer noch die Klippen hinabstürzen.

      DIE VERLORENEN KINDER

      An einem ganz anderen, weit entfernten Ort stand ein stolzer Gutshof, sehr weit abseits zu der nächstgrößeren Stadt Overwealth, die tief im Süden des Landes Zahur lag. Während es im Norden nun schon begann kalt zu werden und die Nächte bereits frostreich waren, herrschten hier noch weit angenehmere Temperaturen. Die Bäume hatten ihre Blätter noch nicht verloren und leuchteten in allen möglichen Farben des Herbstes. Die Felder rund um den Hof herum waren zum größten Teil bereits abgeerntet und die Scheunen quollen über von Stroh, Heu und Weizen. Es war eine reiche Ernte in diesem Jahr gewesen.

      Ein Besucher stand in dem riesigen Empfangsraum und wartete auf Lord Bates, dem Besitzer des Guts. Ein großer, struppiger Hund lag neben ihm, den man auf den ersten Blick für einen ausgewachsenen Wolf halten konnte, denn sein Fell war von hellem Grau und nur die Beine und Ohrspitzen liefen in ein tiefes Schwarz über. Dieses Tier war ein wirklich hübsches, auch wenn man sich im ersten Moment vor seinem intensiven Blick fürchtete, so meinte jedenfalls der Hausdiener Pépé, der den überraschenden Gast begrüßt hatte.

      Dieser war schon recht merkwürdig, auch wenn Pépé nicht genau sagen konnte weshalb. Es war nur ein bestimmtes Gefühl, dass ihm seine perfekte Menschenkenntnis mitteilte. Etwas stimmte mit diesem Mann nicht und er beschloss ein aufmerksames Auge auf ihn zu haben, während er auf dem Gut verweilte.

      Mit Sicherheit ließ sich über den Fremden sagen, dass er von adliger Geburt war, denn sein tadelloses Benehmen, welches den Großherren schon von ihrem Lebensbeginn an mit in die Wiege gelegt war, konnte nicht übersehen werden. Er war stets höflich, auch als Pépé ihm mitteilen musste, dass der Hausherr im Moment noch nicht zu sprechen sei und dass er sich doch bei einem Schlückchen Kaffee noch ein wenig gedulden solle, setzte er sich auf einen der lederüberzogenen Stühle und wartete, ohne ein mürrisches Wort oder ein Anzeichen des Missmutes.

      Viele Lords, denen Pépé schon begegnet war, verhielten sich meistens nicht so. Bei ihnen konnte man schon großes Glück haben, wenn sie wenigstens nach einigen abfälligen Worten den Mund hielten und er hatte sich angewöhnt, nur sehr ungern Drohungen auf längeres Warten auszusprechen. Doch heute war angenehmer Besuch im Haus und er war überzeugt, dass er dies ruhig an das Dienstpersonal weitergeben konnte. Er wusste, dass im oberen Stockwerk bereits in aller Eile eines der Gästezimmer hergerichtet wurde. Nur für alle Fälle, falls der Fremde über Nacht einkehren wollte. Immerhin musste sich das Gut Bates' von seiner besten Seite präsentieren.

      Heimlich beobachtete der Diener den Fremden, während er tat, als müsse er einige wertvolle Vasen polieren, die auf kleinen Podesten im Raum verteilt waren. Der Fremde war ebenfalls von tadellosem Aussehen. Seinen teuren Anzug hatte er sorgfältig geglättet, bevor er sich setzte, damit sich kaum Falten bildeten. Die dunklen Stiefel glänzten. Kein winziges Staubkorn hatte sich an ihnen festgesetzt. Seine hellen Haare waren zu einem festen Zopf nach hinten gebunden und sein Gesicht und seine Hände waren sauber. Es war ihm anzusehen, die Kutsche als Transportmittel gewählt zu haben, selbst wenn man nicht wusste, dass diese noch vor der zweiflügeligen Eingangstür stand. Mit zwei edlen Pferden davor, die wohlgenährt und gestriegelt auf ihrem Platz harrten. Pfleger hatten ihnen sicherlich schon Futter gebracht, hoffte Pépé.

      Plötzlich hörte er eilige Schritte die breiten Marmorstufen hinunter eilen. Er verbeugte sich noch rechtzeitig, als sein Herr ihn erreicht hatte und deutete in den Empfangsraum, der schon von seiner Größe her den Wohlstand des Hauses andeuten sollte.

      Lord Bates zupfte sein Jackett zurecht, bevor er an seinem Diener vorbei in die Halle hastete. Er hasste es seine Gäste warten lassen zu müssen, auch wenn es sich um einen völlig Fremden handelte, dessen Namen er schon fast wieder vergessen hatte. Es war ziemlich unhöflich unangemeldet in seinem Haus zu erscheinen, so empfand er es zumindest und er musste sich Mühe geben, seinen Anflug von leichter Wut zu unterdrücken. Als er nun endlich seinen unerwarteten Besucher erreichte, stand er vor einem schlanken, hochgewachsenen Mann mittleren Alters. Dieser senkte leicht den Kopf, als Bates ihn begrüßte und er beruhigte sich wieder ein wenig.

      "Lord Hares.", begrüßte er den Fremden. "Seid willkommen in meinem Haus. Möge es Euch ebenso gute Dienste leisten wie mir."

      "Ich fühle mich geehrt.", antwortete Hares mit sanfter, wohlklingender Stimme. "Komme ich doch unhöflicher Weise völlig unangemeldet in Euer wunderbares Haus geplatzt. Aber ich war auf der Durchreise und man empfahl mir Eure Gastfreundschaft, so dass ich gar nicht anders konnte, als bei Euch vorbei zu sehen."

      Bates fühlte sich geschmeichelt und schenkte ihm ein wohlgesonnenes Lächeln. "Nun, das macht doch keine Umstände. Ihr seid natürlich herzlich eingeladen. Es wird bald schon das Abendbrot serviert. Ich würde mich freuen Euch an meinem Tisch begrüßen zu dürfen."

      "Ich nehme Eure Einladung dankend an, auch wenn ich Euch nur so wenig wie möglich zur Last fallen will. Morgen früh werde ich schon wieder weiterreisen." Hares warf einen vorsichtigen Blick auf Bates, den dieser nicht zu bemerken schien. Der Gutsherr schüttelte nur abwehrend den Kopf.

      "Ich werde Eure Gastfreundschaft natürlich nicht ohne Dank in Anspruch nehmen.", fuhr Hares fort. "Ich erfuhr von Eurer reizenden Tochter und habe eine Kleinigkeit für sie mitgebracht, wenn Ihr nichts dagegen habt."

      "Wie aufmerksam von Euch!" Bates war überzeugt einen Mann mit guter Erziehung vor sich zu haben und bereute seinen Entschluss ihn nicht gleich wieder vor die Tür zu setzen keineswegs. "Sie wird ebenfalls am Abendessen teilnehmen. Doch vorher wollt Ihr Euch gewiss ein wenig erholen. Pépé wird Euch eines der Gästezimmer zeigen. Wenn ich vorher nur eine Frage stellen dürfte."

      "Fragt ruhig.", forderte Hares ihn auf.

      "Woher führte Euch Euer Weg eigentlich?", erkundigte sich Bates vorsichtig, wie es seine Art war.

      "Oh, wie dumm von mir, dies nicht