hatte. Doch auch wenn diese „israelischen Araber“ durch eigene Abgeordnete in der Knesset vertreten waren, betrachteten die meisten von ihnen den Staat Israel als Besatzungsregime. Auf der anderen Seite erkannten viele Juden in ihnen nichts weiter als die fünfte Kolonne der arabischen Todfeinde im eigenen Land. Mehrere Terroranschläge die aus den Reihen der israelischen Araber in den letzten Jahren unternommen worden waren, bestärkten sie in dieser Auffassung. Erst vor kurzem hatte ein israelischer Araber in der Straßenbahn von Jerusalem eine junge britische Frau niedergestochen. Einfach so. Aus dem ewigen Hass heraus, der jedem nahöstlichen Unrecht einen schrecklichen Ewigkeitsstatus verleiht.
Von diesem Hass war bei meinem Rundgang durch Akko nichts zu bemerken. Die Händler und Besucher in den Souks scherzten mit den Touristen, freundlich wurde mir ein Tschai serviert, und als ich Orangen kaufte, erhielt ich als Dreingabe eine Handvoll Datteln geschenkt. Es roch nach Pfeffer, Muskat und Ingwer, und unablässig dampfte der Tee aus den kleinen türkischen Gläsern. Wohin ich auch blickte, das Leben, das mich umgab, war merkwürdig intensiv, die Gesten und Reden waren raumgreifend und laut, und ich hatte das Gefühl, dass der Orientale alles was er tat – Lachen, Schimpfen, Verhandeln oder Teetrinken – immer mit der ganzen Person tat. Dass viele Moslems auch im Kampf und im Hass ganz bei sich selbst waren, gab dem Nahostkonflikt seine bitterste Note.
Manche Feinheiten des Orients begreift man übrigens erst im Winter. So war es bei Regen im Souk nahezu unmöglich, in der Mitte zwischen den Auslagen zu gehen, weil die Pergolas dafür sorgten, dass einem das Wasser von beiden Seiten in den Kragen lief. Man konnte sich nur links oder rechts in der Nähe der Stände fortbewegen, eine Chance, die sich kein Händler entgehen ließ.
Die meisten Sehenswürdigkeiten, die es für mich an diesem Tag in Akko zu besichtigen gab, entstammten der Türkenzeit, genauer gesagt, der Epoche des bosnischen Paschas Ahmed, der um 1800 in Akko als Stellvertreter des türkischen Sultans residierte und dem die Einwohner den wenig schmeichelhaften Namen „El Jezzar“, der Schlächter, gegeben hatten. So blutig der Schlächter in Akko auch regiert haben mochte, in der nach ihm benannten Moschee Ahmed-el-Jezzar herrschte eine weltabgewandte Ruhe. Unter zwei kleinen Apfelsinenbäumchen im Vorgarten stand der Reinigungsbrunnen, an dem die Gläubigen sich säubern mussten, ehe sie das marmorweiße Gotteshaus mit seinen grünen Ziegeln betreten durften. Im Innern der Moschee bewunderte ich die Schönheit der Ornamente, die Ausgewogenheit der Linienführung und die Verhaltenheit der Farben. Ich dachte an die überbordende Plastik hinduistischer Tempel und erkannte, dass Schönheit immer auch durch Beschränkung entstand. Insofern war das Verbot der Figurendarstellung im Islam auch ein Geschenk an die Kunst.
Nur unter der Erde fand man noch Spuren der Kreuzfahrerzeit. Kalt und düster wirkte die Krypta des heiligen Johannes, einem der großen Versammlungsräume des Johanniter Ritterordens. An der Decke der Krypta befand sich übrigens eines frühesten Beispiele gotischer Spitzbogengewölbe, eine bauliche Innovation, die in diesem Weltteil nicht mehr zur Entfaltung kommen konnte. Stieg man die Kreufahrerkrypta empor, führten nur wenige Schritte den Besucher gleich einige Jahrhunderte weiter in Richtung Gegenwart. Ich erreichte die Zitadelle und die Stadtmauer und erblickte die gigantische Befestigungsanlage, die selbst Napoleon auf seiner Orientexpedition von 1799 nicht hatte erstürmen können. Vor den Mauern dieser Festung war die französische Armee elend zugrunde gegangen, während der junge Feldherr zurück nach Frankreich geflohen war. Das war lange her und doch nicht vergessen, wie es mir überhaupt vorkam, als würde wenig vergessen in Akko. Ein jahrtausendealtes urbanes Gefäß, in dem die Geschichte so lebendig geblieben war wie an kaum einem Ort sonst. Keinen Menschen sah ich in der restaurierten Karawanserei Khan-ei-Umdan, und doch war die Stimmung uralter Zeiten übermächtig. Vor meinem inneren Auge sah ich die Händler aus Isfahan, Kairo oder Bagdad, die im ersten Stock untergebracht waren, während man im Innenhof ihre Kamele versorgte.
Als ich von Akko aus durch die Berge Galiläas nach Zefad fuhr, begann es wie aus Eimern zu regnen. Auf 500 Höhenmetern verwandelte sich der Regen in Schnee und die Straße wurde rutschig. Gottlob herrschte kaum Verkehr, nur hier und da kam uns ein Fahrzeug mit aufgeblendeten Scheinwerfern entgegen.
