Jemal Nebez

Der kurdische Fürst MĪR MUHAMMAD AL-RAWĀNDIZĪ genannt MĪR-Ī KŌRA


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primitiven und einfältigen Bürger zu Aggressionen gegen die Christen und andere Minderheiten. Ein nicht richtig aufgeklärtes Volk wie die Kurden, das durch die Besatzungsmächte genügend feindselige Beispiele erhielt, mischte sich in die Angelegenheiten der Christen und anderer Minderheiten, nicht aus besonderem Fanatismus, sondern aus Einfalt oder Drang nach Beute. Der christliche Missionar Wigram, der Leiter der anglikanischen Mission bei den assyrischen Christen, schildert diese Tatsache sehr richtig: “A Kurd is a Mussulman, but no fanatic, though sometimes represented as such. He is not very zealous in any direction, except that of plundering his neighbour’s goods; and he is not especially efficient, even as a brigand“.95

      2 Die christlichen Missionare trugen meiner Ansicht nach auch eine nicht geringe Schuld an den Zusammenstößen. Die Missionen sahen sich nicht in der Lage, ihre Sendung zu verwirklichen. Um eine Missionarstätigkeit ausüben zu können, sind besondere Voraussetzungen zu erfüllen. Der Missionar muss sich mit der Mentalität des Volkes sehr gut vertraut machen. Es muss seinen Worten durch Taten Nachdruck verleihen. Da es der Kirche anscheinend an ausreichend fähigen Missionaren gemangelt hat, war das missionarische Wirken zum Scheitern verurteilt und man gab dem „Fanatismus“ der Kurden die Schuld. So versuchte man aus Hoffnungslosigkeit diesem „Fanatismus“ durch Aufhetzung der christlichen Minderheit gegen die Mehrheit zu begegnen. Z. B. verfolgte der englische Priester Krant, der im Dorf Tikōma in Hakārī lebte, insgeheim politische Zwecke. Er hetzte die Assyrer gegen die Kurden auf: nicht aus Gottesliebe, sondern aus politischen Gründen.96 Der amerikanische Missionar und Arzt Dr. Cochran verschwor sich mit der Qāğāren-Regierung gegen den kurdischen sunnitischen Führer Šēx ‘Ubaid allāh-ī Nahrī (starb 1883).97 Nahrī hatte dagegen eine andere Haltung gegenüber den Christen eingenommen. Als seine Anhänger ihm vorgeschlagen hatten, eine Vernichtungsoffensive gegen die Christen zu beginnen, antwortete Nahrī: „Jetzt brauchen die Osmanen uns, die Kurden, um die Christen zu vernichten, aber wenn wir die Christen vernichtet haben, dann vernichten sie (die Osmanen) uns“.98 Diese Einstellung Nahrīs wurde von Minorsky als eine ausgezeichnete Haltung bezeichnet.99 Auch die Söhne Nahrīs nahmen keine Rache an Dr. Cochran.100 Eagelton berichtet über die Haltung von Nahrīs Söhnen; verwunderlich ist dabei aber, dass Eagelton nur den Kurden die Schuld zuspricht und die Haltung von “good Cochran“ lobt: “This the good doctor did to protect the many Christians of the area who would be pillaged or killed in any general attack by the wild Kurdish tribesmen“.101 Es ist zu erwähnen, dass Eagelton selbst bestätigt, dass der Nahrī-Aufstand eine Reaktion auf das qāğārische Vorgehen gegen die Kurden war.102

      3 Einige Zusammenstöße zwischen muslimischen Kurden und Christen wurden vom osmanischen Staat mit politischem Ziel organisiert. So stachelte die osmanische Regierung die Nestorianer dazu an, dem kurdischen Fürsten Badir Xān (starb 1868) keine Steuern zu zahlen, damit dieser die Christen bekämpfe und die Osmanen die Sympathie der europäischen Kreise indirekt für sich gewinnen könnten.103 Denn Badir Xān war nach allem, was wir wissen, kein besonders fanatischer Muslim. Die amerikanischen Missionare bestätigen ihm seine Neutralität:”His government was reported by American missionaries to have imposed a just rule of law and prosecuted favoritism and graft“.104

      Nach den vorherigen Erläuterungen möchte ich dem kurdischen Forscher und Pädagogen Rafīq Ḥilmī (starb 5.8.1960) zustimmen, wenn er sagt: „Die kurdisch-christliche Feindschaft war eine Frucht dessen, was die osmanische Regierung gepflanzt hatte“.105 Was Ḥilmī sagt, deckt sich mit der Ansicht des armenischen Wissenschaftlers Safrastian, der der osmanischen Regierung die ganze Schuld an den Zusammenstößen zwischen Kurden und Armeniern gibt.106

