Tanja Heller

SEELENKRATZER Skin Picking und Trichotillomanie


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Räusper! Einmal krachte es laut, als ich unserem Hund heimlich ein viel zu dickes Barthaar entfernte. Alle sahen mich fragend an. Besonders der Hund. Ich war in Erklärungsnot. Die Krankheit hat verheerende Folgen für die Selbstachtung und das Selbstbewusstsein. Man fühlt sich durch den Verlust der Haare nackt und erbärmlich, seines natürlichen Körperschmucks beraubt. Das Schlimmste: Man tut sich die Verstümmelung ja immer wieder selber an. Und traut sich selbst nicht mehr über den Weg, weil man trotz aller Vorsätze nicht davon loskommt.

      Es ist wie eine geheime Mission, die du erfüllen musst: Die Grauen, die Fettigen, die Kaputten. Die du aufgrund ihrer Farbe oder Struktur als Fehlhaare interpretierst. Sie haben kein Bleiberecht. Sie müssen weg! Einzelne, Strähnen oder ganze Büschel. Dein Arbeitsauftrag verändert sich mit der Zeit. Reißen fühlte sich für mich lange Zeit so normal an, dass ich das gar nicht hinterfragt habe. Ich riss anfangs nur dicke, schwarze, geriffelte Haare. Sie sind heute alle weiß, dünn und seidig. Ich liebe sie und sie dürfen bleiben. Meine Hände suchen jetzt ritualisiert und automatisch igelige in den Augenbrauen. Kopfhaare reiße ich nicht mehr. Ich fühle nur ihre geriffelte Struktur. Beim Telefonieren, Fernsehen oder in geistiger Abwesenheit. Ich habe eine leichte Trich. Eine hartnäckige Trich!

      Manche lassen sie über die Lippen oder durch die Finger gleiten oder machen Knoten, drehen und zwirbeln sie. Besondere Highlights: spalten, lutschen oder essen des Haars. Achtung, jetzt wird es eklig! Ich mag besonders, wenn die Haarwurzel nass ist. Dann fühle ich mich porentief gereinigt. Damit streiche ich über meine Haut. Am liebsten würde ich die schwarze Haarfarbe in der Wurzel auf einem Taschentuch zermalmen und damit malen. Das erlaube ich mir aber selten. Die Haarzwiebel ist eine besondere Beute für mich - die Krönung. Eine Art Säckchen, die eigentliche Haarfabrik: Das verdickte Ende der Haarwurzel wächst schräg in die Unterhaut.

      Manche Ausreißer sind lange abstinent. Sie rupfen nur gelegentlich. Oder bei besonderer Belastung. Andere täglich. Nach dem überraschenden Auszug meiner Tochter zupfte ich nicht mehr kontrolliert oder gelegentlich. Wie all die Jahre zuvor. Mein Tag hatte plötzlich keine Struktur mehr. SP gab sie mir. Ab da zupfte ich täglich mehrere Stunden. Vor der Periode reißen Frauen stärker. Ich fühle mich dann gewaltbereit! Ausreißer und Kratzer sind meist gehemmte Menschen, die ihre Aggressionen nicht ausleben können. Alle Körperhaare können bewusst ausgesucht werden. Bei mir verschieben sich die Baustellen von selbst. Die Krankheit hat sich generalisiert. Ich kann das nicht mehr beeinflussen. „Ich zupfe jetzt mal Wimpern. Damit sich meine Augenbrauen erholen können“ ist nicht! Wäre praktisch. Aber: Wimpern sind meinem Monster egal.

      1. Du bist geil drauf. Du spürst einen Spannungsbogen aus Lust und Anspannung. Oder du spürst nichts und machst es impulsiv: Unüberlegt. Unerwartet. Plötzlich. Wie ferngesteuert. Ich kenne beides.

      2. Du reißt oder knibbelst. Das fühlt sich richtig gut an. Es hat etwas Erlösendes.

      3. Es wird dir bewusst, was du getan hat.

      4. Du bereust es.

      5. Du machst dir Vorwürfe und schämst dich.

      6. Du wertest dich ab: „Ich bin eine Null! Ich habe mich einfach nicht im Griff! Ich werde das nie schaffen! Ich habe wieder versagt.“

      7. Du hast Wiedergutmachungsrituale: die verletzten Stellen kaschieren, kühlen oder cremen. Baden, duschen. Maske, Peelings.

      Nicht jeder durchläuft alle Phasen.

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