Wilfried Schnitzler

Wie ein Dornenbusch


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Alles schrie in ihm auf. Auch Caspar zitterte förmlich vor Erregung, während sich Cornelius' Verstand aufbäumte. Habib spürte, was seine Worte bewirkt hatten. Er wollte, weiß Gott, die beiden nicht provoziert haben. So versuchte er die Situation zu entschärfen. Mit erhobenen Händen, gleichwohl beschwörend, fuhr er fort:

      »Sein Volk, die Juden, benutzten die Person Jesu, um ihn zu erniedrigen und als Usurpator und Volksverhetzer zu verurteilen. Ihr Christen benutzt die Gestalt Jesu, um ihn zum Opferlamm und zum Sohn Gottes zu erhöhen. Wir im Islam bleiben in der Mitte und wollen in ihm den sehen, der er ist, ein Begnadeter, ein Gesandter Gottes. Jesus ist das Zeichen aller Zeichen im Koran, das auf Gott verweist. Allah – gepriesen sei sein Name – steht über allem, er erkennt alles, daher konnte er nicht hinnehmen, dass einer seiner Gesandten für ihn geopfert oder gar ermordet wurde, und schon gar nicht ?s? ibn Maryam. Nur Gott entscheidet was richtig ist.«

      Cornelius hatte seine Stimme wiedergefunden. Er konnte nicht länger an sich halten, suchte aber seine Contenance zu bewahren. Er überlegte sich seine Worte genau, wie er das besondere Verhältnis von Jesu zu Gott erklären konnte. »Verzeiht bitte, werter Gastgeber, dass ich mir erlaube, Euch unser Glaubensbekenntnis zu erklären, zumindest sehe ich das ganz anders. Gott hat nicht verlangt oder musste verhindern, dass Jesus geopfert oder gar ermordet wurde. Jesus hat sich Jahwe selbst als Opferlamm, in alter jüdischer Tradition, angeboten, um damit Gottes Gnade und sein Erbarmen für die Sünden dieser Welt zu erflehen. Er hat mit seinem freiwilligen Opfergang bewirken wollen, dass Gott sein Reich auf Erden zur Erlösung der Menschen errichten konnte. Und Gott hat, wie wir wissen, sein Opfer angenommen. Er hat ihn vom Tod erlöst und direkt in sein Reich erhöht. Das habt Ihr uns ja selbst gerade aus eurem Koran vorgelesen und bestätigt. Gott sagte: „Jesus! Ich werde dich abberufen und zu mir in mein Himmelreich erheben und rein machen.“ Der Allmächtigste hielt im ewigen Bund mit Abraham sein Versprechen die Nachkommen seiner beiden Söhne zu großen Völkern zu machen. Darauf dürfen sich heute die Juden mit Isaak und die Araber mit Ismaël berufen. Hernach erlaubte Gott in seinem ewigen Ratschluss auch allen anderen Menschen ihn zu finden. Jesus ist der Auserwählte, diesen neuen Bund mit uns allen zu schließen. Durch ihn, den Wanderprediger aus Galiläa, wurde das Wunder vollbracht, dass sich der Gott der Juden allen Menschen auf der Welt offenbarte und der Glaube an ihn sich ausbreitete. Nun ist das Tor zu Gott für alle Menschen offen. Ohne Jesus und seine Botschaft gäbe es uns Christen nicht, hätten wir nie eine Chance gehabt von den Wundern, von der unendlichen Stärke und von der Gnade Gottes zu erfahren. Ohne Jesus wäre Gott immer ein Gott der Juden geblieben, aber durch ihn können wir nun wahrhaftig Gottes Kinder, seine Söhne und Töchter sein. Nur Jesus gibt uns dieses Privileg, diese einmalige Vaterbeziehung. Weder die Juden in Jahwe, noch ihr Muslime in Allah kennen und erlauben sich diese Intimität.«

      Caspar sah staunend, ja bewundernd auf seinen Bruder. Mit einer solchen Inbrunst hatte er ihn noch nie reden gehört. Und Cornelius war noch nicht zu Ende.

      »Gott hat Jesu Flehen erhört und errichtete tatsächlich sein Reich auf Erden. Wenn sich die Menschen an seine Botschaft halten würden, könnten alle drei großen Religionen, die an den einzigen und wahren Gott glauben, tatsächlich sein Reich auf Erden erleben. Dass es nicht so ist, daran sind nur wir selbst Schuld, und nicht Jahwe, Jesus oder Allah.«

      »Allâhu a'lam, Gott weiß es am besten,« antwortete Habib mit abwesendem Blick.«

      Für den Rest der Reise traf man sich zum gemeinsamen Essen, man redete über dieses und jenes, aber die Unterhaltung kreiste nur noch um Belangloses. Nein, man ging sich nicht aus dem Weg, dazu war das Schiff viel zu klein, nein, aber man vermied es, noch einmal solch heikle Themen aufzugreifen. Habib erzählte stattdessen bei einer ihrer Mahlzeiten noch eine andere, diesmal heitere Sufi-Geschichte:

