Hermine Stampa-Rabe

Auf zum Nullarbor


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sicher auch viel zu kalt. Verständlich. Und bei diesem Sturm können sie sich wohl auch nur schwer auf den stark hin und her schwankenden Zweigen halten. Wie dann dabei noch aus vollster Kehle und Leidenschaft zwitschern? Das ist ihnen wohl vergangen. Hätte ich auch nicht gemacht.

      Während überall bis Echuca die Gallahs die Bäume und die Luft mit ihrem Geschrei bevölkern, gibt es in Echuca fast nur die weißen Kakadus. Also, wer sich vorher über den Lärm der Gallahs beschwert hatte, der soll hier eines anderen belehrt werden. Diese machen einen noch viel größeren Lärm. Aber ein Lachender Hans ist nirgendwo zu Gast in den Bäumen. Ich bin müde und lege mich schlafen.

      02.02.2013: Zweiter Ruhetag in Elmore: 0 km

      Außer schlafen, essen, trinken, eine andere sehr gute warme Jacke für morgens und abends gekauft, ist nichts weiter passiert. Morgen möchte ich in mehreren Tagesetappen weiter an die Great Ocean Road nach Warnambool radeln. Ich hoffe, dass es nicht zu steil über die Berge geht.

      Um 18.00 Uhr australischer Zeit bin ich mit meiner Tochter Gudrun und ihren beiden kleinen Töchtern Anna-Lena und Marie per Skype verabredet. Eine ganze Stunde unterhalten wir uns per Video zwischen Spanien und Australien. Was die Technik alles schaffen kann! Ich bin begeistert! Eine super Technik mit dem Skype! Vielen Dank, ihr Ingenieure, die ihr das geschaffen habt!

      Und dieses Skype-Gespräch mache ich per Akku; denn meine Familie möchte mein Zelt und mein Umfeld sehen. So wandere ich damit auf dem Caravan Park hin und her. Sie sind begeistert! Nur wurde davon mein Akku ziemlich alle.

      In den sanitären Anlagen, wo ich mich sehr oft mit meinem Computer aufhalte – immer an der elektrischen Leitung – stecke ich wieder den Stecker dafür und mein kleines WIFI in die Steckdosen. Nun muss ich warten, bis sich das kleine orange leuchtende Licht wieder in grün verfärbt. Mein Notebook möchte ich dort nicht unbewacht stehen lassen, bleibe dabei und beginne, von zu Hause zu träumen. Aber dort ist es zurzeit lausig kalt. Und Kälte mochte ich noch nie. Da gefällt es mir hier entschieden besser!

      Und während ich da so stehe, betritt eine Frau den Raum, die mit ihrem Mann gerade ihr Zelt neben ihrem Wagen aufgestellt hat. Sie stammt aus der Nähe von Rotterdam in Holland und war oft um das Isle-Meer geradelt. Das war eine Strecke für einen knappen Tag, aber mit einer wunderbaren Sicht immer auf das Wasser mit seinen Wassersportlern. Sie selbst radelt aber nicht gern. Sie ist Malerin. Auch hier übt sie ihr Hobby aus. Ihr Mann fährt dann zum Beispiel nur hier in der Gegend von Melbourne dahin, wo es wunderschön ist. Dort wird gehalten und gemalt.

      Ich erzähle ihr: „Nach dem Krieg wurde mein Bruder Helmut aufgrund der Unterernährung nach Holland in eine Familie mit zwölf Kindern verschickt. Er hat es dort sehr gut gehabt. Normalerweise sollte er nach sechs Wochen wieder zu uns zurückkehren, aber die Eltern schrieben uns, dass sie Helmut noch über Weihnachten und bis zum 6. Januar bei sich behalten wollten. Sie liebten ihn alle. Am liebsten hätten sie ihn adoptiert. Er kam am 7. Januar gut ernährt und ganz glücklich bei eisiger Kälte wieder zu uns nach Hause, war sehr gut eingekleidet worden, konnte aber nur noch Holländisch sprechen. Dort war er auch während der ganzen Zeit zur Schule gegangen.“

      Aber warum erzähle ich das dieser netten Frau heute? Ja, wir lebten seit 1952 auf der Nordseeinsel Amrum. Und im Februar 1953 ging von Holland bei einer riesigen Sturmflut ein sehr großer Teil seines Landes unter. Mein Vater forschte hinterher nach, ob diese lieben Leute am Leben geblieben waren. Leider waren alle ertrunken.

      Ich wollte ihr nur erzählen, wie liebenswürdig die Holländer sind. Sie war von dieser wahren Geschichte sichtlich tief berührt. Aus ihrem Duschen wurde nichts. Die Zeit ging vorbei und ihr Mann wartet auf Abendessen. So geht sie erst einmal unverrichteter Dinge zurück zum Zelt. Am kommenden Morgen möchte sie mich verabschieden.

      Ein Blick zu meinem Computer – das orangefarbene Lämpchen hat sich in grün verfärbt. Der Akku ist aufgeladen. So gehe ich zum Zelt, ziehe alle meine warmen Sachen übereinander und schiebe mich wie eine dicke Tonne in meinen – zum Glück – weiten Schlafsack.

