Joana Goede

Der Dichter und der Tod


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gut. Auf einen Wechsel der Kleidung verzichtete er entsprechend, um Zeit zu sparen. Lieber den Mord aufklären.

      Was waren schon eine nasse Hose und ein nasses Hemd gegen einen toten Menschen?

      Mehring meinte, als Kromnagel schwieg: „Normalerweise nehme ich einen Kaffee nie an, wenn ich Zeugen befrage.“

      Kromnagel: „Und was genau hat Sie bewogen, heute eine Ausnahme zu machen?“

      Mehring antwortete sofort: „Was denken Sie? Der Regen natürlich!“

      Beide lachten und wussten nicht richtig, was sie reden sollten. Es war auch für Kromnagel eine merkwürdige Situation, so einen ermittelnden Beamten in seiner Wohnung zu haben, der ohne Schuhe mit seinen Handtüchern in seinem Sessel saß und seinen Kaffee trank. Aber dieser Polizist vermittelte Kromnagel etwas sehr Wichtiges: Sicherheit. Nach all der Aufregung mit der Leiche, nach seiner Angst vor dem unbekannten Täter. Die Polizeipräsenz in seiner Wohnung beruhigte ihn und er war bereit, noch mehr von seinem Kaffee zu verschenken, wenn dieser Mehring dafür länger blieb. Das war selbstverständlich Unsinn und Kromnagel wusste das.

      Er fragte leise: „Glauben Sie, glauben Sie denn wirklich, dass ich in Gefahr sein könnte? Weil ich diese Person gesehen habe?“

      Tristan erschien im Wohnzimmer, blickte kurz von Mehring zu Kromnagel und zu Mehring, sprang dann auf den Tisch, schnüffelte am Kaffee, ließ sich von Kromnagel streicheln und rollte sich anschließend beruhigt auf dem Sofa zusammen.

      Mehring gab zur Antwort: „Es tut mir leid, aber ausschließen kann ich es nicht. Sie könnten in Gefahr sein, in großer Gefahr. Ich sage Ihnen das, damit Sie vorsichtig sind. Und uns in jedem Fall verständigen, damit wir Ihnen helfen können.“

      „Woran ist sie...eigentlich...gestorben?“, erkundigte sich Kromnagel und vor ihm erschien unweigerlich das Bild der Toten, wie sie abschreckend mit dem geöffneten Mund und den weit aufgerissenen Augen dagelegen hatte. Ein Bild, das ihn bis tief in seine Träume verfolgen würde.

      Mehring nahm einen großen Schluck Kaffee bevor er sagte: „Das kann erst die Obduktion ergeben. So war nicht viel zu erkennen. Keine offensichtlichen Wunden. Eine Vergiftung wurde in Betracht gezogen. Aber eigentlich dürfte ich Ihnen das gar nicht sagen.“

      Kromnagel warf ein: „Es interessiert mich. Immerhin habe ich sie gefunden. Ich wüsste gern, wer sie war und warum sie hat sterben müssen. Bis ich diese Dinge nicht weiß, werde ich wohl nicht ruhig schlafen können. Ungelöste Fragen machen mich nervös.“

      Mehring lächelte und meinte: „Dann wären Sie bei uns auch nicht schlecht aufgehoben.“

      „Mag sein“, brummte Kromnagel. Tristan schnurrte leise auf dem Sofa.

      Kromnagel bat Mehring: „Halten Sie mich auf dem Laufenden? Ich verstehe ja, dass Sie vorläufige Ermittlungsergebnisse nicht an mich weitergeben dürfen. Doch ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir zumindest die Dinge sagen, die Sie guten Gewissens sagen dürfen.“

      Mehring nickte: „Ja, das werde ich.“ Er erhob sich und fügte hinzu: „Und morgen kommen Sie zu mir und wir machen das Protokoll. Tun Sie mir den Gefallen und denken Sie noch einmal genau darüber nach, was Sie gesehen haben, was Ihnen aufgefallen ist. Jedes Detail könnte uns einen Hinweis liefern.“

      „Müssen Sie denn schon gehen?“ Kromnagel war ebenfalls aufgestanden, Mehring machte ein paar Schritte Richtung Flur. Er sagte: „Leider ja, die Arbeit ruft. Denken Sie daran, sich zu melden, wenn Ihnen etwas komisch vorkommt.“

      Kromnagel: „Sie meinen, weil ich diese Person gesehen habe und diese Person mich gesehen hat. Und wenn sie gar nicht diejenige war, die Sie suchen?“

      Mehring zuckte mit den Schultern: „Es ist die einzige Spur, die wir haben. Und besser, wir sind in diesem Fall übervorsichtig, als wenn wir bald die nächste Leiche haben.“

      Kromnagel rief erschrocken: „Meinen Sie mich damit? Glauben Sie, er könnte mich auch...?“

      Mehring entschuldigte sich rasch dafür, was er gesagt hatte, gab aber zu: „Es besteht eben ein Risiko für Sie, das können Sie sich denken. Rufen Sie mich in jedem Fall an, egal was ist. Auch mitten in der Nacht. Genieren Sie sich nicht. Das ist mein Job.“

      Kromnagel erwiderte leise: „Danke.“

      3 Verwicklung

      Als Mehring gegangen war, fühlte Kromnagel sich verlassen und verängstigt.

