Harro Pischon

Die Toten am Kleistgrab


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       42 Montag 2.Juli

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       Nachbemerkung des Autors

      1 Sonntagmorgen 10. Juni

      Als Isabel aus dem Bahnhof trat, läutete es von irgendeinem Kirchturm fünf Uhr. Über dem Wannsee lag noch Nebel, aber der Himmel war klar. Es würde ein schöner Tag werden. Doch sie würde, zuhause angekommen, die Vorhänge zuziehen und Schlaf suchen, Vergessen. Wütend stieß sie den Schlüssel ins Fahrradschloss, warf das Schloss in den Korb und fuhr vom S-Bahnhof hinunter zur Königstraße, vorbei am Gartenlokal und der Schiffsanlegestelle.

      Da hatte sie stundenlang mit Alex geredet, gescherzt, geflirtet - und dann kam diese Blondschnecke, diese Hungerharke, klimperte ihn ein paarmal mit ihren künstlichen Wimpern an und verschwand mit ihm. Der Teufel soll sie beide holen!

      Sie überquerte die Königstraße und bog in die Bismarckstraße ein, blieb auf dem Gehweg, um das Kopfsteinpflaster zu vermeiden, näherte sich den vornehmen Ruderclubs und dem dazwischen eingezwängten Kleistgrab. Letztes Jahr hatte sie darüber ein Referat halten müssen. „Sie wohnen doch in derselben Straße, Isabel“, hatte Markwart gesagt, “da bietet es sich doch an, über Kleists Ende und seine Grabstelle zu berichten.“ Die Todessehnsucht und Todesseligkeit Kleists waren ihr fremd geblieben. So fremd wie die Liebe und der autosuggestive Selbstmord Penthesileas. Auf der Lektüre dieses Dramas hatte Markwart bestanden. Ein wenig meinte sie nach dem Referat verstanden zu haben: Mit 34 Jahren glaubte Kleist, für ihn sei „auf Erden nichts mehr zu lernen und zu erwerben übrig“. Er hatte den Eindruck, dass alles, was er unternehme, scheitert. Bis er schließlich der unheilbar kranken Henriette Vogel sagte, „ihr Grab sei ihm lieber als die Betten aller Kaiserinnen der Welt.“

      Isabel hatte ein nachgestelltes Bild gezeigt, wie die beiden in einer Erdkuhle liegen. Sie seufzte – und bremste scharf ab. Sie stand unmittelbar an dem Schild „Zum Kleistgrab“. In Gedanken hatte sie hinübergeschaut zu dem kürzlich renovierten Grab, das nun von der Straße aus gut zu sehen war. Was war das? Am Gitter der Umrandung lehnte etwas Weißes und etwas Schwarzes. Pennten da welche am Grab? Sie ließ ihr Fahrrad stehen und näherte sich vorsichtig. Tatsächlich, da lagen eine weißgekleidete Frau und ein Mann im schwarzen Anzug, fast genauso wie Kleist und die Vogel. Isabel sah sich um, niemand sonst war zu sehen, nicht auf der Straße, nicht auf den Wegen, nicht auf dem Wasser. Die beiden hatten sich nicht bewegt. Der Mann war über den Schoß der Frau gebeugt, in einer obszönen Pose. Isabel sah auf der linken Brust der Frau einen tiefroten Fleck.

      Sie schienen beide tot.

      Isabel ging ein paar Schritte zurück, atmete schnell. Dann kramte sie ihr Handy hervor. Was wählte man in einer solchen Situation? 110 – die Polizei? Oder die Feuerwehr? Sie wählte 110 und berichtete atemlos, wo sie war und was sie sah. Nachdem sie ihren Namen gesagt hatte, wurde ihr bedeutet, sie solle bleiben und auf die Streife warten, die gleich vorbeikomme.

      2

      „Mister Sandman, bring me a dream, make him the cutest, that I've ever seen...“ Dieser Klingelton ist unmöglich, dachte Beate Lehndorf beim Aufwachen. Noch dazu am Sonntag, einem dienstfreien Sonntag, wenn Ausschlafen angesagt war. Benni muss mir bald einen anderen einstellen, ich habe keine Lust, mich mit diesen Dingern abzugeben. Sie lächelte, weil sie an ihren früheren Leib- und Magenspruch dachte, wenn es um Handys ging: Nur Dienstboten sind immer zu erreichen. Aber eine Kriminalhauptkommissarin ohne Handy ging inzwischen gar nicht mehr.