      Über die Wasserscheide gen Südwesten

      03.02.2013: Elmore – Castlemaine: 88 km

      In der Nacht träumte ich, dass ich hier in Australien mit Gerd Hausotto an einem Kanal stehe, der beidseitig hoch mit Schilf bewachsen ist. Und während wir uns unterhalten, fährt ein großes Containerschiff an uns vorbei. Wir drehen uns um und schauen ihm hinterher. Aber was steht da in ganz großen Lettern quer am Hinterschiff?

      HERMINE VON STAMPA

      IN AUSTRALIEN

      Ich schaue Gerd Hausotto ganz perplex an. Er schmunzelt. Das große Schiff fährt auf dem Kanal weiter und verschwindet hinter dem Schilf.

      Als ich um 4.00 Uhr morgens aus meinem Zelt krabble, mir die Flip-Flops an die Füße stecke und meinen Blick zum Himmel richte, steht ganz klar und deutlich das Kreuz des Südens über mir. Und der Vollmond ist jetzt zum Halbmond geschrumpft. Gestern stand er noch senkrecht am Himmel, heute in der Nacht liegt er wie eine Schale quer am Firmament.

      Ich schlief wunderbar. Kein kalter Wind sauste durch mein Zelt. Ich war auch sehr warm angezogen. Um 6.15 Uhr schiebe ich bei Morgengrauen – nein, Morgenröte – mein bepacktes Fahrrad vom Caravan Park. Die beiden netten Frauen, die mich eigentlich verabschieden wollten, schlafen noch. Habe es ihnen nicht angetan, sie zu so früher Stunde aus dem Schlaf zu reißen.

      Windstille. Der Himmel färbt sich langsam aber sicher immer intensiver orange. Es radelt sich sehr gut. Kann ordentlich viel Geschwindigkeit machen. Hin und wieder fährt ein Auto an mir vorbei. Als die Sonne den Horizont erklimmt, fotografiere ich sie und radle weiter.

      Um 8.00 Uhr erwacht der Wind. Die Wärme der Sonnenstrahlen und die Kühle der Nacht kämpfen miteinander ums Vorrecht. Das schaukelt sich heute langsam hoch. Nun beginnen auch die Vögel – sagen wir, die australischen Elstern – an, zu jubilieren. Diese schwarz-weißen Vögel bewundere ich sehr. Sie können so melodisch flöten, schnalzen, wie zweistimmig jodeln – sagenhaft angenehm zu hören.

      Mit diesen Gedankengängen verrinnt die Zeit. Ich sehe beidseitig Stoppelfelder, grasende Schafe und Weinplantagen.

      Als ich nach Bendigo einradle, finde ich in der ganzen Stadt auf meiner Durchfahrt einen Fahrradweg. Rennradfahrer fahren in Gruppen oder allein im Sonnenschein auf ihren wertvollen Rädern und in ihren bunten Trikots dahin. Ja, mit so einem leichten Rad könnte ich auch mehr Geschwindigkeit aufnehmen. Aber ich bin mit meinem Dauertempo ganz zufrieden.

      Bendigo ist eine hübsche und größere Stadt. Aber ab jetzt geht es „zur Sache“, was das Gelände anbelangt. Jetzt wird es bergig. Zum Glück hatte mir Malte Wiedemann aus Hamburg empfohlen, das ganz kleine Zahnrad vom Hardo-Wagner-Rad an mein altes verkapptes Rennrad von 1985 bauen zu lassen. Damit kann ich nun die sich vor mir auftürmenden Berge gut bewältigen. „Vielen Dank, lieber Malte! Ich nehme an, bei dir hat es von meinen positiven Gedanken in deinen Ohren geklingelt.“

      8 km vor Castlemaine werde ich auf eine andere Straße gelenkt. Im nächsten Ort, Harcourt, steige ich vor einem kleinen Geschäft ab, in dem man alles erhalten kann. Ich muss mich erst einmal nach diesen Bergen mit Essen trösten. Hier gibt zu meiner hellen Freude Kartoffelpuffer. Dazu lasse ich mir noch Spiegeleier braten. Und was ich nie tat, aber auf dieser Tour doch, ist, dass ich mir eine CocaCola zum Trinken kaufe.

      Die Frau, die das Essen in der Küche herstellt, fängt an, sich mit mir zu unterhalten. Sie ist von meiner Fahrradtour ganz begeistert und erzählt mir, dass ihr Sohn eine Rundfahrt per Fahrrad um Europa gemacht hatte – in drei Monaten. Ich lobe ihn sehr. Das hat er auch verdient. Und als ich diese mich anlächelnde Frau frage, woher ihre Vorfahren nach Australien kamen, erzählt sie mir, dass ihr Vater aus Schottland stammt. Und als ich ihr erzähle, dass ich mit dem Fahrrad in England von Land’s End bis zu Schottlands letztem Haus in John O’Groats geradelt war und dass Schottland so sehr schön sei, ist sie ganz begeistert. Sie nennt mir ihren Vornamen Amanda und bittet um meine Email-Adresse, um sich weiterhin mit mir unterhalten