Klaus Perschke

Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56


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und in Reih und Glied abgestellt. In einer freien Ecke, die an unseren Spielplatz grenzte, waren um die 20 Fässer Benzin gestapelt, außerdem stand dort zusätzlich noch ein voller Tanklastzug. Das Ganze wurde von einer Wacheinheit deutscher Soldaten bewacht, die in der Tsingtau-Kaserne (heutige Gorch-Fock-Schule) als Gefangene stationiert waren. Da der Krieg aus war und keine Gefahr mehr vor „german werewolves“ bestand, wurde von den Briten alles etwas „lazy fair“ dirigiert. Uns halbwüchsigen Jugendlichen schenkte man wenig Beachtung, und das war ein großer Fehler der Royal Army und der dafür abgeteilten deutschen Bewacher.

      Einer von uns Bengeln kam auf die Idee, mal nachzusehen, was in den Fässern war. Der älteste Junge öffnete den Ausgussverschluss eines Fasses. Als wir erkannten, dass es Benzin war, kippte er das ganze Fass auf die Seite, so dass es auszulaufen begann. Wenn wir danach bloß abgehauen wären, aber nein, jetzt wurde es erst richtig spannend. Jetzt nahm einer ein Feuerzeug und zündete es an, während wir unmittelbar auf dem mit Benzin getränkten Rasen standen. Es gab eine riesige Stichflamme, wir spürten die heißen Flammen, die Klamotten und die Haare wurden versengt und brannten teilweise, und dann stoben wir Bengels in alle Himmelsrichtungen auseinander. Unser Fluchtweg wurde durch eine hohe Ligusterhecke und einen hohen Maschendrahtzaun versperrt, aber wie von Raketenantrieb gezündet, kletterten wir über diesen Zaun und flüchteten über den Spielplatz in die Wohnungen unserer Eltern. Die britischen Militärangehörigen, die das aus nächster Nähe miterlebten, stürmten sofort zu dem Brandherd und begannen zusammen mit den deutschen Kriegsgefangenen unter Lebensgefahr die übrigen gefährdeten Benzinfässer aus dem Feuer zu rollen, sogar der zum Teil im Feuer stehende Tanklaster wurde durch einen mutigen deutschen Kriegsgefangenen aus dem Feuer gefahren. Das Feuer nahm rasch zu. Zirka fünf Benzinfässer waren später durch die gewaltige Hitze explodiert. Die Briten erteilten die Anordnung, den Block zu evakuieren. Verzweifelte Mütter riefen nach ihren Kindern und rannten mit den nötigsten Sachen aus den Wohnungen über die Straße in den gegenüberliegenden Wohnblock. Aber das dicke Ende kam noch: Man hatte uns Kinder und Jugendliche weglaufen sehen. Und es dauerte nicht lange, nachdem die deutschen Kriegsgefangenen und britische Soldaten das Großfeuer erfolgreich bekämpft hatten, da wurden die Übertäter ausfindig gemacht. Es waren keine Saboteure, keine „werewolves“, nein es waren verängstigte Kinder und Jugendliche, also Rotznasen, die man jetzt zu fassen hatte. Und jetzt wurden auch die Väter dieser Rotznasen ausfindig gemacht. Uns Zehnjährige ließ man laufen. Aber die Väter der Vierzehn- und Fünfzehnjährigen wurden zur Rechenschaft gezogen. Die meisten Väter waren eben diese in der Kaserne stationierten deutschen Kriegsgefangenen. Und ich vergesse nie in meinem Leben, als man den Vater der Brüder Heiner und Manfred Frenser gefunden und ihm seine Söhne vorgeführt und den Vorfall geschilderte hatte, da heulte ein fassungsloser Vater vor Wut über seine beiden Kronsöhne auf und schlug seinen ältesten Sohn so gnadenlos und brutal zusammen, dass zum Schluss der britische Offizier und einige Soldaten den Vater zurückreißen mussten, damit Sohn Heiner noch am Leben blieb. Übrigens, die anderen Vierzehnjährigen bekamen die gleichen Abreibungen von ihren Vätern. Gott sei Dank hatte mein Vater diesen Vorfall nie, nie erfahren. Mein Vater war nie zimperlich, seine Autorität zu demonstrieren, in diesem Fall ganz bestimmt nicht.

      Das Spielen am Winterdeich bekam immer den Grad eines Abenteuers. Genau auf der Höhe der heutigen Cuxhavener Seefahrtschule und des jetzigen Hotels stand früher eine gewaltige Küstenbatterie, die schon zu Kaiser Wilhelms II Zeiten vor dem 1. Weltkrieg gebaut worden war. Dicke solide Betonbunker beherbergten gewaltige Geschütze, die in ihren getarnten Anlagen in Richtung Feuerschiff Elbe 3 wiesen, um einen eventuell herannahenden Feind unter Feuer zu nehmen und zu versenken. In den unteren Etagen waren Kasematten untergebracht, und die dicken Eisentüren zu dem Munitionskellern waren offenbar unverschlossen. Einer Kinderbande aus der Meierhof-Siedlung war es gelungen, dort unbeobachtet einzudringen. Und was hatten die Bengels entdeckt? Schmale, lange, weiße Baumwollsäckchen, die mit Stangenpulver gefüllt waren. Mit einem Teil dieser Beute aus einem Munitionsbunker schlichen sie sich ungesehen an den Wachen vorbei nach draußen auf die Deichvorlandwiesen, wo sich heute im Sommer die Badegäste sonnen. Dort, wo sie sich unbeobachtet wähnten, öffneten sie die Säcke, legten die Pulverstangen in eine lange Reihe von ca. 10 m und stapelten den Rest der Stangen zu einem Haufen. Alle Bengels waren in sicherer Entfernung in Deckung gegangen, und der Anführer hatte die Lunte gezündet. Das Resultat: Zischend raste eine Flamme die Pulverreihe entlang und am Ende gab es eine riesige Stichflamme. Die Bengels waren plötzlich wie vom Erdboden verschwunden, natürlich auf Schleichwegen nach Hause entkommen. Es war damals wieder einmal gut gegangen.

