K.T.N Len'ssi

Melanie, Deine Haut hat die Farbe der Erde


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hatte aber starke Sehnsucht nach ihm und ein großes Identitätsproblem. Ihre Mama und die Familie ihrer Mama erzogen sie selbstverständlich sehr deutsch, ohne Rücksicht auf das Schwarze, das sie auch in sich trug. Alle Erfahrungen und Erlebnisse, die sie machte, brachte sie ständig mit dem Schwarzsein in Verbindung. Sie war einfach nicht weiß. Sie musste feststellen, dass überall wo sie hinging, immer als schwarze Frau betrachtet wurde. Manchmal auf Partys sagten Leute Sachen zu ihr wie „Wo kommst du her?“ oder „Es muss für dich kalt sein, oder? Bei euch in Afrika ist es sicherlich viel wärmer“ oder „Du sprichst sehr gut Deutsch. Wo hast du diese schwere Sprache gelernt?“, usw. So entstand bei ihr ein enormes Identitätsproblem. Von Tag zu Tag spürte sie, wie der schwarze Teil ihr fehlte und sie fing an, gegen ihre Mutter zu rebellieren und sich zu beklagen, warum sie sie nicht als Schwarze erzogen hatte, wenn sie doch gewusst hatte, dass man in der Gesellschaft alles, was mit schwarzem Blut vermischt ist, als rein schwarz abstempelt. Ihre Mama und ihre Großeltern wehrten sich vergeblich, indem sie ihr sagten, dass sie auch weiß sei. “Ihr habt keine Ahnung, ihr seid auch wie diese Rassisten“, sagte sie einmal in ihrer Wut, weil die anderen ihr Problem nicht verstehen konnten oder wollten. Daraufhin, auch in Wut, sagte ihr ihre Mama: „Ihr Schwarzen rennt nur vor euer Verantwortung weg. Dein Vater ist davongerannt und du willst auch davonrennen. Ich habe genug von euch. Dein Vater wird es büßen. Er wird es büßen, mich mit diesem Problem allein gelassen zu haben. Ich hatte ihm das auch gesagt. Er sollte warten, bis du 18 bist. Ich habe ihn verflucht. Wie hätte ich dich anders erziehen sollen? Ich bin keine schwarze Frau. Ich wollte auch keinen schwarzen Mann mehr haben, denn er tat mir sehr weh. Er nannte mich Schlampe. Anstatt dass du zu mir stehst, verteidigst du noch deinen unbekannten Vater, nur weil er wie du schwarz ist. Naja, Schwarze halten doch immer zusammen. Brother hier, Schwester da.“

      Diese Aussage ihrer Mutter verletzte sie so sehr, dass sie auszog und danach in einem betreuten Heim wohnte. Dass ihre Mutter auch sie „ihr Schwarzen“ genannt hatte veränderte viel in ihr. Eine Liebe zu ihrem Vater entstand und wurde von Jahr zu Jahr größer, und ihre ganze Sehnsucht, ihre ganzen Wünsche und Träume waren eines Tages nur noch bei Papa und mit Papa zu sein.

      Nach diesem Streit suchte ihre Mutter dann plötzlich wieder Kontakte zu schwarzen Studenten in Darmstadt, obwohl sie schon verheiratet war.

      Nach und nach wurde ihre Beziehung zu ihrer Mutter wieder stabiler.

      Es kam wie es kommen sollte, und ihre Mutter begann eine heiße Affäre mit einem jüngeren Studenten aus Kamerun, der langsam auch sehr nett zu ihr wurde. Er wurde ihr erster schwarzer Freund, aber der fehlende Vater in ihrem Leben machte sie seelisch immer kaputter. Ich sagte mir damals, dass ich über dieses Schicksal schreiben werde.

      Der zweite Grund, warum ich mich entschied das Buch zu schreiben, war dann ein Titel in einer Zeitschrift über Inzest. „Ist es noch zeitgemäß, den Inzest zu verbieten?“, so verstand ich es. Ich weiß nicht mehr, ob es so wortwörtlich geschrieben war, aber auf jeden Fall hieß es, dass man es locker sehen solle. Damals berichtete man öfter über Liebe zwischen Familienmitgliedern, von diesem Mann, der mit seiner Schwester mehrere Kinder hatte, oder von diesem Mann in Italien, der mit seiner Tochter zusammen lebte. All das schockierte mich und ich wollte dagegen schreiben. Aber ganz plötzlich kam mir die Idee, in einem Roman darüber zu schreiben und dieses Tabu offen anzusprechen. Viele solcher Fälle passieren unter uns. Sprechen wir doch offen darüber.

