Dörthe Haltern

Prophezeiungen der Weisen


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und von da an träumte sie nur noch davon ebenfalls in dieser großen weiten Welt zu Hause sein zu dürfen. Andere schüttelten nur den Kopf und meinten doch, wie gut sie es an diesem geschützten, ruhigen Ort habe. Doch sie war nicht zufrieden mit ihrem goldenen Käfig. Sie wollte ihre Flügel ausbreiten und fliegen.

      Stattdessen verbrachte sie immer noch ihr armseliges Leben in diesen vier Wänden. Immer die gleichen Räume, die gleichen Tagesabläufe. Immer zwischen den gleichen, stummen Menschen. Sie lag in ihrem Bett und hörte den Fluss unter ihrem Fenster toben.

      "Du hast es versprochen.", flüsterte sie. "Und doch gehst du schon wieder. Allein."

      Sie musste eine ganze Weile warten, fast eine Ewigkeit, bis sie ein leises Seufzen neben sich hörte. Sie drehte ihren Kopf und blickte erwartungsvoll auf den Menschenkönig, der in einem gewöhnlichen, dunklen Reisemantel gekleidet war. Wieder bereit zum baldigen Aufbruch. Er blieb nie lange. Nur so lange, wie es wirklich notwendig war und jedes Mal kam es Sayonara viel zu kurz vor. Doch noch nie hatte sie versucht ihn aufzuhalten.

      "Sayo.", wandte sich ihr Geliebter ihr zu. "Du musst verstehen, dass es nicht ganz so einfach wird, wie ich es mir vorgestellt habe. Weißt du, ich habe einen Traum. Eine Vision. Von einer geeinten Welt, in der Frieden herrschen wird. In der jeder gleich ist. In der die einzelnen Werte jedes einzelnen Lebewesens zählen. In der es keine Unterschiede mehr geben wird. Zu jeder Zeit an jedem Ort. Vielleicht mag dies unvorstellbar klingen. Vielleicht werden viele der Ansicht sein, dies wäre niemals möglich, aber ich glaube fest daran, dass dies nicht wahr ist. Es wird möglich sein. Es muss nur jeder wollen und jeder seinen Teil dafür opfern. Sich selbst, mit seinem Leben, wenn es nötig sein sollte. Es gibt einen Weg, der Frieden und Einheit bringen wird und ich beschreite diesen Weg. Und wenn dann meine Ziele Wirklichkeit sein werden, dann wird diese Welt frei sein. Jeder wird frei sein, auch du, Sayonara."

      Sie blickte ihn eine Zeit lang stumm an. Er schien geduldig auf eine Reaktion ihrerseits zu warten, doch sie gab sich noch einen Moment seine Worte durch ihren Kopf gehen zu lassen. "Es wird eine Ewigkeit dauern, sollte es wirklich möglich sein."

      "Es wird keine Ewigkeit dauern.", versicherte er ihr. "Wir stehen so kurz davor, vertraue mir." Einen Moment hielt er inne und schien zu überlegen. "Du könntest mir natürlich helfen, wenn du das willst. Wenn du auch Teil dieser Wirklichkeit werden möchtest. Aber nein... nein, darum könnte ich dich niemals bitten."

      "Was ist es?", wollte sie wissen und richtete sich auf. Sie würde alles für ihn tun, da war sie sich sicher. Sie vertraute ihm und glaubte an seine Wünsche, denn sie verstand es nur zu gut, was unerfüllte Wünsche zu bedeuten hatten. Wenn er ihr bei der Verwirklichung ihrer Träume helfen wollte, dann war sie auch bereit dafür Gegenleistungen zu bringen.

      "Es ist wirklich keine einfache Aufgabe.", betonte er nachdrücklich. Er ging vor ihr in die Hocke, so dass ihre Augen auf gleicher Höhe waren. Wie in einem Bann schien sie in seinen blauen Augen gefangen zu sein. "Und solch eine Entscheidung fiel mir wirklich nicht leicht, aber es führt kein Weg daran vorbei, denn sie stellt sich unseren Plänen in den Weg. Sie ist eine von denen, die glaubt, dass es falsch wäre, was ich vorhabe. Dabei wünsche ich mir nur das Beste für uns alle, das weißt du ja. Deswegen gibt es, obwohl ich lange darüber nachgedacht habe keinen anderen Weg als ihren Tod."

      "Wer?", erkundigte sie sich. "Wer muss sterben?"

      "Die Herrin von Naksa.", antwortete er bereitwillig, während sein Blick noch ein wenig intensiver wurde.

      "Rawnes?", wiederholte sie ungläubig und ein wenig erschrocken.

      "Du bist die Einzige, die in den kommenden Tagen in ihrer Nähe sein wird.", fuhr er leise fort, als würde er nur mit sich selbst sprechen. "Aber..." Er nahm sanft ihre Hände und küsste sie. "...es würde einem solch bezaubernden Geschöpf wie dir nicht gut stehen, wenn Blut an seinen Händen klebt."

      Er wollte sich erheben. Aufstehen und gehen, doch sie hielt ihn fest. "Ich werde es tun.", verkündete sie ihm mit fester Stimme. "Wenn es wirklich nötig ist, dann werde ich es tun."

