Rudolf Obrea

Der Ruf aus Kanada


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ein selbsterarbeitetes, stets klar erkennbares Ergebnis aufweisen müssen. Deine Reaktion auf die Verhältnisse hier in Bancroft entspricht in der Art, wie du sie uns schilderst, weitgehend unserer Lebensauffassung. Ich bin deshalb überzeugt, dass wir, obwohl als Eindringlinge vorläufig noch argwöhnisch beobachtet, trotzdem bald die gemeinsame Grundhaltung erkennen lassen, die unsere Andersartigkeit nicht nur erträglich macht, sondern die bei den jeweiligen Begegnungen auch als eine zusätzliche, unterhaltsamen Bereicherung empfunden wird. Dave überraschte sie, als er sein Glas erhob und ihnen wohlgelaunt zurief: „ Prost auf eine gute Zusammenarbeit! Wie ich euch bereits sagte, verbringe ich Freitagabend nicht an der Bar und ihr müsst mich entschuldigen, wenn ich bereits gehe, weil meine Frau mit dem Abendessen auf mich wartet. Als Entschädigung offeriere ich morgen einen Spaziergang durch Bancroft, um euch die wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu zeigen.“ Der Vorschlag wurde gern angenommen. Nach dem Abschied von Dave beglückwünschten sich Peter und Sven zu ihrer offensichtlich gelungenen ersten Annäherung und zwar an eine im Ort bekannte und geschätzte Persönlichkeit, eine Tatsache, die für ihren weiteren Aufenthalt nur nützlich sein konnte.

      Das Sword Hotel , in dem Sven und Peter wohnten, befindet sich in der Ortsmitte von Bancroft an der Hastings Street, der langgezogenen, breiten Haupt- und Geschäftsstraße, die die Ansammlung von meist zwei- bis maximal dreistöckigen , kastenartigen Gebäude in zwei Hälften teilt. Zum Süden hin endet die Ansammlung mit einer kleinen Anhöhe, auf der eine aus Granitsteinen gebaute, pseudogotische Kirche samt Rathaus das Wahrzeichen des Ortes sind. Nach Norden hin verlieren sich die Häuser im breiten Tal des York Rivers. Der nahtlose Übergang der Hastings Street in den Highway 62 zeigt an, daß die Zivilisation wieder der endlosen Weite der Naturlandschaft Platz zu machen hat.

      Für Dave bot sich die zentrale Lage des Hotels an, dort seine Begleiter am nächsten Vormittag zur versprochenen Ortsbesichtigung abzuholen. Um ihnen zunächst einen Überblick zu bieten, führte er sie auf einen kleinen, nordöstlich gelegenen Hügel zur Aussichtsplattform des „Eagles Nest“. Von dort sahen sie Bancroft in seiner vollen Ausdehnung und vor Allem auch die Vielzahl der sanften, meist langgestreckten, bewaldeten Hügel, die die Laubverfärbung des Herbstes vom dunkelgrün der Nadelwälder bis zur rotgelben Verfärbung der Laubbäume in einen nahezu unnatürlichen Zaubergarten verwandelte. Die in der Sonne glitzernden hier und da eingestreuten Wasserflächen der Seen machten deutlich, warum die Gegend sich zu einem bevorzugten Urlaubsgebiet entwickelt hatte. Dave erwähnte besonders die Region um den Babtiste Lake und den Paudash Lake, beide ca. 15 km von Bancroft entfernt, und empfahl ihnen, sich dort zum nächsten Frühjahr ein Cottage zu mieten. „Wie ihr von hier aus erkennen könnt, ist nicht Bancroft der Hauptanziehungspunkt, sondern der Aufenthalt in der Abgeschiedenheit dieser Naturlandschaft, der auch mich immer wieder begeistert.“ Peter sah ihn mit skeptisch ernstem Blick an und fragte: „Wie kommen wir über den bevorstehenden Winter?“ „Eine berechtigte Frage, wenn viele Attraktionen des Hauptanziehungspunktes Natur sich vor der Kälte in eine Art Winterschlaf zurückziehen. Ich empfehle euch längere Arbeitszeiten zum Ansparen von mehr Freizeit im Sommer, einen ausgedehnten Weihnachtsurlaub, Wochenendausflüge nach Toronto und nicht zu vergessen, die Teilnahme an unserem hiesigen Gesellschaftsleben beim Eishockeyspielen in unserer Arena sowie diversen anderen Veranstaltungen, die sich durch die aktive Mitwirkung der Bevölkerung großer Beliebtheit erfreuen. Neue Interessenten sind bei den schon fest eingebundenen Einheimischen kaum zu gewinnen und deshalb Zuwanderer stets willkommen, somit für die Fremden die beste Möglichkeit, sich in die vorhandene Gemeinschaft zu integrieren. Die von hier aus gut erkennbare Übermacht der natürlichen Gegebenheiten verlangt von den meist zerstreut lebenden Bewohnern eine uneingeschränkte Nachbarschaftshilfe, die nur über Freunde und Bekannte gewährleistet ist. Nutzt deshalb die Winterzeit, damit ihr anschließend mit der Unterstützung der Einheimischen das Leben in einem schön aber einsam gelegenen Cottage voll genießen könnt.“

