Rudolf Steiner

Anthroposophische Leitsätze


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Sie spricht aus der intuitiven Erkenntnis heraus von dem »wahren Selbst« oder dem »Ich«. Auch für dieses findet sie eine Welt-Umgebung. Es ist diejenige der ersten Hierarchie.

      Indem der Mensch an seine Erinnerungs-Gedanken herantritt, begegnet ihm ein erstes Übersinnliches, sein eigenes Ätherwesen. Anthroposophie weist ihm die entsprechende Welt-Umgebung auf. Indem sich der Mensch als Sprechenden erfasst, begegnet ihm sein Astralwesen. Das wird nicht mehr in dem erfasst, was nur innerlich wie die Erinnerung wirkt. Es wird von der Inspiration geschaut als dasjenige, was in dem Sprechen aus dem Geistigen heraus einen physischen Vorgang gestaltet. Sprechen ist ein physischer Vorgang. Ihm liegt das Schaffen aus dem Bereiche der zweiten Hierarchie zugrunde.

      In dem ganzen bewegten Menschen ist ein intensiveres physisches Wirken vorhanden als im Sprechen. Nicht etwas am Menschen wird gestaltet; der ganze Mensch wird gestaltet. Da wirkt die erste Hierarchie in dem in Gestaltung webenden Physischen.

      So kann wirkliche Selbst-Erkenntnis des Menschenwesens geübt werden. Aber der Mensch erfasst dabei nicht das eigene Selbst allein. Stufenweise erfasst er seine Glieder: den physischen Leib, den Ätherleib, den Astralleib, das Selbst. Aber indem er diese erfasst, kommt er auch stufenweise an höhere Welten heran, die wie die drei Naturreiche, das tierische, das pflanzliche, das mineralische, als drei geistige Reiche zu der Gesamtwelt gehören, in der sich sein Wesen entfaltet.

      Leitsätze Nr. 69 bis 71

      (27. Juli 1924)

      69. Die dritte Hierarchie offenbart sich als ein rein Geistig-Seelisches. Sie webt in dem, was der Mensch auf seelische Art ganz innerlich erlebt. Weder im Ätherischen, noch im Physischen könnten Vorgänge entstehen, wenn nur diese Hierarchie wirkte. Seelisches könnte allein da sein.

      70. Die zweite Hierarchie offenbart sich als ein Geistig-Seelisches, das im Ätherischen wirkt. Alles Ätherische ist Offenbarung der zweiten Hierarchie. Sie offenbart sich aber nicht unmittelbar im Physischen. Ihre Stärke reicht nur bis zu den ätherischen Vorgängen. Es würde nur Seelisches und Ätherisches bestehen, wenn nur dritte und zweite Hierarchie wirkten.

      71. Die stärkste, erste Hierarchie offenbart sich als das im Physischen geistig Wirksame. Sie gestaltet die physische Welt zum Kosmos. Die dritte und zweite Hierarchie sind dabei die dienenden Wesenheiten.

      Leitsätze Nr. 72 bis 75

      (3. August 1924)

      72. Sobald man an die höheren Glieder der menschlichen Wesenheit: den ätherischen, astralischen Leib und die Ich-Organisation herantritt, ist man genötigt, das Verhältnis des Menschen zu den Wesen der geistigen Reiche zu suchen. Nur die physische Leibesorganisation kann von den drei physischen Naturreichen aus beleuchtet werden.

      73. Im Ätherleibe gliedert sich dem Menschenwesen die Intelligenz des Kosmos ein. Dass dies geschehen kann, setzt die Tätigkeit von Welt-Wesen voraus, die in ihrem Zusammenwirken den menschlichen Ätherleib so gestalten wie die physischen Kräfte den physischen.

      74. Im Astralleibe prägt die geistige Welt dem Menschenwesen die moralischen Impulse ein. Dass diese in der menschlichen Organisation sich darleben können, ist von der Tätigkeit solcher Wesen abhängig, die das Geistige nicht nur denken, sondern wesenhaft gestalten können.

      75. In der Ich-Organisation erlebt der Mensch im physischen Leib sich selbst als Geist. Dass dies geschehen kann, ist die Tätigkeit von Wesen notwendig, die selbst als geistige in der physischen Welt leben.

      Wie die Leitsätze anzuwenden sind

      In den Leitsätzen, die vom Goetheanum ausgegeben werden, soll die Anregung für die tätig sein wollenden Mitglieder gegeben sein, den Inhalt des anthroposophischen Wirkens einheitlich zu gestalten. Man wird finden, wenn man an diese Sätze jede Woche herantritt, dass sie eine Anleitung dazu geben, sich in den vorhandenen Stoff der Zyklen zu vertiefen und diesen in einer gewissen Anordnung in den Zweigversammlungen vorzubringen.

