Ludwig Witzani

Der asiatische Archipel


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Parkplatz. Ich ging die Straße herauf und herunter und zählte am Ende gerade mal ein halbes Dutzend jugendlicher Backpacker, die ihre knappe Reisekasse in diese Straße geführt hatte. Wie es aussah, gehörte die Jalan Jaksa als zentrale Anlaufstelle der Backpackerszene der Vergangenheit an. Die jugendlichen Reisenden der Achtziger und Neunziger Jahre waren inzwischen arriviert und konnten sich bessere Hotels leisten. Ihre Kinder, die neue Generation, schien ganz anders zu reisen, jedenfalls nicht mehr entlang der Backpackerrouten „on a shoestring“ wie in den altvorderen Tagen.

      Fünf Möglichkeiten gibt es, in Jakarta, die Innenstadt zu erkunden. Eine theoretische (das Fahrrad) und vier praktische: nämlich das Zufußgehen, die Anmietung eines Ojeks, den Taxitransport und das Busfahren. Diese Möglichkeiten habe ich erprobt, und hier ist meine Bericht.

      Die Erkundung Jakartas zu Fuß ist ein Ding der Unmöglichkeit, nicht nur, weil die Stadt so groß, sondern weil sie ganz und gar nicht fußgängergerecht ist. Was nicht ausschließt, das zu jeder Stunde des Tages Millionen Fußgänger in Jakarta unterwegs sind. Aber sie bewegen sich, ökologisch gesprochen, in einer nicht artgerechten Umwelt – angerempelt, gestoßen, auf schadhaftem Trottoir stolpernd, von parkenden Autos oder Auslagen auf die Straßen abgedrängt, auf denen die Fahrzeuge wie Geschosse an ihnen vorüberrasen. Zu der Enge kommt die Hitze. Für den normalen Mitteleuropäer reichen wenige Minuten Jakarta-Fußmarsch, bis sein Hemd durchgeschwitzt ist und er sich nach einer Dusche sehnt. Das gleiche gilt übrigens auch für das Thema Fahrradfahren. Obwohl einige Oberschlaue diese Art der Fortbewegung für Jakarta auf Reiseforen allen Ernstes empfehlen, habe ich in der gesamten Innenstadt von Jakarta nicht einen Fahrradfahrer gesehen. Und das aus gutem Grund: einen schnelleren Weg zum öffentlichen Selbstmord würde man in der Welt lange suchen müssen.

      Da also die Fortbewegung zu Fuß oder per Fahrrad ausfielen, entwickelte ich einen neuen Plan. Ich begriff, dass die Stadt nichts Freundliches an sich hatte, dass sie den Reisenden nicht einlud, sie anzusehen, sondern, dass sie einem bedrohlichen Wesen aus Blechund Stein glich, das den Reisenden in seinem Innenstadthotel gefangen hielt. Deswegen musste man die Stadt auch wie ein Belagerter erkunden. Von meinem aircongekühlten Zimmer im achten Stock des Ashley Hotels wollte ich gut geplante und zeitlich limitierte Ausfälle zu den Sehenswürdigkeiten unternehmen, um dann gerade noch rechtzeitig vor dem Beginn der nervlichen Zerrüttung zurückzukehren. Wenn ich dieses Konzept mit ausreichenden Ruhepausen durchzog, hätte ich eine gute Chance, Jakarta ohne bleibende Gesundheitsschäden kennenzulernen. So dachte ich, bevor ich mein erstes Ojek bestieg.

      Ojeks sind Mietmotorräder, die in Indonesien ebenso zum Straßenbild gehören wie die mobilen Garküchen. Besonders gekennzeichnet sind diese Okjeks nicht. Man erkennt sie daran, dass einer oder mehrere Motorradfahrer kretekzigarettenrauchend neben ihren Maschinen am Straßenrand stehen. Ojekfahrer sind immer Männer, meist jung, extravertiert und furchtlos, die dem Fahrgast auf Augenhöhe entgegentreten. Ihr Gehabe ist weder schleimig noch herrisch sondern gleicht dem Verhalten einer Fachkraft, die weiß, was ihre Dienstleistungen wert sind. War der Preis der Fuhre im Voraus ausgehandelt (Das allerding durfte man nicht versäumen), dann hielten sich die Fahrer an die Vereinbarung und fuhren ihren Klienten schnurstracks zum anvisierten Ziel. Der Hauptvorteil des Ojeks bestand in der Schnelligkeit, mit der man an allen Staus vorbei sein Ziel erreichte. Auch über die Unterhaltsamkeit einer Ojekfahrt brauchte man kein Wort zu verlieren. Man sah auch viel mehr vom Straßenverkehr, falls der Helm einem nicht dauernd über die Augen rutschte. Das Festhalten an Schulter oder Rumpf des Fahrers schuf Nähe zur einheimischen Bevölkerung. Wie sich der Ojekfahrer in den beständig fließenden dichten Verkehr einfädelte, wie robust er den Spurwechsel vollzog oder wie beherzt er in Überholungslücken hineinstieß, die sich jederzeit wieder schließen konnten, gehört rückblickend zu den bleibenden Erinnerungen meiner Indonesienreisen. Alles in allem kann ich die Anmietung eines Ojeks Jakartabesuchern mit Gottvertrauen und guten Nerven also durchaus empfehlen, Herzkranken und Ängstlichen rate ich allerdings von der Benutzung des Ojeks ab.

      Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich die ganze Stadt mit dem Ojek erforscht. Leider zeigte sich, dass der normale Ojekfahrer ein ortsgebundenes Wesen ist. Ungern fuhr er Ziele an, die mehr als drei oder vier Kilometer von seinem Standort entfernt lagen. Möglich, dass die Ojekgruppen die Viertel der Stadt untereinander aufgeteilt haben, vielleicht aber hatten die Fahrer auch einfach keine Lust, sich so weit von ihren Kumpels zu entfernen. So blieb mir nichts anderes übrig, als für längere Exkursionen ein Taxi zu nehmen.

      Taxifahren in Jakarta ist ein Erlebnis der besonderen Art. Es beginnt mit guten Nachrichten und endet unweigerlich im Stau. Die gute Nachricht ist, dass die Taxifahrer in Jakarta unter Androhung empfindlicher Strafen dazu verpflichtet sind, innerhalb des Stadtgebietes ihre Taxameter anzustellen. Das ist bitter für die Taxifahrer, denn die Fahrtpreise, die sie auf diese Weise abkassieren, gehören zu den niedrigsten in ganz Asien. Außerdem müssen der Name des Fahrers samt seinem Konterfei und der Nummer eines Beschwerdetelefons stets gut sichtbar im Innern des Fahrzeuges erkennbar sein. Waren die Taxifahrer auf diese Weise strengen Regulierungen unterworfen, konnte man das vom Verkehr nicht behaupten. Jeden Tag bewegen sich Millionen Pendler auf dem Weg zur Arbeitsstätte und zurück durch den Großraum Jakarta, und das umso konzentrierter, je mehr weiter man in die Innenstadt vordringt. Es war die pure Menge der Fahrzeuge, die einen fließenden Verkehr nahezu unmöglich machte. An jeder Kreuzung bildeten sich Staus, weil bei den Grünphasen die Fahrzeuge aus den Querstraßen die Kreuzung blockierten. Maßnahmen, die dieses Verkehrschaos abmildern sollten, waren in ihr Gegenteil umgeschlagen. So hatte man im August 2016 verfügt, dass an geraden Tagen des Monats nur Fahrzeuge mit geraden Kennzeichennummern in die Stadt fahren durften und an ungeraden nur Autos mit ungeraden Nummernschildern. Eine unerwartete Folge dieser Verordnung bestand darin, dass sich die wohlhabenderen Einwohner Jakartas einen Zweitwagen mit dem passenden Nummernschild anschafften, so dass sich die Zahl der Fahrzeuge nur noch erhöhte. Das neuartige Korridor-Bussystem erleichterte zwar den Bussen die Passage der Innenstadt, verkleinerte aber die Straßenfläche für den Restverkehr, so dass der Stresspegel weiter stieg.

      Dieser ausweglosen Straßenüberfüllung konnten die Taxifahrer nur durch immer riskantere Fahrweisen begegnen, nicht nur, was die Schnelligkeit, sondern auch, was die Abstände zum Nachbarauto betraf. Indianern in den USA sagte man nach, sie seien in erstaunlichem Maße schwindelfrei, so dass man sie gut bei Hochbauarbeiten einsetzen könnte. Wie ich feststellen konnte, besaßen die Taxifahrer von Jakarta eine andere Spezialbegabung, nämlich eine unglaubliche Verlässlichkeit in der Abschätzung auch minimalster Abstände im Straßenverkehr. Wo bei uns ein Verkehrsfluss nur auf zwei parallelen Spuren funktionieren würde, ermöglichte diese Spezialbegabung drei, manchmal auch vier Fahrzeuge nebeneinander. Immer wieder bewunderte ich die Eleganz und den Wagemut, mit der sich die Taxifahrer schlangengleich durch das Verkehrsgewühl wanden, doch weil das alle taten, wurde das Chaos dadurch nicht gemildert, sondern nur auf eine neue Stufe gehoben.

      Unter diesen Umständen grenzte es natürlich an Masochismus einen Nahverkehrsbus zu besteigen. Ein normaler Bus in Jakarta gleicht einem fußkranken Tier, das sich langsam durch enge Straßen schleicht, während es von Tausenden Autos und Motorrädern überholt, behindert und geschnitten wird. Anders verhält es sich allerdings mit den sogenannten Korridor-Bussen, die ich schon kurz erwähnt habe. Um Jakartas ultimativen Verkehrskollaps wenigstens etwas hinauszuzögern, war man auf die Idee verfallen, die existierenden Durchgangsstraßen in der Innenstadt einfach um eine separate Busspur zu beschneiden, auf denen nur die sogenannten „Korridorbusse“ und keine anderen Fahrzeuge fahren durften. Wohlgemerkt, es wurden keine neuen Straßen gebaut, sondern bestehende Straßen wurden einfach verkleinert und die Ein- und Ausstiegsstationen für diese neuen Buslinien als abenteuerliche Konstruktionen oberhalb der Straßen hinzugefügt. Tatsächlich war es nun den Einwohnern Jakartas möglich, die Innenstadt mit den diversen Korridor-Bussen auf den freigehaltenen Straßen relativ zügig zu durchqueren. Das Nachsehen hatten die normalen Autofahrer, die sich auf den reduzierten Reststraßenflächen mit noch mehr Staus herumschlagen mussten. Das nahm man in Kauf und empfahl den Gelackmeierten ganz einfach, den Bus zu nehmen – ungeachtet der Tatsache, dass ja nur ein winziger Teil des Großraums von Jakarta durch Korridorbusse erschlossen war.

      Soweit, so semi-positiv. Auch meine Erfahrungen mit dem neuen Bus-System waren durchwachsen. Mein erster Versuch, einen Korridorbus in der