Jo L.L. Roger

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Sweatshirt, das sie über den nackten Oberkörper zieht. Es reicht ihr beinahe bis zu den Knien. Auf dem Rückweg zum Stuhl streift sie den Haarreif zurück und legt ihn neben die Tastatur. Sorgfältig fährt sie sich durch die Haare und versteckt einzelne Strähnen hinter den Ohren. Ungeduldig wirft sie einen Blick auf den Fortschrittsbalken in der Kommandozeile. Langsam füllt sich dort Zeile für Zeile mit Pünktchen, die ihr dezent andeuten, wie schnell das Programm vorankommt. Nach einem wohligen Gähnen leert sie den Orangensaft. Brigitta setzt sich wieder an den Schreibtisch. Die Wartezeit überbrückt sie mit einem ausgiebigen Streifzug durch die unterschiedlichsten Chatkanäle. Sie greift zu einem blanken CD-Rohling, den sie auf ihren Zeigefinger steckt. Gedankenverloren folgt sie den meist belanglosen Unterhaltungen, während sie den Rohling um den Finger kreisen lässt.

      Carl öffnet die Tür zum Computerraum. Brigitta stoppt die Bewegung der Finger für einen Moment. Ihre Augen bleiben auf die Monitore fixiert. Nur mit Shorts bekleidet nähert er sich behutsam dem Schreibtisch. Er hält Kaffee und Tee in den Händen. Wortlos stellt er ihr eine Tasse Earl Grey neben die Tastatur.

      „Danke!“, erwidert sie.

      Der Hüne beugt sich nach vorne, legt seine Hand sanft auf ihre Schulter und küsst sie mehrmals zärtlich in den Nacken. „Wie weit bist du mit dem Release?“

      „Bin bereits am Packen.“ Brigitta streckt sich. „BlitzKey hatte den Crack innerhalb einer Stunde fertig“, antwortet sie schläfrig.

      „Wow! Er ist inzwischen ziemlich fit.“

      „War diesmal nicht allzu schwer. Der Publisher verwendet den identischen Algorithmus der Betaversionen. Nur die Zufallszahl für den Schlüssel hat sich geändert.“

      Carl stößt einen kurzen Lacher aus. Während Brigitta vorsichtig an ihrem Earl Grey nippt, wirft er einen Blick auf die kleinen Schwarz-Weiß-Monitore an seinem Ende des Schreibtischs. Sorgfältig kontrolliert er die Bilder der Überwachungskameras, auf denen sich die Konturen des Vorgartens und der Auffahrt des Reihenhauses abzeichnen. Carl riecht an seiner Tasse und inhaliert den Duft des schwarzen Gebräus, bevor er den ersten Schluck genießt.

      „Wieso bist du so früh wach?“, fragt sie.

      „Konnte nicht mehr schlafen.“

      „Du wirst heute Abend hundemüde sein.“

      „Mach dir keine Sorgen, mein Engelchen. Es ist nicht das erste Mal.“

      „Dieses Mal sind aber ziemlich viele Leute dabei. Auch Security!“

      „Das macht die Sache nur spannender“, flüstert er ihr ins Ohr.

      „Und falls es nicht klappt?“

      „Dann klappt es nicht und ich besorg uns die Kopie nächste Woche, wenn alles wie gewohnt läuft und sich niemand mehr dafür interessiert.“

      Brigitta nickt zögerlich. Da sie bemerkt, dass ihr Programm mittlerweile vollständig ausgeführt worden ist, drängt sie ihren Freund sanft zur Seite und greift nach der Tastatur. „Oki! Wir sind so weit.“

      „Es ist dein Release“, erwidert er aufmunternd und überlässt ihr den gesamten Platz vor dem Monitor. Die Finger fliegen erneut über die Tasten. Sie dupliziert die frisch erzeugten Dateien, startet den Upload auf einen FTP-Server und sendet erste Pakete ins Usenet. Hektisch rutscht sie zwischen den beiden Rechnern hin und her. Sie öffnet das CD-Laufwerk und schiebt den unbenutzten Rohling, mit dem sie ihre Finger beschäftigt hat, in das Gehäuse unter dem Schreibtisch. Nach einigen Mausklicks und Eingaben auf der Tastatur erklingt das sonore Schnurren des Laufwerks. Carl rollt mit dem Bürostuhl gemächlich zum Drucker, der zwischen dem Schreibtisch und einer Reihe IKEA-Regale steht. Routiniert legt er einen Bogen mit runden Etiketten ein. „Papier ist drinnen“, ruft er seiner Freundin zu. Sie antwortet ihm mit einem Mausklick, der den Drucker in Bewegung setzt. Er stößt sich mit dem Fuß von der Wand ab und rollt zurück zu den Computern. Unterdessen verbreitet sie den Titel und die Beschreibung des gecrackten Spiels in verschiedenen Chaträumen. Sofort bedanken sich einige der Anwesenden für die Software und beglückwünschen sie zum erfolgreichen 0-day Release.

