Rudolf Steiner

Anthroposophische Leitsätze


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Welt, in der man den Menschen als Geistwesen waltend schaut, auch die seelisch-moralischen Gesetze in ihrer Wirklichkeit mitzuschauen. Denn die moralische Weltordnung stellt sich dann als das irdische Abbild einer zur geistigen Welt gehörigen Ordnung dar. Und physische und moralische Weltordnung gliedern sich zur Einheit zusammen.

      39. Aus dem Menschen wirkt der Wille. Der steht den an der Außenwelt gewonnenen Naturgesetzen ganz fremd gegenüber. Das Wesen der Sinnesorgane ist noch an seiner Ähnlichkeit gegenüber den äußeren Naturgegenständen zu erkennen. In ihrer Tätigkeit kann sich der Wille noch nicht entfalten. Das Wesen, das sich im rhythmischen System des Menschen offenbart, ist allem Äußeren schon unähnlicher. In dieses System kann der Wille schon bis zu einem gewissen Grade eingreifen. Aber es ist dieses System im Entstehen und Vergehen begriffen. An diese ist der Wille noch gebunden.

      40. Im Stoffwechsel- und Gliedmaßensystem offenbart sich ein Wesen zwar durch die Stoffe und die Vorgänge an den Stoffen, aber diese Stoffe und diese Vorgänge haben mit ihm nichts weiter zu tun als der Maler und seine Mittel mit dem fertigen Bilde. In dieses Wesen kann daher der Wille unmittelbar eingreifen. Erfasst man hinter der in Naturgesetzen lebenden Menschenorganisation die im Geistigen webende Menschenwesenheit, so hat man in dieser ein Gebiet, in dem man das Wirken des Willens gewahr werden kann. Gegenüber dem Sinnesgebiete bleibt der menschliche Wille ein Wort ohne allen Inhalt. Und wer ihn in diesem Gebiete erfassen will, der verlässt im Erkennen das wahre Wesen des Willens und setzt etwas anderes an dessen Stelle.

      Leitsätze Nr. 41 bis 43

      (25. Mai 1924)

      41. Durch den dritten Leitsatz der vorigen Gruppe wird auf das Wesen des menschlichen Willens hingewiesen. Erst wenn man dieses Wesen gewahr geworden ist, steht man mit seinem Begreifen in einer Weltsphäre darinnen, in der das Schicksal (Karma) wirkt. Solange man nur die Gesetzmäßigkeit erblickt, die im Zusammenhange der Naturdinge und Naturtatsachen herrscht, bleibt man dem ganz fern, das im Schicksal gesetzmäßig wirkt.

      42. In einem solchen Erfassen der Gesetzmäßigkeit im Schicksal offenbart sich auch, dass sich dieses durch den Gang des einzelnen physischen Erdenlebens nicht zum Dasein bringen kann. Solange der Mensch in demselben physischen Leibe lebt, kann er den moralischen Inhalt seines Willens nur so zur Wirklichkeit werden lassen, wie es dieser physische Leib innerhalb der physischen Welt gestattet. Erst, wenn der Mensch durch die Todespforte in die Geistessphäre eingezogen ist, kann die Geistwesenheit des Willens zur vollen Wirklichkeit gelangen. Da wird das Gute in seinen ihm entsprechenden Ergebnissen, das Schlechte in den seinigen, zunächst zur geistigen Verwirklichung kommen.

      43. In dieser geistigen Verwirklichung gestaltet sich der Mensch selber zwischen dem Tode und einer neuen Geburt; er wird wesenhaft ein Abbild dessen, was er im Erdenleben getan hat. Aus diesem seinem Wesenhaften heraus gestaltet er dann beim Wieder-Betreten der Erde sein physisches Leben. Das Geistige, das im Schicksal waltet, kann im Physischen nur seine Verwirklichung finden, wenn seine entsprechende Verursachung vor dieser Verwirklichung sich in das geistige Gebiet zurückgezogen hat. Denn aus dem Geistigen heraus, nicht in der Folge der physischen Erscheinungen gestaltet sich, was sich als schicksalsgemäß auslebt.

      Leitsätze Nr. 44 bis 46

      (1. Juni 1924)

      44. Ein Übergang zu der geisteswissenschaftlichen Betrachtung der Schicksalsfrage sollte dadurch herbeigeführt werden, dass man an Beispielen aus dem Erleben einzelner Menschen den Gang des Schicksalsmäßigen in seiner Bedeutung für den Lebenslauf erörtert; zum Beispiel wie ein Jugenderlebnis, das ganz sicher nicht in voller Freiheit durch eine Persönlichkeit herbeigeführt ist, das ganze spätere Leben zu einem großen Teile gestalten kann.

