Wilfried Schnitzler

Wie ein Dornenbusch


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Exodus nach Trinidad

       53 Maracas

       Epilog

       Danksagungen

       Impressum

       Prolog

      No hay mal que por bien no venga

      Jede Wolke hat einen Silberstreifen am Horizont

      (Freie Übersetzung eines spanischen Sprichwortes)

      Die 'Zeit' ist eine Materie, an die man sich weder festklammern, noch von ihr fern bleiben kann. Ohne 'Zeit' gäbe es keine Entwicklung, keinen Fortschritt, nichts würde eine Rolle spielen, es wäre nur Stillstand. Natürlich gibt es Momente, da wünscht man sich eine kleine Zeitlang, dass die 'Zeit' stehen bliebe. Aber auch das ist reine Illusion, sie nimmt ihren Lauf. 'Zeit' ist nun einmal eine Achse, auf der alles ohne Anfang und Ende in Bewegung ist.

      Möchte man in die 'Zeit' vergangener Tage von deren Anfang bis zu deren Ende eindringen, kann das schwierig werden und sich als holperiger Weg entpuppen. Nähert man sich dann Schritt für Schritt dieser 'Zeit', häufen sich Hinweise auf eine Präsenz, ein eigenes Momentum, das es leichter macht, sich in Menschen und ihre Umgebung hineinzuversetzen. Das Verständnis für Vergangenes wird einfacher durch das Auffinden von Fakten und das Zusammenbringen von Einsichten und Interaktionen. Tabus und unausgesprochenes Kollektivbewusstsein von sich über die Jahre angehäufter Sensitivitäten, die sich um Zeit und Orte gewebt haben, werden verständlicher, alte Spuren werden lesbar. Wahrheiten benötigen keine Verklärung.

      Zeitgeschehen, Politik, Weltgeschichte, Menschen, ihre Gewohnheiten und Prioritäten vermengen sich in einem Topf voller Geschichten. Wo sind die Kolonien, die alten Empires geblieben? Ganz neue Staatengefüge waren entstanden und haben das Angesicht unserer Welt mächtig verändert. Zeitgeschehen birgt Tücken, besonders in längerem Rückblick. Eigene Emotionen müssen im Zaum gehalten und nichts hinein gestrickt werden. Um objektiv zu bleiben, ist es viel einfacher singulären Strömungen zu folgen.

      Deutschland und Europa, am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden von einer aristokratischen und städtisch-bourgeoisen Schickeria geprägt. Unser Held und seine Familie gehörten keiner dieser Schichten an. Das Leben auf dem alten Kontinent war für ihn kleinkariert, obwohl man dort die 'Belle Epoque' feierte mit wirtschaftlichem, technischem und künstlerischem Erblühen. Die Weltausstellung in Paris, die 1900 eröffnete, berauschte die Menschen in ihrem grenzenlosen Fortschrittsglauben. Im selben Jahr flog in Deutschland das erste Luftschiff des Grafen Zeppelin. In Amerika entfalteten sich freie Bürger, wo vor allem Leistung gefragt war, ohne das Gewirr der verstaubten Konventionen des alten Europas. Als dann der erste große, schreckliche Krieg des 20. Jahrhunderts zu Ende war, blieben grässliche Wunden, deren Narben nicht ermahnten, sondern nach Vergeltung schrien. Große Vermögenswerte waren verlorengegangen.

      Der Lebensweg unseres Hauptakteurs mäanderte zwischen kleinbürgerlicher Irrelevanz, Tatendrang, Großmannssucht und Ausweglosigkeit, publizistischer Anerkennung und gesellschaftlichem Niedergang. Was bewog ihn zu seinem Mega-Sprung ins zölibatäre Priestertum hinaus in fremde Länder hinein in völlig unbekannte Kulturen? Trieb ihn Einsamkeit oder Opportunismus? Sein Freigeist gestaltete sein Leben. Er war nur zufrieden, wenn er seine Welt selbst in die Hand nehmen konnte, ohne „Befehle von oben“. Sich ungebunden bewegen, nur sich selbst Rechenschaft schulden, respektiert werden und ein ungezwungenes, sorgenfreies Leben führen, das gewiss arbeitsreich sein durfte, das war sein Gusto. Sein Leben hatte immer Zyklen der Selbstständigkeit. Dies führte zwangsläufig in seinem Naturell zu sprunghaftem Aktivismus und hinterließ eine gewisse Unstetigkeit. Er schaukelte sich selbst in ungeahnte Bedrängnis und konnte auf Wogen des Glücks schweben. Wenigstens drei, wenn nicht sogar vier Persönlichkeiten rangen um Dominanz in ihm. Er war erfolgreicher Schriftsteller und Publizist, engagierter Philologe und Lehrer, und letztendlich dazwischen auch Theologe und Priester. Am wenigstens bewährte er sich in der Rolle des Familienvaters. Er konnte in verschiedene Identitäten schlüpfen, nebeneinander, nacheinander, abgekapselt oder ganz einfach gleichzeitig, ohne große Probleme. Das waren nicht Maskerade, keine Hochstapelei, eher schon Pragmatismus.