      "Ich wusste das ich dir vertrauen und ich mich auf dich verlassen konnte.", flüsterte er ihr ins Ohr und sie fühlte seinen warmen Atem auf ihrer Wange. Sie spürte einen harten Gegenstand auf ihrem Schoß und als sie ihn mit ihren Fingern umfasste drang die Kälte des Metalls bis durch die lederne Scheide hindurch.

      An einem geheimen Ort, den niemand sonst kannte, stand Wirhnö, Herr über das Eis und blickte den Yesúw hinab. Es gab Zugänge zu dem Lauf des Flusses, die selbst den Bewohnern des Heiligen Ortes fremd waren. Sie waren um einiges gefährlicher, denn die Gewässer waren tückisch, doch einem Mann mit viel Geschick, Mut und Kraft durften selbst diese Wege nichts anhaben können. Von der Stelle aus, an der der Dämon über die Wasseroberfläche blickte, führte ein versteckter Pfad steil in den Berg hinein, um später zu einer kleinen, engen Höhle auszulaufen, von der aus man wieder über die schneebedeckten Hänge des Ostgebirges hinaus kam.

      Endlich erblickte er das kleine Boot, auf welches er schon seit einer geschlagenen Stunde wartete. Doch Geduld war bisher ebenfalls einer seiner Stärken. Die Strömung war hier fast genauso stark, wie kurz vor den Wasserfällen. Das kleine Gefährt drohte immer wieder zurückgerissen zu werden, doch trotzdem hielt er es fast mühelos, als er dem Menschen hinaus half.

      "Was machst du hier?", wurde er schroff begrüßt.

      "Das wollte ich auch gerade fragen.", entgegnete Wirhnö.

      "Ich wüsste zwar nicht, was dich meine Aktivitäten angehen sollten, aber nur damit du beruhigt bist: Ich habe einen sehr praktischen Weg gefunden, Rawnes zu töten.", antwortete Atúl, König Zahurs.

      Wirhnö runzelte die Stirn. "Was für einen Sinn ergibt ihr Tod für uns?"

      "Gar keinen." Atúl erwiderte selbstsicher des Dämonen Blick. Es wurde ihm bewusst, dass es allmählich Zeit wurde, noch jemanden los zu werden. "Aber ihr Tod wird für uns einen praktischen Nebeneffekt haben. Glaube mir einfach."

      Wirhnö zögerte noch immer. "Niemand tötet an dem heiligen Ort, ohne dass er dabei nicht auch selbst zu Grunde geht."

      "Wie bedauerlich." Atúl zuckte mit den Schultern. "Da können wir uns ja glücklich schätzen, dass nicht ich diese Aufgabe übernehmen muss. Und jetzt lass uns gehen."

      Entschlossen ging er zu seinem Pferd, welches er hier zurückgelassen hatte und machte sich auf den Weg.

      Ihm folgte Wirhnö, auch wenn dieser noch einen letzten unsicheren Blick in Richtung der Festung warf. Er war sich nicht sicher, ob dies seinem Herrn gefallen würde und eigentlich sollte er dem Menschenkönig eben aus dem Grund folgen, dass er seinem Herrn alle merkwürdigen Vorkommnisse meldete. Aber vielleicht sollte er erst einmal abwarten, von was für einem Nebeneffekt Atúl gesprochen hatte. Vielleicht konnte er ihnen ja doch noch nützen.

      DER RAT YESÚWS

      "Yesúw. Ein Ort der Wunder. Einer der wenigen Orte, die heute noch in dieser Welt existieren, denn Orte der Wunder sind meist auf magische Weise entstanden oder werden noch immer von Magie zusammengehalten. Doch die Magie schwindet in diesem Zeitalter. Die Menschen wenden sich anderen Gebieten zu. Sie schaffen sich neue Welten, denn es sind allein die Menschen, die alles am Leben erhalten.

      Der menschliche Glaube ist stark. So stark, dass ihr Glaube zu existieren beginnt. Ihre Vorstellung der Welt, des Lebens und allem was zwangsweise mit diesen Dingen zusammenhängt, wächst über sie hinaus bis in die Wirklichkeit hinein. Jahrhunderte lang unterwarfen sie sich den natürlichen Gesetzen, die diese Welt ihnen entgegen warf. Sie schufen sich Herren, die Götter, die über sie herrschten und von grenzenloser Macht schöpfen konnten. Der Magie. Für die Menschen erklärte die Magie alles und so war sie erschaffen und hunderte von kleinen und großen Wesen mit ihr.

      Doch nicht lange und die Menschen entwickelten ihre weniger guten Eigenschaften, die sie ebenfalls wieder in die Welt transferierten. Dämonen waren geboren und wieder dauerte es gar nicht lange, da erhielten auch die Dämonen ihren Herren, den Tod. Aber damals waren die Menschen noch Kinder. Unerfahren, ängstlich. Jetzt begannen sie zu wachsen und die Welt um sich herum mit anderen Augen zu sehen. Viele Dinge gefielen