      Die Geschichte dieser Frau schien mir geeignet, die verschiedenen Themen anzusprechen: Väter, die ihre Kinder alleinlassen; die seelischen Probleme dieser Kinder; Mutter und Tochter, die den gleichen Mann lieben; Inzest oder Liebe und Sex unter Familienmitgliedern.

      So entstand dieses Buch.

      Namen von Personen sind frei erfunden.

      Gerne kannst du mit mir weiter diskutieren und auch erfahren, wie das Ende der Geschichte in diesem Roman wirklich war, denn die Geschichte, wie ihr am Ende feststellen werdet, lässt ein paar Möglichkeiten zu. Wähle deine Möglichkeit aus und beende den Roman, wie du es dir wünschst.

      Besuche mich auf www.lenssi.de und schreibe dein Ende der Geschichte. Da erfährst du auch, wie nach mir die Geschichte ausgegangen ist. Wer das richtige Ende hat, bekommt eine Karte von mir!

      Viel Spaß beim Lesen.

      Nachdem sie die Wahrheit erfahren haben

      „

      Steh auf, Wanted, es ist schon 19 Uhr“, sagte sie und nahm seine Hand.

      „

      Ich habe seit fast 90 Minuten nicht mehr geschlafen. Seitdem du da sitzt, habe ich nicht mehr geschlafen. Ich habe deine Gedanken verfolgt. Ich freue mich zu sehen, dass du wieder lächeln kannst. Du musst weiterleben“, sagte er und stand auf.

      „

      Wir müssen beide leben, Wanted.“

      In diesem Moment merkte sie doch, wie es wieder schwer wurde, ihm ihre Idee vorzuschlagen. Das Bild von Wanted als Vater war auf einmal wieder massiv in ihrem Kopf. Es war ihr aber sehr klar, dass sie nicht beides haben konnte, wollte und durfte. Aber was wollte sie denn? Mit welcher Wanted-Identität würde sie am besten leben können? Vielleicht war die Idee ihrer Mama doch die einzig gute und vernünftige Lösung? Sie wurde wieder traurig. Sie schaute Wanted in die Augen und verstand, warum sie wieder negativ geworden war. Wanted war blass, seine Augen waren auf einmal farblos weiß, sein Gesicht faltig. Es schien, als ob er über Nacht um zehn Jahre gealtert wäre. Zum ersten Mal sah Melanie, dass Wanted schon weiße Haare hatte. Er sah einfach bemitleidenswert aus, das machte Melanie Angst, und sie bekam eine Vorahnung.

      „

      Wie können wir damit leben, Melanie? Ich bin dein Vater und wir haben Sachen getan, die wir nicht hätten tun dürfen.“

      „

      Aber wir wussten es nicht, Wanted. Wir haben es nicht absichtlich gemacht.“

      „

      Man sagt, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt, und das gilt auch vor Gott. Wir haben eine Ursünde begangen.“

      „

      Warum hat Gott uns nicht davor geschützt? Warum würde er uns für etwas bestrafen, wovor er uns hätte warnen müssen, Wanted?“

      „

      Er ist nicht schuldig, du auch nicht, aber ich trage die ganze Schuld. Ich allein. Gott kann nicht immer da sein, um uns vor unserer Verantwortung zu bewahren. Hätte ich mich nicht vor 18 Jahren vor meiner Verantwortung gedrückt, wäre alles das nicht passiert. Gott kann nichts dafür.“

      „

      Wanted, meine Liebe, es geht nicht um Schuld, Vater.“

      „

      Wie kannst du es noch schaffen, mich ‚meine Liebe‘ zu nennen? Siehst du nicht, was ich dir angetan habe? Das hat nichts mit Liebe zu tun. Das hat mit dem Egoismus eines verantwortungslosen Vaters zu tun.“

      „

      Nein, Wanted, du tust mir weh. Du tust mir weh, wenn du so über dich redest. Du tust mir weh, wenn du mir verbietest dich ‚meine Liebe‘ zu nennen, denn du bist es, auch wenn du mein Vater bist.“

      „

      Meine Tochter, ich verbiete dir das nicht, Liebling. Es ist einfach tragisch, was uns passiert ist. Warum passiert es immer in dem Moment, in dem man am glücklichsten ist?“

      „

      Was denn, Papa?“

      „

      Das Unglück? Warum steht das Unglück immer so nah am Glück?“

      „

      Wir können diese Frage nicht beantworten, aber wir können damit umgehen. Du bist doch so stark, Liebling? Du bist doch so positiv? Sag mir nur etwas, was wir machen können?“

      „

      Du warst die große Liebe meines Lebens, und du