      Zusammenfassend möchte ich sagen, wenn man die Reiseberichte und Werke mancher unsachlicher Autoren auswertet, sollte man sehr genau zwischen Tatsachen und gefühlsmäßigen, persönlichen Eindrücken unterscheiden. Eben darum bemühte ich mich hier. Ich glaube daher, dass Chalfin mit Recht sagt: „Eine große Zahl der Quellen abendländischer Herkunft, die über Kurdistan im 19. Jh. berichten, nennen die Kurden „Diebe und Räuber“. Solche Benennungen stimmen nicht immer mit den Tatsachen überein“.107

      4. Arabische Texte

      Im 20. Jh. (besonders nach der Gründung der Staaten Irak und Syrien, wo Kurden und Araber in einem Staat zusammenleben) zeigte sich bald die Notwendigkeit, über die Kurden zu forschen. Als Folge davon wurden viele Bücher über die Kurden in arabischer Sprache von Arabern geschrieben.

      Die beiden Bücher von Ṣiddīq al-Damlūğī108 waren für mich wichtige Quellen auch für die Zeit von Mīr-ī Kōra. Damlūğī war osmanischer und später irakischer Beamter, der 15 Jahre lang unter den Bahdīnān-Kurden bzw. den Yazīdī lebte.109 In seinem Buch „al-Yazīdiyyah“ berichtet er ausführlich über die Yazīdī-Religion und führt verschiedene Meinungen dazu an. Er sammelte mehrere muslimische „Fatwās“ gegen diese Sekte. Das Buch enthält Erfahrungen und Eindrücke eines mehrjährigen Lebens unter den Yazīdī und zeugt von dem Interesse al- Damlūğīs für die geschichtlichen Zusammenhänge. Dieses Buch bildet eine Quelle für die Beziehungen zwischen den Yazīdī und Mīr-ī Kōra.

      In seinem zweiten Buch vermittelt Damlūğī einen Überblick über die ‘Imādiyyah-Fürstentümer oder das Bahdīnān (kurd. Bādīnān)-Emirat, die Geschichte des Emirates, seinen Fürsten, die Stellung der Osmanen zu dem Emirat, die ‘Ulamā, die Schulen, die Beamten…. usw. Das Buch schildert auch die Beziehungen zwischen Mīr-ī Kōra und dem Bahdīnān-Emirat.

      Vergleicht man das Werk Damlūğīs mit anderen Werken, so stellt man fest, dass er im allgemeinen die Begebenheiten wahrheitsgetreu erzählt, obwohl er manchmal bei einem Urteil über die Fehler seiner sunnitisch-muslimischen Glaubensgenossen ein Auge zudrückt und den Yazīdī fast alle Schuld zuschreibt.110

      Das Werk von Ḫaṣbāk111 gehört zu den objektivsten und wissenschaftlich einwandfreiesten Werken, die bis jetzt über die Kurden verfasst wurden. Ḫaṣbāk studierte die kurdische Geschichte von Grund auf und promovierte an der Londoner Universität über Humangeographie des irakischen Kurdistan. Sein Buch enthält einen kurzen Überblick über die kurdische Geschichte und stellt die historisch-geographischen Fragen von Kurdistan dar, beschreibt ferner die kurdischen Fürstentümer und das soziale Leben der Kurden. Auch die kurdische Mentalität und die Meinung anderer Völker über die Kurden werden behandelt. Sein Werk ist m. E. eine knappe und sachliche Studie über die Kurden. Ich habe dieses Werk manchmal zitiert.

      Das Buch „al-Qaḍiyyah al kurdiyyah (die kurdische Frage)“ von Maḥmūd al-Durrah enthält viele Tatsachen über das Sōrān-Emirat von Mīr-ī Kōra, die der Verfasser teilweise von anderen Quellen übernommen hat und zu denen er Stellung nimmt. Das Buch ist ein allgemeiner Überblick über die kurdische Geschichte vom Standpunkt eines arabischen Fanatikers.112 Obwohl er versucht, sich als objektiven Wissenschaftler zu geben, konnte er sich von politischer Parteilichkeit nicht freimachen. Er entnahm den europäischen und orientalischen Quellen nur, was in seine Vorstellung passte. Andere Quellen oder Meinungen werden als „imperialistisch“ abgelehnt.

      Obwohl dieses Buch eine chauvinistische Tendenz hat, möchte ich es erwähnen, weil es erstens die Vorstellung eines bestimmten Kreises unter den Arabern widerspiegelt, zu denen auch al-Ġāmrāwī113, Aