Peter J. Gnad

Bin in Afghanistan


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begonnen, mit einem Scherz am Rande. Man war in einem Straßencafé gesessen, im frühlingshaften München, Leopoldstraße, gleich bei der Universität. Mirwais, ein Taxifahrer, war zu ihnen an den Tisch gekommen, in einer Fahrpause. Man kannte einander von einer nächtlichen Fahrt, bei der sie gemeinsam einen Kampf ausgefochten hatten, gegen eine vermeintliche Übermacht von vier Gegnern. Die hatten aber nicht mit Mirwais gerechnet. Der war nämlich ein ehemaliger, afghanischer Mujahed gewesen und die Kämpfer, die es sogar geschafft hatten, die Russen aus dem Land zu vertreiben, die Mujaheddin, galten nicht zu unrecht als unbesiegbar.

      Mirwais hatte bei der Schlägerei drei der Gegner im Alleingang erledigt. Der Vierte war Felsberg in die Faust gerannt, als er Mirwais von hinten anspringen hatte wollen. In Folge war der letzte Angreifer, angesichts seiner bereits ausgeschalteten Kumpel, dann einfach davongelaufen. Mirwais hatte Felsberg anerkennend auf die Schulter geschlagen, ihn gelobt, sein Schlag habe gut gesessen. Die Knöchel von Felsbergs rechter Hand hatten noch wochenlang geschmerzt.

      Man hatte sich immer wieder getroffen, danach. Mirwais konstatierte, dass es ganz selten sei, dass er – als Taxifahrer – privaten Kontakt mit Fahrgästen habe. Michael sei die große Ausnahme von der Regel.

      Mirwais hatte sich als guter Freund erwiesen, hatte immer geholfen, wenn es zu helfen galt, ob mit seinem Taxi oder, beispielsweise, auch beim Tragen eines neuen Schrankes, hinauf ins zweite Stockwerk.

      Man war einander nähergekommen, hatte gemeinsam schon auch die eine oder andere Flasche Bier geleert, obwohl Mirwais offiziell Moslem war.

      "Ich bin kein echter Moslem, bin es genauso, wie du vielleicht ein 'Christ' bist… oder auch nicht. Alle Afghanen sind Moslems, das geht gar nicht anders. Aber ich war schon seit Jahren in keiner Moschee mehr !"

      Woraufhin Michael nur milde gelächelt hatte.

      "Ich war schon seit meinem zwölften Lebensjahr in keiner Kirche mehr. Ich kann einfach nicht an diesen Humbug glauben, das sind Märchen, sonst nichts!"

      Sie hatten gelacht und "Gott einen guten Mann sein lassen", wenn es ihn denn gab. Es war kein Thema zwischen ihnen und bedurfte fortan auch keinerlei wiederholter Bestätigung. Sie waren ziemlich ähnlich "gestrickt", trotz ihrer so verschiedenartigen Erziehung - Mirwais in Afghanistan und Felsberg mitten in Europa !

      Nach und nach hatte Mirwais sich geöffnet, Felsberg als Freund angenommen, als "einzigen Freund" aus dem Lande der Ungläubigen.

      "Der Islam sagt, ich solle mir keine Freunde unter den Ungläubigen suchen !"

      Sie hatten beide lauthals gelacht und dann mit einer Flasche Bier auf ihre Freundschaft angestoßen. Es hatte aber noch einiger Treffen bedurft, bevor Mirwais schließlich langsam begann, mit seiner Geschichte herauszurücken.

      Er war als Zweiundzwanzigjähriger, nach sieben Jahren des Kampfes gegen die russischen Invasoren, mit seiner jungen Frau und einem kleinen Kind nach Deutschland geflüchtet, hatte Glück gehabt, einen guten Job gefunden, als Elektriker, hatte anschließend fünfzehn Jahre in Kassel gelebt.

      Als sein Vater, im Kampf verwundet, in seinen Armen starb, hatte er versprechen müssen, die Rolle des Anführers zu übernehmen. Da war er gerade mal fünfzehn Jahre alt gewesen. Aber auch vorher schon, hatte er es sich schon nicht nehmen lassen, die Kämpfer auf ihren Streifzügen zu begleiten. Später, hatten sie seine Führungsrolle ohne jeglichen Widerspruch akzeptiert, gerade weil er eben schon einer von ihnen war. So waren die Stammesgesetze - er, als ältester Sohn musste die Pflichten eines Familienoberhauptes übernehmen, und auch als Clan-Oberhaupt agieren.

      Die Jahre gingen dahin, er hatte zwei Verletzungen erlitten. Einmal ein Granatsplitter und einmal der Schuss eines Scharfschützen, der seine Aufgabe offensichtlich – zu Mirwais Glück - noch nicht sehr professionell ausgeführt hatte.