      „Was gibt's?“, krächzte sie verschlafen. Und es folgte das übliche Wo? und Ich komme! Sie würde später Petra anrufen, dass sie sich um Ben kümmern solle. Beide waren das schon gewohnt. Nur dass sie wieder nicht dazu kam, den versprochenen Sonntagsausflug zum Tempelhofer Feld zu machen und mit Benni auf der ehemaligen Startbahn zu skaten.

      Nach wenigen Minuten stieg sie in ihren alten verblichenen Golf, der sie aber noch nie im Stich gelassen hatte. Am Insulaner vorbei fuhr sie zur B1, die nach Wannsee führte. Am frühen Sonntagmorgen war fast niemand unterwegs. Sie schob eine CD ein und hörte Kantaten mit dem Countertenor Andreas Scholl. Zwei Tote am Kleistgrab? Hatte da ein Liebespaar dem Dichter nachgeeifert? War es die Inszenierung eines Doppelmörders? Die Leitstelle hatte natürlich keine genauen Angaben machen können.

      Beate hatte im letzten November von der Renovierung des Kleistgrabs gelesen. Sie wusste, dass er 200 Jahre vorher zusammen mit einer Frau aus dem Leben geschieden war. Aber als Autor war er ihr nicht nahe. Wohl kannte sie aus der Schulzeit „Michael Kohlhaas“, den damals – für eine Dresdner Schule - radikalen Kämpfer gegen das feudale Unrecht seiner Zeit. Und jüngst war sie im Theater gewesen und hatte den „Zerbrochenen Krug“ gesehen, mit Edgar Selge, den sie mochte. Seine Figur des einarmigen Tauber im „Polizeiruf“ mit ihrer mürrischen Eigenbrötlerei hatte sie erheitert. Als nackter Dorfrichter Adam auf der Garderobentheke, umringt von den auf Einlass wartenden Zuschauern, hatte er sie zum Lachen gebracht.

      Sie bog nach der Bahnunterführung am Wannsee in die Bismarckstraße ein. Nach wenigen hundert Metern hielt sie hinter den Streifenwagen und den Dienstwagen der Spurensicherung. Am frühen Sonntagmorgen war es in der Straße noch ruhig, ohne Neugierige. Sie bog in den schmalen Pfad zum Grab ein. Die Blitzlichter des Polizeifotografen flammten immer wieder über die anderen weißgekleideten Spurensucher des Tatorttrupps. Menzel war auch schon da. Oberkommissar Wolfgang Menzel, ihr Kollege, 45 Jahre alt, Bremer, und immer in feinstes Tuch gekleidet. Er konnte nur schwer mit der Tatsache umgehen, dass eine Frau ihm vorgesetzt war. Vielleicht war er deshalb seit langem hinter Beate her.

      „Morgen, Wolfgang, was wissen wir?“

      „Guten Morgen, Frau Hauptkommissarin, Traber ist noch dran.“ Josef Traber, der Gerichtsmediziner, war über die Toten gebeugt und sprach in ein Diktiergerät. Beate wusste, dass es keinen Zweck hatte, ihn zu stören. Er hätte nur die Falten in seinem Gesicht durch das Hochziehen der Brauen vermehrt und ihr einen unwilligen Blick aus seinen Echsenaugen zugeworfen.

      Überraschend stand er auf, drehte sich um und sprach Beate an: „Jedenfalls ist es nicht das, wonach es aussieht.“

      Menzel mischte sich ein: „Also kein gemeinsamer Freitod, wie bei Kleist.“

      Die Echsenaugen hefteten sich kurz auf Menzel, als ob sie sagen wollten, er solle seinen Ehrgeiz nicht so lärmend offenbaren.

      „Das Arrangement legt es nahe. Die Frau lehnt am Gitter und hat eine Schusswunde in der Brust. Der Mann hat eine tödliche Wunde in der rechten Schläfe. Er liegt auf dem Schoß der Frau und neben seiner rechten Hand eine Pistole.“

      „Aber es ist fast kein Blut zu sehen“, staunte Beate Lehndorf.

      „Sie sagen es, Frau Hauptkommissarin.“

      „Also ist dies nicht der Tatort, nur