      „Herzlichen Glückwunsch“, gratuliert er.

      „Liegst trotzdem vorne“, erwidert Brigitta, als sie aufsteht, um das bedruckte Label aus dem Drucker zu holen. Sorgfältig beklebt sie die frisch gebrannte CD und packt sie in eine Plastikhülle. Carl schaltet die Monitore aus. „Lass uns ein wenig kuscheln.“

      „Gerne!“

      Auf dem Weg nach draußen legt sie die CD zu den Hunderten anderen ins Regal. Er öffnet die Tür, lässt ihr aber den Vortritt. Brigitta nimmt seine Hand und schlendert mit Carl zurück ins gemeinsame Schlafzimmer.

      * * *

      Carl sitzt in schwarzen Shorts und T-Shirt vor einem Power Mac im Computerraum. Er schiebt ein Stück kalte Pizza in sich hinein, während er am Monitor ein Video begutachtet. Hin und wieder stoppt er die Wiedergabe, zoomt in den Film und kontrolliert die Qualität der Aufnahme. Unzufrieden legt er das angebissene Pizzastück beiseite, wischt die fettigen Finger am T-Shirt ab und greift zur Tastatur. Zielsicher navigiert er durch die Menüs des Programms und verändert einige Einstellungen. Gekonnt hellt er das matschige Videobild auf und schärft es ein wenig nach. Durch die Timeline des Videos hangelt er sich zu den einzelnen Szenen des Films. Zufrieden gönnt er sich einen Bissen Pizza und startet die Wiedergabe. Während Carl den letzten Rest seines Stücks verschlingt, rollt er gemächlich mit dem Bürostuhl zum PC in der Mitte des Schreibtischs. Aus den Boxen neben dem Monitor erklingen nach einigen Momenten entspannende Trance Rhythmen. Sanft stößt er den Bürostuhl vom Tisch ab. Mühelos gleitet er ans andere Ende des Schreibtischs, unter dem ein Kühlschrank steht. Ohne aufzustehen, öffnet er dessen Tür und greift nach einer Flasche Afri Cola.

      Gelangweilt betrachtet er den Film, in dem sich gerade ein Pärchen leidenschaftlich küsst. Ein kurzer Blick auf die Timeline verrät ihm, dass dies das Happy End sein muss. Carl wippt ungeduldig auf dem Stuhl vor und zurück, bis das Bild abblendet. Mit einer flinken Handbewegung stoppt er die Wiedergabe, geht einige Bilder im Video zurück und schneidet den Rolltitel ab. Zufrieden öffnet er das Exportmenü des Schnittprogramms. Er wählt dort die benötigten Einstellungen aus, damit der Film auf eine einzelne CD passt. Während er den Dialog bestätigt, hört er auf dem Korkboden Schritte. Gemächlich dreht er sich zu Brigitta, die ihre feuchten Haare abtrocknet. Nackt geht sie auf ihn zu. „Wie weit bist du mit dem Streifen von gestern gekommen?“

      „Ich transcodiere gerade das Video. Die Bearbeitung hat leider ewig gedauert, da die Aufnahme zu dunkel war.“

      „Glaubst du, dass Vincent die neuen Kameras mitbringt?“, wundert sie sich, während sie mit dem Handtuch die letzten Wassertropfen von ihrem kindlichen Körper abtupft.

      „Ich hoffe es. Wäre toll, wenn ich heute Abend eine Kamera mit besserer Aufnahmequalität hätte“, erwidert Carl. Er wirft einen kurzen Blick auf ihre dezenten Rundungen. „Du solltest häufiger in die Sonne gehen. Du bist käseweiß.“

      „Na und? Ich bekomm mehr Sonne ab, als mir lieb ist.“

      „Ein wenig Farbe steht dir.“

      „Dir ist hoffentlich bewusst, dass du im Dunklen leuchtest?“

      Er antwortet ihr mit einem unsicheren Lächeln. Zärtlich zieht er seine Freundin zu sich heran. Die Haustürklingel unterbricht den liebevollen Zungenkuss abrupt. Carl hält inne und blickt zu den Schwarz-Weiß-Monitoren. Enttäuscht löst er die Umarmung. Sie wirft das Handtuch über ihre Schulter und fährt ihm sanft durch die kurzen schwarzen Haare. „Ich geh mir etwas anziehen.“

      „Bitte.“ Sehnsüchtig schaut er seiner Freundin hinterher, die mit grazilen Schritten im Schlafzimmer entschwindet, während er die Treppe zum Erdgeschoss nimmt.

      Der dunkle Anzug, die gegelte Frisur und die Sonnenbrille in den dunkelblonden Haaren lassen Vincent wie einen Investmentbanker aussehen. Er wartet geduldig vor der Haustür, bis Carl öffnet. Die beiden jungen Männer begrüßen sich mit einem kräftigen Handschlag. „Guten Morgen!“

      „Guten