      Als die Russen dann schließlich ihre letzten Soldaten über die berüchtigte "Freundschaftsbrücke", bei Termez, nach Uzbekistan abzogen, hatte Mirwais keinen Grund mehr gesehen, noch länger im Land zu bleiben. Noch dazu wo sich bereits abzeichnete, dass nun Grabenkämpfe zwischen den Fraktionen stattfänden und daran teilzunehmen hatte er überhaupt keine Lust verspürt. Da ging es Bruder gegen Bruder, Onkel gegen Cousin, ehemalige Freunde, die nun auf verschiedenen Seiten standen, jeweils auf Seiten ihrer "Warlords", die von diesem Zeitpunkt an, alles Geschehen diktieren sollten.

      Mirwais hatte seine Zelte abgebrochen, seine junge Frau und seinen kleinen Sohn mitgenommen. Zuerst nach Pakistan, wo Verwandte lebten und von dort aus direkt nach Deutschland, nach Hamburg. Auch da gab es einige entfernte Verwandte, die ihm die erste Zeit zu überstehen halfen. Bei ihnen hatte er auch erst einmal Frau und Kind untergebracht, bis eine Basis geschaffen war, wo man gemeinsam leben konnte.

      Nach einer Zeit der Frustration und des Wartens auf Arbeitsgenehmigung und einem beträchtlichen bürokratischen Aufwand, einem Hürdenlauf ähnlich, hatte er sich entschlossen, nach München zu gehen. Das Flüchtlingswerk half ihnen, eine geeignete Behausung zu finden. Natürlich hatte es ihm sehr geholfen, dass er, in Kabul, auf die Amani-Highschool gegangen war, eine deutsche Schule, auf der man selbstverständlich auch die deutsche Sprache erlernte. Schon nach kurzer Zeit der Eingewöhnung, gab dann auch logischerweise, keinerlei sprachlichen Schwierigkeiten mehr.

      Auch die Prüfung war kein Problem gewesen und seit damals saß Mirwais eben hinterm Lenkrad und kutschierte Leute durch die städtische Landschaft. Mittlerweile, über die Jahre, hatte seine Sprache dann auch schon einen durchaus bayrischen Einschlag bekommen und er fühlte sich gut integriert.

      "Ah da kommt er ja wieder, der Saupreiß, der afghanische…"

      Man hänselte ihn liebevoll, jeder mochte ihn, den geraden, aufrechten, ehrlichen und unbeugsamen Kämpfer. Nur in letzter Zeit bekam er auch oft die Frage gestellt, ob er denn auch ein "Taliban" sei. Da konnte er schon auch richtig ärgerlich und aggressiv werden, seine Augen blitzten.

      "Das ist ungefähr so, als ob ich sagte, du bist Deutscher, bist du auch ein Nazi ?"

      Dann kam der Tag als er, eher Scherzhaft als im Ernst, zu Felsberg jenen bedeutsamen Satz sprach, der sie in weiterer Folge dann, auch tatsächlich nach Afghanistan expedieren sollte.

      Man hatte über Perspektiven gesprochen, über die Zukunft, über Absichten, endlich etwas anderes zu machen. Die alten Pfade waren ausgetreten, ausgelatscht, eingegrabene Laufspuren, immer im Kreis, immer hinter der Karotte her. Sie waren nicht besser als Esel.

      "Wenn man Abenteuer sucht, wenn man eine Chance sucht, dann ist Afghanistan das richtige Land !"

      "Ja, das richtige Land um den Kopf zu verlieren !"

      Aber dann hatte Mirwais sein Wissen geoffenbart. Es gäbe da jede Menge Edelsteine, aber keiner der sie rausbringt, keiner der sie richtig vermarktet. Er, Mirwais, habe die besten Verbindungen, zu verschiedenen Warlords. Die warteten wahrscheinlich sehnsüchtig auf jemand wie sie, der das Heft in die Hand nahm.

      Michael Felsberg hatte mehr als nur ein offenes Ohr gehabt. Er war in die Idee geradezu hineingefallen, hatte sie adoptiert, auch zur eigenen Perspektive gemacht.

      Ein Monat später, im Juni, war der Gedanke bereits breit ausgearbeitet. Man stürzte sich, alles rein theoretisch noch, in die Details, entwickelte einen regelrechten Schlachtplan.

      "Im Panjshir-Tal, da gibt es zum Beispiel, einen Berg, das ist der "Emerald-Mountain", da hat einer der Warlords - sie beauftragen Leute da raufzusteigen und in der Mine zu ackern – einen Smaragd gefunden, der später, am Markt, über sechs Millionen Dollar Erlös gebracht hatte !"

      Felsberg hörte die Geschichten mit offenem Mund, es war wie ein Märchen aus "Tausend und einer Nacht", nur dass es eben keine Märchen waren. Mirwais war nicht der Mensch, dem man nicht glaubte, was er sagte. Und mit den Verbindungen, die er nach wie vor hatte, als ehemaliger "Commander". Man erzählte noch immer Legenden, von ihm, von seinen Taten, im Krieg gegen die Russen. Einige dieser Geschichten kannte auch Felsberg. Wie zum Beispiel jene, als Mirwais ganz allein einen Panzer "erlegte". Er hatte hinter einem Felsen gelauert, war dem Panzer - mit einer scharfen Handgranate zwischen den Zähnen - auf die hintere Fläche gesprungen, hatte die Luke geöffnet und die Handgranate