Alexander Schreiber

Querfeldein


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verlieren." Wieviel Drang sich hinter meiner Resignation verbirgt, hätte ich ohne Sanny nie verstanden.

      Plötzlich wurde die Tiefe ihres Gedankens durch die Tiefe ihres Mitempfindens abgelöst: "Eine solche Erfahrung wünsche ich dir" und verlor sich schließlich, als wäre nichts Bedeutsames vor sich gegangen, in einem Scherze: "Wenn es sich einrichten lässt, ohne dass du den Verstand verlierst - den brauchen wir hier alle noch." Also stimmte ich in den Scherz ein: "Oh, wie großzügig von dir!", woraufhin sie mit Verweis auf meine Gedichte versicherte, sie habe es aus purem Eigennutz gesagt.

      Da habe ich so viele gelehrte Menschen - Doktoren, Professoren, Künstler - kennenlernen dürfen, darunter auch Einige mit feinem Geist versehen. Aber keiner von ihnen vermöchte mit einer derart einfachen Frage so viel Tiefblick zu befördern. So habe ich erkannt, dass es der Welt überhaupt nicht an guten Antworten mangelt. Nein! Der Welt mangelt es an guten Fragen.

      21.1.2012

      Liebe Babsi,

      Linda hat mir geschrieben. Und wie sich ihr Ausschweigen anlasslos in unangebrachte Redseligkeit verwandelte, hat etwas Merkwürdiges. Sie schrieb, dass sie mich vermisse, dass sie untröstlich sei über ihre Fehler und dass sie hoffe, ich könne ihr verzeihen. Diese Anmaßung, sich so unvermittelt und wortlos aus meinem Leben zu schleichen und jetzt die Auswirkungen ihrer eigenen Grausamkeit nicht ertragen zu können, hat keine Antwort verdient. Und so wenig ich ihr Verhalten verstehen kann, so sehr verschafft es mir Klarheit: Nun kann ich ganz gewiss sagen, dass ich von ihr endgültig gelöst bin.

      Sanny indes verband damit die Bitte, ich möge mein Gemüt davon nicht aus der Ruhe bringen lassen und ich bin ihr gefolgt. Tatsächlich würdigte ich dieser Unart während meines Schriftwechsels mit Sanny keines Gedankens. Da fällt mir ein, Sanny hat ein Sonett geschrieben und da ich nie so viel Freiheit, Leichtigkeit und Natürlichkeit durch solch formtreue Ordnung ausgedrückt gesehen hatte, konnte ich mir nicht anders helfen, als ihr Virtuosität anzuerkennen. "Ach was", schrieb sie "höchstens aus Versehen" und da ich ihr das fast glauben muss, sehe ich bei ihr, wie oft schon, Leichtsinn und Wahrhaftigkeit vereint. Nichts tue ich derzeit lieber, als, ihr zum Dank, zu lachen.

      25.1.2012

      Liebe Babsi,

      du weißt, dass ich in meinem Verhältnis zur Natur immer die Beschaulichkeit der Freiheit bevorzugt habe, weswegen mich es auch immer in den dichten Wald zog. Die Weite einer Landschaft, in der man hinter dem Horizont eine Unendlichkeit erahnen kann, ängstigte mich bloß, da ich mir darin vollkommen verloren, fast schon entschwunden erschien. Doch heute, aus Gründen, die wohl außerhalb meines Denkens liegen, führte mein Pfad an dem mir sonst so zugeneigten Wald vorbei, zunächst entlang einer rustikalen Pferdekoppel, bis ich schließlich am Enkheimer Ried ankam, ein Bachlauf, der seine Spuren überall umher zwischen Röhricht und Strauchwerk hinterließ und mich in seiner Ursprünglichkeit an eine Zeit erinnerte, die ich nie erleben durfte. Von dort erblickte ich einen sanft ansteigenden, zunächst recht klein wirkenden Hang, der sich jedoch, einmal auf dem Weg begriffen, sehr zu strecken vermochte.