      Sven, der aufmerksam zugehört hatte, erwiderte: „Selbst wenn uns der bevorstehende Winter auf eine harte Probe stellen wird, bleibt uns die Hoffnung auf einen verdienten Ausgleich im nächsten Sommer. Zunächst aber werden wir deine Ratschläge befolgen und mit eigenen Ideen ergänzen, damit wir nächstes Jahr gemeinsam unseren Besuchern aus Deutschland die Vorzüge demonstrieren, die das von der Natur geprägte Eigenleben auszeichnen.“ „Ich möchte euch trotzdem nicht nur mit Vorschlägen locken, sondern auch noch die anderen Sehenswürdigkeiten von Bancroft zeigen. Fangen wir am besten beim alten Bahnhof an.“

      Sie gingen in den Ort zurück, überquerten den York River und kamen auf der anderen Seite zu einem nicht besonders auffälligen, lagerhausartigen, eingeschossigen Gebäude, das lediglich mit der Aufschrift „The Old Station“ den alten Bahnhof erkennen ließ. Sie betraten das Gebäude über einen seitlichen Eingang und befanden sich vor dem Ladentisch des durch eine Vielzahl von Prospekten gekennzeichneten Touristen Zentrums. Eine Dame, mittleren Alters, nicht sehr groß und vollschlank erkannte Dave und kam freundlich lächelnd auf sie zu. Er begrüßte sie und stellte Sven und Peter als seine Neuzugänge aus Esslingen in Deutschland vor. Sie grinste über ihr ganzes, breites, hellrosa gefärbtes Gesicht, sah sie mit ihren kleinen, blauen Augen schelmisch an und sagte: „Grüß Gott, ihr Büble, kommt nur rein und verzählet mir etwas übers Schwabeländle. Ich bin die Maria Pröll, die euch im Gegenzug alles über Bancroft berichtet.“ Obwohl er kein deutsch verstand, zeigte sich Dave zufrieden, dass ihm die Überraschung mit der Präsentation der Landsmännin seiner Begleiter gelungen war. Zusammen mit Sven überließen beide Peter die erste Reaktion, die dieser im schwäbischen Dialekt auch sofort parat hatte und so Maria zu ihrer neuen Bundesgenossin machte. Sie wohnte in Baptiste und lud Peter und Sven zum Sonntagskaffee ein, um mit ihnen in deutsch gemütlich weiter zu plaudern.

      Im angeschlossenen Mineralmuseum übernahm Dave wieder die Führung. Er berichtete ihnen: „Die Gegend zählt bereits zur nördlichen Breitenregion, die ganz Kanada von Ost nach West durchquert und dem Land seinen Reichtum an Bodenschätzen der verschiedensten Art beschert. In der Nachbarschaft von Bancroft befinden sich Fundstellen für Edelsteine, zum Beispiel Rubine und Aquamarine, Quarze und andere Halbedelsteine, die sich zwar nicht für eine industrielle Ausbeutung eignen, aber bei geführten Touren für die Touristen über- raschende Funde bereithalten. Einen zusätzlichen Anreiz bieten ausgewählte und bearbeitete Steine, die den Besuchern hier im Mineralmuseum gezeigt werden.“ Sein krönender Vorschlag zum Abschluss ihres Spazierganges lautete: „Besucht zusammen mit euren Frauen die jährlichen Mineralienaustellungen. Dabei kauft ihr günstig Edelsteine und Schmuck, den ihr ihnen wirkungsvoll als Zeichen eurer Zuneigung überreicht.“ Peter, der sparsame Schwabe, erwiderte lachend: „Ich glaube, wir kommen günstiger davon, wenn wir die Frauen auf die Suche nach den Edelsteinen schicken. Dieses gibt ihnen Beschäftigung und ein Erfolgserlebnis, das uns weniger kostet.“ Dave verabschiedete sich daraufhin mit der Bemerkung: „Ich erkenne eure realistische Einstellung und bin überzeugt, dass ihr euch damit bald kaum noch von den Ansichten der hiesigen Bevölkerung unterscheiden werdet.“

      2.8

      Zufrieden gingen Sven und Peter zurück zu ihrem Hotel. Ähnlich den Erlebnissen von Touristen hatten sie die wichtigsten Sehenswürdigkeiten ihrer neuen Umgebung gesehen und erklärt bekommen. Zusätzlich hatten sie sowohl bei der Arbeit als auch bei der Begegnung mit Dave die ersten persönlichen Kontakte geknüpft und dabei wertvolle Hinweise auf die örtlichen Gegebenheiten erhalten, besonders wie sie sich am Besten den kargen Lebensbedingungen des bevorstehenden Winters anpassen konnten. Gespannt blieben sie auf die Erzählungen von Maria Pröll, ihrer neuen Bekannten. Sie wusste als eingewanderte Deutschkanadierin sicherlich noch über weitere Neuigkeiten von Landund Leuten zu berichten.

      Der Ort Baptiste liegt etwa 15 km von Bancroft entfernt., Bei ihrer Fahrt sahen sie unterwegs kaum Häuser, sondern nur bewaldete Hügel zu beiden Seiten einer einsamen Landstraße, die als Abwechslung lediglich von der Überquerung einer flussartigen Verbindung zwischen zwei sumpfartigen Seen unterbrochen wurde. Sie erkannten ihr Ziel an der losen Ansammlung einfacher Holzhäuser, begleitet von einer Anzahl Cottages, die verstreut am langgezogenen Seeufer des Baptist Lakes lagen. Dazwischen ließ sich Marias zweigeschossiges, weißes Haus mit Nebengebäuden zum See leicht ausmachen. Die lange Zufahrt erlaubte der Besitzerin, das Auto ihrer Besucher rechtzeitig zu sehen und sie vor dem Haus stehend,