      45. Es sollte die Bedeutung der Tatsache, dass im physischen Lebenslaufe zwischen Geburt und Tod der Gute unglücklich im Außenleben, der Böse wenigstens scheinbar glücklich werden kann, geschildert werden. Beispiele in Bildern sind für die Erörterung wichtiger als theoretische Erklärungen, weil sie die geisteswissenschaftliche Betrachtung besser vorbereiten.

      46. Es sollte an Schicksalsfällen, die in das Dasein des Menschen so eintreten, dass man ihre Bedingungen im jeweilig gegenwärtigen Erdenleben nicht finden kann, gezeigt werden, wie gegenüber solchen Schicksalsfällen schon rein die verstandesgemäße Lebensansicht auf früheres Erleben hindeutet. Es muss natürlich aus der Art der Darstellung klar sein, dass mit solchen Darstellungen nichts Verbindliches behauptet, sondern nur etwas gesagt werden soll, das die Gedanken nach der geisteswissenschaftlichen Betrachtung der Schicksalsfrage hin orientiert.

      Leitsätze Nr. 47 bis 49

      (8. Juni 1924)

      47. Was in der Schicksalsgestaltung des Menschen liegt, das tritt nur zum allerkleinsten Teile in das gewöhnliche Bewusstsein ein, sondern es waltet zumeist im Unbewussten. Aber gerade durch die Enthüllung des Schicksalsgemäßen wird ersichtlich, wie Unbewusstes zum Bewusstsein gebracht werden kann. Es haben eben diejenigen durchaus Unrecht, die von dem zeitweilig Unbewussten so sprechen, als ob es absolut im Gebiete des Unbekannten bleiben müsste und so eine Erkenntnisgrenze darstellte. Mit jedem Stück, das sich von seinem Schicksale dem Menschen enthüllt, hebt er ein vorher Unbewusstes in das Gebiet des Bewusstseins herauf.

      48. Durch ein solches Herauf heben wird man gewahr, wie innerhalb des Lebens zwischen Geburt und Tod das Schicksalsgemäße nicht gewoben wird; man wird dadurch gerade an der Schicksalsfrage auf die Betrachtung des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt gewiesen.

      49. In dem Besprechen dieses Hinausweisens des menschlichen Erlebens aus sich selbst an der Schicksalsfrage wird man ein wahres Gefühl entwickeln können für das Verhältnis des Sinnlichen und des Geistigen. Wer das Schicksal im Menschenwesen waltend schaut, der steht schon im Geistigen darinnen. Denn die Schicksalszusammenhänge haben gar nichts Naturhaftes an sich.

      Leitsätze Nr. 50 bis 52

      (15. Juni 1924)

      50. Es ist von ganz besonderer Wichtigkeit, darauf hinzuweisen, wie die Betrachtung des geschichtlichen Lebens der Menschheit dadurch belebt wird, dass man zeigt, es sind die Menschenseelen selbst, welche die Ergebnisse der einen Geschichtsepoche in die andere hinübertragen, indem sie in ihren wiederholten Erdenleben von Epoche zu Epoche wandeln.

      51. Man wird leicht gegen eine solche Betrachtung einwenden, dass sie der Geschichte das Elementarische und Naive nimmt; aber man tut damit unrecht. Sie vertieft vielmehr die Anschauung des Geschichtlichen, das sie bis in das Innerste der Menschenwesenheit hinein verfolgt. Geschichte wird dadurch reicher und konkreter, nicht ärmer und abstrakter. Man muss nur in der Darstellung Herz und Sinn für die lebende Menschenseele entwickeln, in die man dadurch tief hineinschaut.

      52. Es sollen die Epochen im Leben zwischen Tod und neuer Geburt mit Beziehung auf die Karmabildung behandelt werden.

      Das »Wie« dieser Behandlung der Karmabildung soll den Inhalt der weiteren Leitsätze bilden.

      Leitsätze Nr. 53 bis 55

      (22. Juni 1924)

      53. Die Entfaltung des Menschenlebens zwischen Tod und neuer Geburt geschieht in aufeinanderfolgenden Stufen. Während weniger Tage unmittelbar nach dem Durchgang durch die Todespforte wird in Bildern das vorangegangene Erdenleben überschaut. Dieses Überschauen zeigt zugleich die Ablösung des Trägers dieses Lebens von der menschlichen Seelen-Geist-Wesenheit.

      54. In einer Zeit, die ungefähr ein Drittel des eben vollendeten Erdenlebens umfasst, wird in Geisteserlebnissen, welche die Seele hat, die Wirkung erfahren, welche im Sinne einer ethisch gerechten Weltordnung das vorangegangene Erdenleben haben muss. Es wird während dieses Erlebens die Absicht erzeugt, das nächste Erdenleben zum Ausgleich der vorangegangenen so zu gestalten, wie es diesem Erleben entspricht.

      55. Eine langdauernde, rein geistige Daseinsepoche