      Doch von dort oben konnte ich meine ganze Welt beschauen: Maintal, wie es im tiefen Winterschlummer lag, daneben meinen Wald als einen weißen Traum und am rechten Bildrand verschwindend ein vorsichtiges Dämmern der Lichter Frankfurts. Auch konnte ich in der Ferne den Main erkennen, wie er von Hanau herbei taumelnd, sich gerade bei Maintal besinnt, einer Richtung zu folgen. Babsi! Du ahnst nicht, welchen Eindruck dies auf mich machte und wie ich mich ganz dem Strom der Empfindungen und Einsichten hingab! Wenn mir auch meine Stube eng und bedeutungslos erscheinen mag, muss mich dies gar nicht weiter kümmern, da ich doch die ganze Welt für mich habe. Die Welt ist überhaupt keine Bedrohung, wenn man sie ganz klein werden lässt und alles ist leicht.

      Auch bin ich immerzu zum Scherzen aufgelegt, gerade wenn ich Sanny schreibe. Versteh mich nicht falsch! Wir haben die vertrautesten Gespräche, wie zwei Freunde, die einander wohl schon länger kennen müssen und Einiges gemeinsam durchgestanden haben und wie zwei Freunde können wir Späße treiben, die man nur Freunden anvertraut. So führte unsere letzte Unterhaltung durch alle Glücksbezeugungen und Grausamkeiten der Liebe, vielleicht nur, dass ich sie mit der mir eigenen scherzhaften Übertreibung zum Lachen bringen konnte. Von drei Sorten Frauen berichtete ich, die es im Verhältnis zu mir gebe: Jenen, die mich bemuttern, weswegen ich zu klein für die Liebe werde, solchen, die mich bewundern, die mich zu groß für die Liebe werden lassen und den dritten, die mich ignorieren und denen daher nicht zu helfen sei. Sie hat wirklich einen Sinn für Derartiges, das ich mit dem Großteil der Welt nicht teilen kann und auf diese Weise befreit sie mich aus dem Gefängnis, das ich mir manchmal selbst bin.

      28.1.2012

      Ja Babsi,

      ja, ich weiß, wie sie aussieht (sie schickte mir ein Foto) und ja, sie ist schön - um es ganz ehrlich zu sagen, so schön wie ihre Gedichte: eine unausgeschmückte, selbstgenügsame Schönheit, ein Blick aus klaren, blauen Augen, wie aus einer unergründlichen Seelentiefe, zarte Lippen, die nichts verlangen, als zu lächeln und dunkles, geheimnisvolles Haar. Nie habe ich das Gemüt eines Menschen so sehr in seinem Äußeren entsprochen gesehen.

      Aber jetzt red mir bloß nichts ein, was du am Ende doch nur bereuen wirst! Nein, ich bin ganz und gar glücklich mit dem Werden, dass ich ja nichts sein möchte, schon gar nicht ein verzweifelt Liebender.

      29.1.2012

      Nein Babsi,

      so sehr ich deine aufgeregte Neugier verstehe - so töricht will ich nicht sein, mich von einem Unglück in das nächste zu stürzen. Jetzt wirst du alles bereden wollen und um uns die Zeit zu ersparen, antworte ich dir gleich:

      Berlin liegt nicht eben auf meinen Routen, selbst wenn ich sehr ausgedehnte Spaziergänge suche. Dies allein verbietet schon jede weitere Sehnsucht und doch weiß ich, dass du es nicht gelten lassen wirst, mich so sachlich dieser Angelegenheit zu entziehen. Also sei versichert, dass ich in ihrer Freundschaft alles finde, was ich in der Hinneigung zu Menschen suche! Ihre Zuwendung regt mich dazu an, mich mitzuteilen, ihre Worte lassen mich zur Ruhe kommen, in ihren Gedanken erkenne ich mich selbst, auch und gerade dann, wenn sie mir ganz neu sind und ihr heiteres Gemüt weckt in mir längst verdrängte Lebensfreude.

      Wenn ich dies alles gefunden habe, wieso sollte ich nach mehr verlangen? Nichts weiter will ich sein als demütig und dankbar ob dieser Freundschaft. Allerdings gefällt mir dein Einfall außerordentlich, ich solle einmal mit ihr telefonieren. Hab dafür tausend Dank! Denn auf das Naheliegendste wäre ich nicht gekommen. Ich werde es ihr bestimmt vorschlagen.

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