Am Ortseingang von Zefad war kein Mensch auf der Straße zu sehen. Nur eine Tankstelle hatte offen, in die ich vor dem Schneeregen flüchtete. Als ich fragte, ob ich meinen Rucksack abstellen dürfte, um mir eine Stunde die Stadt anzuschauen, rief der Tankstellenwart einige Worte nach hinten. Sofort erschienen zwei Männer im Verkaufsraum und verlangten auf der Stelle zu sehen, was sich in meinem Rucksack befand. Erfahrung machte misstrauisch.
Zefad war neben Jerusalem, Hebron und Tiberias eine der vier heiligen Städte des Judentums und ein Ort, in dem die Erinnerung an Kampf und Vertreibung über die Jahrtausende hinweg in besonderer Weise gegenwärtig geblieben war. Nach der Vertreibung der Juden aus dem Heiligen Land hatte sich in Zefad eine kleine jüdische Gemeinde behauptet, die sich im Laufe der Zeit zu einem Scharnier und Anlaufpunkt der jüdischen Diaspora entwickelte. Eine wirkliche Neubesiedlung Zefads durch die Juden erfolgte jedoch erst, als die katholischen Könige in Spanien 1492 die Ausweisung aller sephardischen Juden aus Spanien verfügt und die osmanischen Sultane eine Ansiedlung der Juden in Zefad gestattet hatten. Im 17. Jahrhundert versorgten jüdische Druckervereine in Zefad, die Glaubensbrüder in aller Welt mit jenen heiligen Texten, die nicht zuletzt die Rückkehr der Juden ins Heilige Land verhießen.
Diese wechselvolle Geschichte hatte in den Synagogen von Zefad wenig Spuren hinterlassen. Die Synagogen waren kaum größer als Turnhallen, ihre Scheiben waren beschlagen, und nur funzelige Lichtquellen erhellten die holzgetäfelten Räume. Den Mittelpunkt der Synagoge bildete der Thora-Behälter, der sich entweder mitten im Raum befand oder in die Wand eingelassen war. Wenn die Lichtverhältnisse besser gewesen wären, hatte man die Synagoge als ein Gotteshaus zum Schmökern bezeichnen können, denn immerhin existierten bequeme Sitzgelegenheiten und reichlich heilige Texte, die für Studium und Erbauung bereitstanden. So aber befanden sich nur wenige ältere Männer im Raum, die vor den Textrollen saßen, ohne hineinzublicken. Entweder war ihnen das Licht zu schlecht, oder sie kannten die Texte auswendig.
Gerade mal gut zwei Stunden blieb ich in Zefad, denn ich fand keinen Ort, um meinen Rucksack abzulegen, und als ich mit dem Rucksack die Synagogen besuchen wollte, ging das niemals ohne Kontrollen ab. Das Misstrauen, das mir entgegenschlug war nichts Persönliches, sondern die Folge der Erfahrungen mit moslemischen Terroranschlägen. Doch auf die Dauer vergällte es mir das Interesse an der Stadt, so dass ich lange vor der Zeit zur Bushaltestelle zurückging und meine Reise fortsetzte.
Als ich mit dem Bus durch die Berge Galiläas weiter zum See Genezareth fuhr, hörte der Regen unvermittelt auf. Der Himmel riss auf und beschien unvermittelt eine gewaltige Erdkerbe, ein ungeheures Loch mitten im Land, das von der Umgebung Zefads aus über tausend Meter in die Tiefe reichte, bis der gut zweihundert Meter unter dem Meeresspiegel gelegene See Genezareth erreicht war. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich die Klimazone gewechselt und mich umgaben plötzlich eine linde Luft, saftige Wiesen und Palmen an der Uferpromenade von Tiberias. Auch diese Idylle war Israel.
Aber nicht nur. Auf dem Busbahnhof von Tiberias stieg eine rundliche junge Frau aus dem Bus, den Militärrucksack auf dem Rücken, das Maschinengewehr umgehangen, um sich für eine Falafel an einer Garküche anzustellen. Ein orthodoxer Jude mit langem Kaftan, Bart und Schläfenlocken wechselte die Straßenseite, als ihm einer Gruppe junger Mädchen in kurzen Röcken entgegen kam. In einem kleinen Restaurant in Ufernähe lernte ich Bill kennen, einen amerikanischen Juden aus Brooklyn, der in Israel die Religion seiner Väter suchte. Er habe noch nichts gefunden, sagte er, was aber daran liege, dass er gar nicht wisse, wonach er suchen sollte. Das einzige, was er bisher erkannt habe, sei sein über alle Maßen eingefleischtes Amerikanersein.
Ich schlief in einer Backpackerherberge in der Nähe des Sees. Es war laut und teuer, und es gab nur ein lausiges Frühstück. Am Morgen beklagte sich ein Franzose, dass ihm der MP3 Player gestohlen worden sei, der Wirt zuckte die Schultern und drehte sich um.
Es dauerte etwas, bis ich in Tiberias das Grab des Maimonides fand, jenes spanischstämmigen Juden, den die Verfolgungen auf der iberischen Halbinsel zuerst nach Marokko, dann nach Ägypten und schließlich nach Palästina getrieben hatten. Ein orthodoxer Jude kniete vor dem Kenotaph und bewegte seinen Körper im rhythmischen Auf und Ab seiner Lobpreisungen. Neben