      So kam es auch, dass er ganz grässlich zusammenzuckte, als plötzlich das Telefon klingelte. Der Ton fuhr Kromnagel schrill in die Ohren, die noch von der Kälte leicht schmerzten. Selbst der Kater Tristan zuckte im Schlummer, öffnete jedoch nicht einmal ein Auge.

      Kromnagel hatte sich dabei erwischt, auf dem Sessel kurz eingenickt zu sein. Die Brille war ihm dabei ganz nach vorn auf die Nase gerutscht. Fest hatte er sich vorgenommen, sie nicht mehr abzunehmen. Nur zum Duschen und Schlafen.

      Ein Blick auf die Wanduhr sagte ihm, dass Mehring bereits vor einer halben Stunde gegangen war. Diese halbe Stunde war in Kromnagels Wahrnehmung auf eine einzige Minute zusammengeschrumpft. Das Telefon ließ erneut seinen unangenehmen Laut hören. Kromnagel sah sich gezwungen, sich ächzend von dem Sessel zu erheben und den Hörer abzunehmen. Immerhin hoffte er auf Anabell, die ihn in diesen Tagen hatte besuchen wollen. „Ein netter Mensch zum Reden wäre jetzt genau das Richtige“, dachte Kromnagel, kurz bevor er abnahm und sich mit seinem Namen meldete.

      Zuerst hörte er nichts. Es herrschte Stille im Hörer. Kromnagel meinte schon, es habe sich jemand verwählt. Er sagte: „Hallo?“ Fast wollte er schon auflegen und sich mit einer Wolldecke auf den Sessel verziehen, dann hörte er mit einem Mal die Stimme. Diese Stimme jagte ihm ein Frösteln über den Rücken, ließ ihn erbeben und um ein Haar wäre ihm der Hörer vor Unbehagen entglitten.

      Die Stimme war dumpf und klang unmenschlich. Sie wirkte nicht richtig verzerrt, aber irgendwie unnatürlich. Wie aus einer anderen Welt kommend, wie aus einer anderen Zeit. Die Betonung der Wörter war ungewöhnlich, die Silben zu sehr gedehnt.

      Kromnagel hörte: „Sie werden schweigen.“ Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Denn er traute sich gar nicht zu antworten. Nur der Automatik in sich hatte er es zu verdanken, dass er nicht anders konnte, als auf diese Wörter, die für ihn keinen Sinn ergaben, folgendermaßen zu reagieren: „Wie meinen Sie das? Wer spricht da?“ Kromnagel konnte das gar nicht verhindern. Er hatte es fragen müssen, ohne sein Zutun. Das völlige Unverständnis drängte ihn dazu.

      Die Stimme sagte nun: „Sie werden niemandem etwas sagen. Sie werden schweigen über alles, was Sie heute gesehen haben.“

      Kromnagel stockte das Blut in den Adern. Er stotterte hilflos in den Hörer: „Ich...ich...habe...nichts...hören...hören...Sie....bitte...ich...“

      Aber die Stimme unterbrach ihn barsch und bellte nun: „Sie schweigen! Hören Sie? Sie werden schweigen! Es wird Ihnen leid tun, wenn Sie etwas sagen!“

      Aufgelegt. Einfach aufgelegt. Kromnagel glaubte, er müsse auf der Stelle das Bewusstsein verlieren. Mit dem Hörer in der Hand stand er still. Der Hörer tutete. Kromnagel sank langsam auf den Boden, verweilte auf den Knien. Hielt den Hörer fest umklammert. Sein erster Gedanke war: Mehring. Der zweite war, dass er in keinem Fall Mehring anrufen durfte. Er sollte schweigen. Doch wie sollte er? Worüber sollte er schweigen? Hatte er der Polizei nicht schon alles erzählt?

      Kromnagel legte, noch auf den Knien, den Hörer zurück. Wollte die Verbindung zu dem anderen, dem Unbekannten, der ihn bedrohte, endgültig abbrechen. Und doch fürchtete sich Kromnagel weiter. Der Täter kannte Kromnagel. Er wusste seinen Namen, seine Adresse, seine Telefonnummer. Womöglich beobachtete er Kromnagel bereits seit dem Augenblick ihres Aufeinandertreffens auf dem Friedhof. Kromnagel wurde bewusst, dass der Mörder die ganze Zeit hätte unsichtbar irgendwo an einer Wand im Regen stehen können. Niemand hätte ihn sehen können. So viele Leute waren dagewesen, so viele hatten einfach herumgestanden. Friedhofsbesucher, Friedhofsgärtner, Polizisten, frühe