      Nicht gut gegangen war ein anderes Abenteuer. Mein Bruder, meine Vettern Manfred und Eckhard und ich müssen damals einen Schutzengel gehabt haben, denn meistens waren wir dabei, auch wenn’s brenzlig wurde. Es war ein Sonntag, und während wir zur Kirche gehen mussten, hatten ein zehnjähriger Bengel namens Joachim Schmieder aus der Gorch-Fock-Straße 9, dessen Eltern noch im gleichen Monat nach New York auswandern sollten, und sein gleichaltriger Freund im abgesperrten Bereich der Küstenbatterie bei der Kugelbake eine Tellermine gefunden, die vielleicht irgendwelche Volkssturmmänner dort vergessen oder versteckt hatten. Unbehelligt waren sie mit dem Teufelsding auf die Deichwiesen in Richtung Kugelbake entkommen und hatten dort, in aller Öffentlichkeit, diese Mine auseinandernehmen wollen. Augenzeugen berichteten später, sie hätten gesehen, wie sie auf dem Ding herum zu klopfen begannen. Es gab eine Explosion, und beide Jungens waren in Stücke zerrissen. Sie waren auf der Stelle tot. Große Aufregung vor der Garnisons-Kirche, als sich die Geschichte wie ein Lauffeuer herumsprach. Man fand von beiden nur noch körperliche Überreste. Tage später fand eine sehr traurige Beerdigung in Brockeswalde statt.

      Ein weiteres Erlebnis ist auch noch in meinem Gedächtnis hängen geblieben. Das fand jedoch 1946 statt. Ein Teil des Hafengebiets von Cuxhavens Fischereihafen war während des Krieges ein fast hermetisch abgeriegeltes Sperrgebiet. Man konnte gerade mal bis zur Alten Liebe spazieren gehen, ein bisschen im Alten Hafen, weiter im Kutterhafen, aber das war es auch schon. Das restliche Hafengebiet war bewacht. Eine kleine Bootswerft (Name vergessen) war während des Krieges von der Kriegsmarine zur Überholung der Minensuchboote verpflichtet worden, und, da in den Kriegsjahren fast nicht mehr gefischt werden konnte, waren auch die meisten Fischkutter stillgelegt oder zu einem Teil zu kleinen Kriegsfischkutter-Vorpostenbooten umgebaut worden. Diese lagen im hinteren Stichkanal hinter der Mützefeldwerft, jedenfalls war es ein Gelände, das nach der Kapitulation von polnischen Militäreinheiten bewacht wurde. Nur wir verdammten Bengels fanden immer wieder ein Schlupfloch, um in dieses Gebiet hinein und wieder heraus zu kommen. Wir zehn- bis zwölfjährigen Jungen waren immer hungrig auf irgendetwas, was man stibitzen konnte. Zum Beispiel waren wir auf die Bunkerkohlen an der Bunkerpier der Ex-Kriegsmarine höllisch scharf. Hatten wir Kohlen zuhause im Keller, konnten unsere Mütter kochen. Gab es keine Kohlen, blieb der Ofen kalt.

      Wir vaterlosen Jungen strolchten also wieder einmal in Bandenstärke am Hafen entlang. Wenn ich Bande sage, dann möchte ich darauf hinweisen, dass es noch mehrere solcher Kinderbanden gab, also uns bekannte Konkurrenz. Wenn wir aufeinander trafen, dann gab es meistens Zoff. Wir gingen uns jedoch so gut wie möglich aus dem Weg. Die bereits erwähnte Meierhofkinderbande war gefürchtet unter uns Kindern. Die Meierhofer waren meistens Fischlöscher oder Fischverarbeiter, ein ziemlich raues Volk. Keiner von uns ging freiwillig durch die Meierhofsiedlung, obwohl der Weg die kürzeste Verbindung von der Gorch-Fock-Straße nach Brockeswalde zum Friedhof war. Wenn sie uns zu fassen bekamen, dann gab es Prügel, blutige Nasen waren das Wenigste. Eine Abordnung diese Meierhofbande, eine Art Spähtrupp, lief uns am Hafen in der Nähe der Drehbrücke über den Weg. Das heißt, sie kamen uns entgegen gepaddelt. Sie hatten gerade mit Erfolg von einem Minensuch- oder Vorpostenboot, welche damals 1946 unter dem Kürzel „GMSA“ (German Mine Sweeping Association oder auch von der Bevölkerung ironischer Weise „Geh Mit Such Adolf“ genannt) und unter deutscher Marinebesatzung fuhr, ein großes Schlauchboot „organisiert“. Wir lauerten der Meierhofer-Gang auf, hauten ihnen den Arsch voll, wobei ich natürlich auch wieder eine blutige Nase abbekam und trieben sie in die Flucht. Bei dieser Aktion war auch mein jüngerer Bruder Peter, gerade mal sechs Jahre alt, anwesend, der mir zum Aufpassen anvertraut war. Gott sei Dank hatte meine Mutter von diesen Abenteuern wie immer keine Ahnung. Also, die unterlegenen Meierhofer-Kids eilten davon, wir zogen das Marineschlauchboot neben der damaligen Drehbrücke am alten Hafen aus dem Hafenbecken, für elf- bis zwölfjährige eine Meisterleistung,