Ute Dombrowski

Zuckermausalarm


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rief seine Mutter.

      Sie setzte sich zu ihren Kindern an den Tisch und schaute Luna, die den Tränen nahe war, mitleidig an.

      „Du hast halt weibliche Formen und musst dich nicht schämen, meine Kleine. Das bisschen Babyspeck verwächst sich.“

      Jetzt brach Luna in Tränen aus, stieß den Stuhl zurück und rannte in ihr Zimmer, wo sie die Tür zuknallte. Mit diesen Menschen da unten wollte sie nie wieder etwas zu tun haben. Weinend warf sie sich auf das Bett.

      Bald legte sich Luna auf den Rücken und strich sich im Liegen über den weichen flachen Bauch. Sie war schon immer ein hübsches Mädchen gewesen und das hatte sich auch jetzt nicht geändert. Aber was brachten die strahlenden blauen Augen, die wallenden blonden Locken, um die sie alle anderen Mädchen aus der Klasse beneideten, wenn sie fett war? Mit ihren ebenmäßigen Zähnen knabberte sie an ihrer Unterlippe.

      Wenn Joago, der große Bruder, der aussah wie ein Surfer mit seinen langen blonden Locken, auch gemein zu ihr gewesen war, ihre Lieblingsjeans hatte deutlich gesagt, dass er recht hatte. Weil alles klemmte und unförmig aussah, hatte sie oft Hosen mit Gummizug und zu große T-Shirts an. Es fiel nicht sehr auf, weil viele in der Schule ihre Markensporthosen trugen, aber sie wagte es auch nicht, ihre Mutter nach einer neuen Jeans zu fragen.

      Doretta war sechsunddreißig, blond wie die Kinder, gertenschlank und wunderschön. So empfand es nicht nur ihre Tochter, auch Piet Bergis, ihr Mann, machte ihr ständig Komplimente. Sie achtete auf ihre Ernährung und lächelte über ihren Ehemann, der einen kleinen Bauchansatz vor sich hertrug.

      „Schatz, wenn ich dich nicht wie verrückt lieben würde, müsstest du sofort eine Diät machen“, sagte Doretta immer und dann küsste sie ihn liebevoll.

      Luna aß gerne bei ihrem Vater im italienischen Restaurant. Er war dort Koch und Teilhaber. Doretta betrieb in der Nähe ein kleines Café mit Laden, wo es hauptsächlich Vollkornprodukte und Dinkelkuchen gab. Die Eltern waren auch im Lebensstil das genaue Gegenteil, aber die Beziehung funktionierte schon seit neunzehn Jahren perfekt. Joago ging wie Luna in die Gesamtschule, er war in der zehnten Klasse und hatte jeden Monat eine neue Freundin, Luna besuchte die neunte Klasse und hatte bisher nur mit ihren Freundinnen über die Jungs gekichert.

      Luna hatte sich in ihrem Körper immer wohlgefühlt, sogar die Veränderungen hin zum Erwachsenwerden machten ihr keine Probleme. Sie war sportlich und agil, also machte es ihr nichts aus, dass sie nicht so dürr war wie ihre Freundin Gianna.

      Aber jetzt war André in ihr Leben getreten und alles hatte sich verändert. Als es leise klopfte, setzte sie sich auf und Doretta, die wieder ihren besorgten Mutterblick zeigte, trat ein. In ihrer Hand hielt sie einen Teller mit einer winzigen Portion Gemüselasagne und drei Scheiben Gurke.

      Luna kroch an das Kopfende ihres Bettes und sah ihre Mutter beleidigt an.

      „Das kannst du alleine essen“, schmetterte sie ihr entgegen.

      „Aber Kind, Luna, du bist ein hübsches Mädchen, ich verstehe nicht, was sich jetzt verändert hat. Komm, rede mit mir. Wir haben doch sonst auch über alles gesprochen.“

      Luna überlegte, aber sie konnte ihrer Mutter nicht lange böse sein, denn diese hatte recht: Sie waren wie Freundinnen, die über alles reden konnten.