      Zuletzt bleibt das Kuriosum der 'Zeit', durch die er und die übrigen Akteure gespült wurden. Meine Damen und Herren, willkommen im Panoptikum!

      Am Ende seines nicht allzu langen Lebens musste wohl irgendwo in der Katechese von Pseudo-Gewissheiten etwas schief gelaufen sein. Stand vor uns ein Egomane oder ein großer Idealist, gar ein Träumer, schlimmer noch, ein verklemmter Spießer, der immer wegrannte und nicht fähig war sich Realitäten zu stellen? War er ein Schwindler, der sich vor der Familie, der Kirche, dem eigenen Gewissen versteckte und die Wirklichkeit einfach verdrängte? Bevor wir den Stab über ihm brechen, unterziehen wir uns der Sisyphusarbeit ein wenig Licht in dieses ach so aufregende und bewegte Leben zu bringen.

      Wenden wir uns Cornelius Lebenstopographie zu, den Hubbeln und Schluckaufs, den Auen und sanften Tälern. Erzählt hat sich die Geschichte von selbst.

       Das Ziel ist der Weg

       1 Jugend und Elternhaus

      Cornelius kannte in seinem jungen Leben kaum körperliche Arbeit. Auch sportliche Betätigung war ihm fremd. Dafür liebte er seine Bücher. Freunde brauchte er dazu keine. Zu Hause spielte er als Kind höchstens mit seinen Geschwistern, wenn dafür überhaupt Zeit blieb, denn er war der Älteste von vier Brüdern und vier Schwestern, mit dem Ergebnis, dass er eher auf die Kleineren aufpassen musste. Vater hatte eine strenge Hand, ohne sich wirklich viel um die Erziehung seiner Sprösslinge zu kümmern. Mutter arbeitete hart die Kinder durch die Schule zu bringen. Für den Besuch des Gymnasiums musste monatlich Geld auf den Tisch. Neben dem Haushalt, dem Mann eine gute Frau zu sein und dem ständigen Kindergebären, verließ sie jeden Morgen, sechs Tage die Woche, schon um vier Uhr das Haus, hastete zu den Bahngleisen und säuberte die Zugwaggons. Bei jedem Wetter. Um sechs Uhr drängten sich bereits die Leute wieder auf den hölzernen Sitzbänken. Vater war Weber und brachte nur mageren Lohn nach Hause.

      »Wir können für uns selbst sorgen, wir brauchen keine Hilfe von der Familie,« hörte Cornelius den störrischen Alten häufig zu seiner Frau sagen. Dabei war der Großvater ein angesehener Architekt in der Stadt und Großmutter, die Tochter eines Barons. Allerdings war sie von ihrer Familie verstoßen worden, als sie unter ihrem Stand heiratete. Mit etwas gutem Willen und der angebotenen Unterstützung hätte man aber unter so ärmlichen Verhältnissen nicht zu leben brauchen.

      Vater war nicht nur halsstarrig, ständig aufbrausend und dazu noch unnötig stolz, nein, er hatte auch eine ganz klare Vorstellung, was aus seinen Kindern werden sollte. Er gab häufig genug seine Familienplanung kund:

      »Sophie soll Lehrerin bei den Ursulinen werden, Marie kann bei der Marianischen Jungfrauen-Kongregation Unterschlupf finden. Caspar mag auch Theologie studieren; soll sich an Cornelius ein Vorbild nehmen. Und für Hedwig und Anna werden sich gute Handwerker finden, wenn die Zeit kommt.«

      Die anderen beiden Söhne erwähnte der Familienpatriarch kaum. Geld war sowieso nicht vorhanden, um weitere Studienplätze zu finanzieren.

      Das Familienleben war einigermaßen geregelt, bis der Alte seinen folgeschweren Entschluss kund tat.

      »Cornelius, du bist mit deinem Studium fertig, ich möchte, dass du nach Algerien gehst und in Nordafrika Missionar wirst. Die Franzosen machen dort schon recht gute Arbeit, aber wir können denen das nicht alleine überlassen. Die Schwarzen brauchen unseren Gott, und den Arabern muss gesagt werden, dass sie nicht den richtigen Zugang zu Gott gefunden haben. Deinen Bruder nimmst du am besten gleich mit.«

      »Vater, Caspar hat doch sein Studium