      Es wäre ja gewiss wünschenswerter, wenn jede Woche sogleich die Vorträge, die in Dornach gehalten werden, in allen Richtungen an die einzelnen Zweige gebracht werden könnten. Allein man sollte auch bedenken, welch komplizierte technische Einrichtungen dazu nötig sind. Es wird gewiss von Seite des Vorstandes am Goetheanum nach dieser Richtung alles Mögliche angestrebt und noch getan werden. Aber man muss mit den vorhandenen Möglichkeiten rechnen. Die Absichten, die auf der Weihnachtstagung geäußert worden sind, werden verwirklicht werden. Aber wir brauchen Zeit.

      Vorläufig sind diejenigen Zweige im Vorteil, welche Mitglieder in sich haben, die das Goetheanum besuchen, da die Vorträge hören und deren Inhalt in den Zweigversammlungen vorbringen können. Und es sollte von den Zweigen erkannt werden, dass die Entsendung solcher Mitglieder an das Goetheanum eine Wohltat ist. Aber man sollte auch nicht die Arbeit, die in der Anthroposophischen Gesellschaft schon geleistet ist und die in den gedruckten Zyklen und Vorträgen vorliegt, allzu sehr unterschätzen. Wer diese Zyklen vornimmt, sich nach den Titeln erinnert, welcher Stoff in diesem oder jenem enthalten ist, und dann an die Leitsätze herantritt, der wird finden, dass er in dem einen Zyklus das eine und in dem anderen ein anderes findet, das den Leitsatz weiter ausführt. Aus dem Zusammenlesen dessen, was in den einzelnen Zyklen getrennt steht, können die Gesichtspunkte gefunden werden, von denen aus in Anlehnung an die Leitsätze gesprochen werden kann.

      Wir wirken in der Anthroposophischen Gesellschaft wie rechte Verschwender, wenn wir die gedruckten Zyklen ganz unbenutzt lassen und immer nur »das Neueste« vom Goetheanum empfangen wollen. Es ist doch auch leicht begreiflich, dass allmählich jede Möglichkeit, die Zyklen zu drucken, aufhören müsste, wenn diese nicht ausgiebig benützt würden.

      Es kommt noch ein anderer Gesichtspunkt in Frage. Bei der Verbreitung des Inhaltes der Anthroposophie ist Gewissenhaftigkeit und Verantwortlichkeitsgefühl in allererster Linie notwendig. Man muss das, was über die geistige Welt gesagt wird, in eine Form bringen, dass die Bilder der geistigen Tatsachen und Wesenheiten, die gegeben werden, nicht Missverständnissen ausgesetzt werden. Wer am Goetheanum einen Vortrag hört, kann einen unmittelbaren Eindruck haben. Wenn er dessen Inhalt wiedergibt, so kann bei ihm dieser Eindruck nachklingen, und er ist imstande, die Dinge so zu formulieren, dass sie richtig verstanden werden können. Wird aber ein Zweiter, Dritter der Vermittler, so wird die Wahrscheinlichkeit immer größer, dass sich Ungenauigkeiten einschleichen. Alle diese Dinge sollten bedacht werden.

      Und ein weiterer Gesichtspunkt ist ja wohl der allerwichtigste. Es handelt sich ja nicht darum, dass der anthroposophische Inhalt nur äußerlich angehört oder gelesen werde, sondern dass er in das lebendige Seelenwesen aufgenommen werde. Im Fortdenken und Fortfühlen des Aufgenommenen liegt ein Wesentliches. Das aber soll mit Bezug auf die schon vorliegenden gedruckten Zyklen gerade durch die Leitsätze angeregt werden. Wird dieser Gesichtspunkt zu wenig berücksichtigt, so wird es fortdauernd daran fehlen, dass das Wesen der Anthroposophie durch die Anthroposophische Gesellschaft sich offenbaren könne. Man sagt nur mit scheinbarem Recht: was nützt es mir, noch soviel von geistigen Welten zu hören, wenn ich nicht selbst in solche Welten hineinschauen kann. Man berücksichtigt dabei nicht, dass dieses Hineinschauen gefördert wird, wenn über die Verarbeitung des anthroposophischen Inhaltes so gedacht wird, wie es hier angedeutet ist. Die Vorträge am Goetheanum sind so gehalten, dass ihr Inhalt lebendig und frei in den Gemütern der Zuhörer fortwirken kann. Und so ist auch der Inhalt der Zyklen. Da ist kein totes Material zur bloßen äußeren Mitteilung; da ist Stoff, der unter verschiedene Gesichtspunkte gerückt das Schauen in geistige Welten anregt. Man sollte nicht glauben: den Inhalt der Vorträge höre ich an; die Erkenntnis der geistigen Welt eigne ich mir durch Meditation an. So wird man nie im wahren Sinne weiterkommen. Beides muss in der Seele zusammenwirken. Und das Fortdenken und Fortfühlen des anthroposophischen Inhaltes ist auch Seelenübung. Man lebt sich in die geistige Welt schauend hinein, wenn man so, wie es hier gesagt ist, mit diesem Inhalt verfährt.

      Es wird eben doch in der Anthroposophischen Gesellschaft viel zu wenig darauf gesehen, dass Anthroposophie nicht graue Theorie, sondern wahres Leben sein soll. Wahres Leben,