      „Ach Mama, Joago ist zwar ein Arsch, aber ich bin wirklich fett.“

      „Arsch sagt man nicht. Er ist dein Bruder, da ist ein bisschen Spaß normal.“

      „Der hat gut reden: Waschbrettbauch, tausend Weiber, die an ihm kleben und der darf auch schon viel mehr als ich. Außerdem bin ich echt fett geworden. Ich brauche eine neue Jeans. Leider eine Nummer größer.“

      „Echt? Ach darum läufst du immer in dem Ding da herum. Wir gehen morgen einkaufen, in Ordnung? Und lass dir nichts einreden, du wirst eine Frau, da verändert sich der Körper nun einmal. Du wächst dann wieder und schon bist du rank und schlank.“

      „Meinst du? Also gut, ich bete mal dafür und bis dahin esse ich den Matsch hier und nicht mehr bei Papa.“

      „Am Wochenende gönnst du dir was, ja?“

      „Nein, nie wieder. Nie, nie, nie, nie wieder.“

      „Aber sonst war doch immer … ah … ich denke, ich verstehe. Hm, Süße, bist du etwa verliebt?“

      Luna nickte und schon bekam sie diesen sanften Mäuschen-Blick, wenn sie an André dachte. Er war ja so süß.

      Wie aus weiter Ferne hörte sie die Stimme ihrer Mutter: „In wen denn? Mag er dich auch? Seid ihr zusammen?“

      „Das ist noch nichts, was ich dir erzählen kann. Außerdem weiß er nichts davon. Wenn es soweit ist, sage ich es dir, ja?“

      „Aus deiner Klasse oder älter?“

      „Auch fünfzehn, keine Sorge, alte Kerle interessieren mich nicht.“

      „Gut, dann drücke ich dir die Daumen.“

      Doretta küsste Luna auf die Wange und ging aus dem Zimmer.

      2

      Gianna Krömmeck war ebenfalls fünfzehn Jahre und seit dem Kindergarten Lunas beste Freundin. Sie saßen in der Schule nebeneinander und verbrachten viel Zeit gemeinsam. Seit sie elf war, trug Gianna einen Büstenhalter, der mit merkwürdigen Gel-Kissen ausgefüllt war.

      Damals hatten die Mädchen gelacht, als sie das Teil in der Sport-Umkleidekabine gesehen hatten, aber im letzten Jahren war es dann selbstverständlich geworden, dass alle Mädchen einen Büstenhalter trugen. Außerdem hatte Gianna schon einen Freund und darum war sie für viele ein großes Vorbild. Oft verschwand sie mit mehreren Mädchen auf der Schultoilette, um die Fortschritte bei der Suche nach der Liebe zu besprechen.

      Heute kam Gianna mit hautengen Jeans und einem bauchfreien Top in die Schule. Natürlich war sie direkt von mehreren Jungs umringt, aber sie ließ sie stehen und trat zu Marvin Leitzerich aus der zehnten Klasse. Er legte einen Arm um sie und küsste sie auf den Mund.

      Luna ging hinterher und zog Gianna mit sich.

      „Was soll denn das? Ich wollte noch ein bisschen mit Marv knutschen“, empörte sich die Freundin.

      „Das kannst du jeden Tag, aber ich muss dringend mit dir reden.“

      „Oh Süße, du klingst ganz verzweifelt. Marv, Schatz, ich muss meiner Freundin helfen. Bis in der Pause, ja? Also, schieß los!“

      „Ich bin fett.“

      „Nein Süße, du bist doch nicht fett. Du bist weiblich.“

      „Du hast gut reden, meine Lieblingsjeans geht nicht mehr zu und genau jetzt bin ich verliebt.“

      „Das ist nicht dein Ernst! Da passiert etwas so Spannendes und du sagst das ganz nebenbei. Wer ist denn der Glückliche?“

      Nun begannen Lunas Augen zu leuchten und sie sah in Richtung Haupteingang, wo soeben André durch das Tor trat. Sie seufzte.

      „Ist er nicht süß?“

      „Der Freak? Du hast ja Geschmacksverirrungen. Ih, nein, der geht gar nicht. Schau dir nur mal an, was er anhat. Der sieht ja schlampiger aus als du.“

      Luna sah genauer hin. Der schlanke Junge hatte eine schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt und eine abgegriffene schwarze Lederjacke an, seine Füße steckten in ehemals weißen Turnschuhe.

      „Nein“, sagte Gianna nochmals und sie schien einer Ohnmacht nahe. „Der geht gar nicht. Der ist in der Parallelklasse, oder?“

      Luna nickte fasziniert, als André seinen Kopf hob und auf die Mädchen zukam. Sie wurde blass vor Aufregung, aber Gianna rümpfte arrogant die Nase. André war einen Kopf größer als Luna und jetzt zog er einen Mundwinkel leicht in die Höhe und lächelte.

      „Sag mal“, begann er, „meine Mutter hat