Wilfried Schnitzler

Wie ein Dornenbusch


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zuckersüßen getrockneten Datteln, die sie ab und zu aßen, durstig machten. Es bereitete sogar Spaß, die Kerne im Wettbewerb in weitem Bogen auf den Weg zu spucken und zu sehen wer am weitesten kam. Wasser konnten sie leichter wieder auffüllen, aber mit den Essensvorräten wollten sie haushalten. Sie wussten ja nicht, wann sie diese wirklich nötig brauchten.

      Seitdem sie das Meer erreicht hatten, mit Aussicht auf eine erfolgreiche Flucht, war ihre Stimmung zusehends besser geworden. Sie hatten aber überhaupt noch keinen Plan.

      Sie konnten wenigstens davon ausgehen, dass sich neben ihnen kein weiterer Ordensbruder in der kleinen Stadt aufhalten würde. Damit würde sich ihre Isolation in der Klostergemeinschaft doch noch als Vorteil erweisen. Im Übrigen schien sich niemand im Ort für sie zu interessieren.

      Staunend bewunderten sie das Leben um sich herum! Seit ihrer Ankunft im Ordenshaus war es ihnen nur gestattet worden es zu verlassen um die Bauern in den nahegelegenen kleinen Ortschaften zu besuchen. Dort konnten einige von denen recht und schlecht in Französisch radebrechen, was es den beiden ermöglichte, in einer, wenn auch einfachen, so doch unverfänglichen Unterhaltung mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Die Menschen waren aber misstrauisch, sobald das Gespräch auf die Religion kam. Ein wirkliches Zusammenleben hatten die Leute im Ort nur mit den eigenen Nachbarn. Die Frauen und Mädchen lebten sowieso im Hintergrund. Die vertraute Gemeinschaft im Ort wollten sie sich nicht durch Fremde stören lassen.

      Das war hier in diesem kleinen Hafen ganz anders! »Mein Gott, ist das quirlig,« entfuhr es den beiden Brüdern wie aus einem Mund. Mit großen Augen schauten sie sich an, fassten sich aber sicherheitshalber an den Händen und hielten ihre Säcke noch fester umklammert. In jedem Haus gab es einen Laden oder eine Werkstatt, die Gassen konnten noch so eng sein; Tuche, Leder, Ton-, Metall- und Holzgeschirr. Welche Warenvielfalt wurde da angeboten! Alles fertigten die Leute gleich vor Ort an und boten es feil. Auch geschlachtete und aufgebrochene, am Haken hängende Schafe und Ziegen warteten auf Käufer, welche die Wahl hatten, welches Stück Fleisch sie auf Wunsch herausgeschnitten haben wollten. Gleich daneben, im nächsten Laden wurden bunte Berge von Gewürzen präsentiert. Die meisten kannten sie überhaupt nicht, aber der Duft war überwältigend. Ein Händler sprach sie an und nachdem er merkte, dass seine ersten Worte offensichtlich für sie unverständlich waren, wechselte er automatisch ins Französische.

      »Ihr braucht nicht weiter zu suchen, die frischesten Gewürze findet ihr hier bei mir. Tretet nur näher und prüft selbst!«

      Natürlich hatten sie keine Ahnung, aber neugierig blieben sie stehen.

      »Hier, schmeckt nur, habt ihr einen so wundervollen, frisch getrockneten Cumin schon gekostet? Bringt ihn nach Hause und man wird euch das beste Falafel zubereiten. Und da, mein Koriander, mein Fenchel, mein Majoran. Besonders stolz bin ich auf meinen Safran; nicht billig, aber beste Qualität!«

      Sie versuchten sich unauffällig aus dieser Affäre zu ziehen, aber wie? Mit abwehrenden Händen schütteln sie den Kopf, dass die Kapuze herunterfiel und murmelten, dass doch ihre Mutter kompetenter für diesen Einkauf sei. Der Händler schaute verwundert hinterher. Sie ließen sich im Gewimmel der Menschen weitertreiben. Dabei fiel ihnen auf, dass das Warensortiment in den Geschäften sich nur von einer Gasse zur anderen änderte.

      Sie bogen um eine Ecke und wurden von rhythmischen, schnell aufeinander folgenden, metallisch klingenden Schlägen angelockt. Vor ihnen saßen einige Männer in der Hocke auf dem Boden. Sie hatten runde, flache Messingteller auf den Knien und trieben ohne Vorlage rankende Verzierungen mit einem kleinen Meißel und einem Hammer in das weiche Metall. Sie hätten stundenlang diesen eifrigen Handwerkern zuschauen können, richtigen Künstler, vergaßen beinahe, warum sie in das Städtchen gekommen waren.

      Am Gassenrand hatten sich Männer auf kleinen Hockern gemütlich um runde hübsch, mit Ornamenten geschmückte, Messingtische niedergelassen, ähnlich denen, die sie gerade in Bearbeitung bewunderten. Die Runde unterhielt sich angeregt und man trank einen braunen Sud aus Gläsern, wahrscheinlich Tee, und aß dazu kleine Gebäckstücke. Der eine oder andere hatte eine mit Wasser befüllte, bauchige Flasche vor sich stehen, aus der ein Schlauch ragte, dessen Ende er ab und zu zwischen die Lippen steckte oder seinem Nachbarn reichte. Dann gluckerte es im Wasser und kurze Zeit darauf kam den Männern Rauch aus Nase und Mund. Merkwürdige Pfeifen!