      »Der Heilige Nasruddin setzte einen Gelehrten über ein stürmisches Wasser. Als der etwas sagte, das grammatikalisch nicht ganz richtig war, fragte ihn der Gelehrte: „Hatten Sie denn nie Grammatik studiert?“ „Nein.“„Dann war ja die Hälfte Ihres Lebens verschwendet!“ Kurz darauf dreht sich Nasruddin zu seinem Passagier um: „Haben Sie jemals schwimmen gelernt?“ „Nein. Warum?“„Dann war Ihr ganzes Leben verschwendet, wir sinken nämlich!“«

      Ihre eigene Überfahrt nach Marseille dauerte nur wenige Nächte. Sie konnten bequem auf Deck, ungestört, in genügendem Abstand von der Mannschaft schlafen, unter offenem Himmel, bei milder Brise, auf Kissen, nur in ihre Burnusse eingewickelt. Kommende Ereignisse berührten die beiden in diesen Tagen nicht, schienen noch in weiter Ferne zu liegen. Die See war die ganze Zeit ruhig. Am Ende der Reise waren alle Hühner, die in einem Käfig auf Deck verstaut gewesen waren, aufgegessen. Daneben fing die Mannschaft, die sonst nicht besonders viel zu tun hatte, den einen oder anderen Fisch, woraus der Koch köstliches Hut Bib Karfas bereitete, einen Eintopf mit Sellerie, den sie besonders mochten. Was war diese Reise doch ein Segen, denn durch die Speisen, die ihr überaus freundlicher und großzügiger Gastgeber auftischen ließ, konnten sie das Land, das für einige Monate zu ihrer unfreiwilligen, nicht besonders geschätzten Heimat geworden war, durch einen wohl gedeckten Tisch in guter Erinnerung behalten.

      Am fünften Tag erreichten sie den Hafen von Marseille. Zum Glück war Habib Belhadji sehr damit beschäftigt sein kostbares Gut sicher an Land zu bringen, so dass der Abschied von ihm mit vielen Dankesbezeigungen nur kurz ausfiel und sie sich schnell entfernen konnten. Er fragte nicht einmal, warum der Onkel nicht zum Empfang gekommen war. Aber das wäre auch schnell zu erklären gewesen, nachdem sie ja ihre ursprünglich geplante Passage versäumt hatten.

      »Und was machen wir nun, Connie? Wir können doch nicht so einfach nach Hause zurück. Papa wird uns rausschmeißen, falls es nicht noch schlimmer kommt!«

      Für Cornelius war es im Augenblick wichtiger, ob der Orden sie suchen würde. Als er seine Bedenken gegenüber Caspar äußerte, war dessen prompte Antwort:

      »Einen Ordenseid haben wir noch nicht abgelegt. Und sonst schulden wir denen auch nichts, oder?«

      »Doch, Bruder,« warf Cornelius ein, »Wenn wir ganz korrekt sind, dann stehen wir bei denen mit ein paar Franc in der Kreide, nämlich mit der Reisekasse, die sie uns für Budschaja mitgegeben haben und natürlich auch für unseren Burnus. Aber sind wir froh, nicht das Geld ausgegeben zu haben. Wir brauchen es nämlich noch dringend genug für unsere Weiterreise.«

      Ihre algerischen Kleidungsstücke mussten sie nun irgendwie los werden, denn die passten nicht mehr in ihre neue Umgebung, obwohl Marseille genügend arabische Einwohner hatte. Letztendlich war Algerien französisch und viele Einwohner wollten im Mutterland residieren. In einem Laden für gebrauchte Kleidung konnten sie ihre Ordensgewänder gegen einigermaßen ansehnliche und passende Anzüge ohne Aufgeld eintauschen.

      Caspars Sorgen um die Zukunft waren zurückgekehrt, die ihn in den letzten Tagen so gar nicht geplagt hatten. Da konnte nur der große Bruder helfen. Der aber war auch ratlos und voller Zweifel, obwohl er sich das nicht anmerken lassen wollte. Es schmerzte ihn unendlich, dass sie nicht einfach nach Hause zurückkehren konnten, die Mutter in die Arme schließen, im Kreis der Geschwister von ihren Erlebnissen in Algerien erzählen. Aber der bigotte Vater, in seiner Verbohrtheit, war in ihrer Vorstellung ein unüberbrückbares Obstakel.

      »Casparus, wir teilen das Geld und du schlägst dich am besten alleine zu den Großeltern nach Deutschland durch. Versuche so schnell es geht wieder in dein Studium einzusteigen. Du hast ja nur noch zwei Semester bis zum Abschluss. Und das musst du unbedingt durchhalten, sonst wirst du doch noch zum Militärdienst eingezogen. Dreimal wurdest du ja schon von der Ersatzkommission wegen deines Studiums suspendiert. Aber noch einmal werden sie kaum so großzügig sein. Dann kannst du damit rechnen, dich für König und Kaiser ein paar Jahre lang abzurackern, und das ist überhaupt kein Zuckerschlecken.«

      »Cornelius, was weißt du denn davon, du hast gut reden! du brauchtest ja als Freiwilliger nur ein Jahr zu dienen und das hast du mit Großmutters Hilfe im Eliteregiment bei den Husaren ganz gut hinter dich gebracht. Davon kann ich nur träumen.« Darüber wollte der Ältere jetzt nicht reden. Im Augenblick war für ihn das Wichtigste, dass sein 'Bub' nicht ins Schlingern geriet, dass er zügig die Universität hinter sich brachte, um danach seine eigenen Entscheidungen zu treffen.

      »Caspar, ich