      Es fiel ihnen auf, dass kaum Frauen oder Mädchen in den Gassen zu sehen waren, nur Buben rannten zwischen den Leuten herum. Das ganze Treiben war lebhaft, aber gemächlich. Man schien viel Zeit zu haben, schlenderte umher, plauderte und kaufte das eine oder andere, oder auch nicht. Die Besorgungen selbst schienen nicht wirklich vorrangig.

      »Wozu ist wohl dieser Balken quer über die Gasse? Zu hoch, um darüber hinweg zu steigen und so nieder, dass man nur geduckt unter ihm durch kommt?« wandte sich Cornelius an Caspar. Und da kam schon die Antwort in einem bepackten Esel. Es reichte, dass er mit seiner Ladung den Balken unterlaufen konnte, aber nicht vorbei gekommen wäre, wenn der Reiter auf seinem Rücken gesessen hätte oder das Tier übermäßig bepackt gewesen wäre.

      »Was für eine clevere Einrichtung,« lobte Caspar. Der Bruder hörte ihn, interessierte sich aber schon für etwas anderes. Aus einem dunklen Gewölbe drangen schwere, metallene Geräusche nach draußen, ganz anders, als in der letzten Gasse. Neugierig schob Cornelius den Jüngeren mit sich ins Innere. Die regelmäßigen Hammerschläge kamen vom hinteren Ende des tiefen Raumes, dort wo immer wieder helle Flammen aufflackerten.

      „Das ist ja wie im Hades“ durchzuckte es Cornelius. Ein Schmied drosch im Dämmerlicht auf ein glühendes Stück Eisen ein, das sich allmählich zu ihrer Verwunderung durch Biegen und Formen in den Teil einer großen Schere verwandelte. Der rußgeschwärzte Mann sah kurz zu seinen Besuchern herüber, ließ sich aber nicht von seiner Arbeit abhalten. Sie brauchten keine Schere, und so zogen sie weiter.

      Die Gasse öffnete sich zu einem kleinen Platz, von dem ein mächtiger Gestank zu ihnen herüber wehte. Sie wollten sich schon abwenden, bevor sie näher gekommen waren, da blieben sie wie angewurzelt stehen, glaubten ihren Augen nicht zu trauen.

      »Connie, was geht da vor sich? So was gibt es doch gar nicht. Wo leben wir denn? Das ist ja ein leibhaftiges Horror infernale, ein richtiger Spuk!«

      Im Vordergrund bewegten sich halbnackte Männer in zahllosen großen Erdlöchern. Sie standen bis über die Knie in einer dunklen Brühe und stampften irgend etwas unter ihren Füßen. Angeekelt vom Geruch trieb sie die Neugierde doch näher. Triefende Stücke wurden ab und zu aus den Löchern zum Rand auf den Boden gezogen. Es waren Felle.

      Ihre Augen schweiften weiter und sie sahen Männer, die nasse Wolle von den Häuten schabten und das enthaarte Leder an eine andere Gruppe weiterreichten. Die standen nun in einer weißen Flüssigkeit und bearbeiteten mit Händen, Armen, Beinen und Füßen die Lederstücke, bis diese offensichtlich weicher und weicher wurden. Am faszinierendsten aber waren die hinteren Löcher, deren Oberflächen in der Sonne, wie bunte Spiegel zu ihnen herüber leuchten. Dort wateten Männer bis zur Hüfte im Wasser und wuschen das Leder, bis es mit den verschiedensten Farben vollgesogen war. Sie selbst sahen so bunt aus wie ihre bearbeiteten Produkte. Am Ende trockneten die farbenfrohen Stücke auf Gestellen in der Sonne, bei denen man noch sehr wohl den Hals und die Oberschenkel der abgezogenen Schaffelle erkennen konnte.

      »Wir gehen besser fort von hier, bevor wir auch noch gegerbt werden,« bemerkten sie halb scherzend. Sich abwendend, schnüffelten sie instinktiv an ihren Kleidern, besorgt, ob sich vielleicht schon der Gestank bei ihnen festgesetzt haben könnte.

      Das Schaf war für die beiden nur Wolle- und Fleischlieferant, nicht aber ihre Haut für Leder. Das selbstgesponnene Wolltuch für ihre Burnusse schätzten sie. Das Kleidungsstück war nützlich und angenehm zu tragen. Dagegen war der Geschmack und Geruch von so manchem Stück, häufig zu fettem Hammelfleisch für sie in den vergangenen Monaten schon gewöhnungsbedürftiger. Apropos Essen, das erinnerte sie stark daran, wie wenig sie an diesem Tag bisher zwischen die Zähne bekommen hatten. Das Hungergefühl wurde noch stärker, als sie an einer Bäckerei vorbeikamen, wo duftende, noch warme, flache Brotfladen vor ihren Augen auf einem Tisch gestapelt lagen. Man hatte ihnen ja ein Sümmchen Geld für ihren Aufenthalt in 'Budschaja' mitgegeben. Natürlich wollten sie das Geld für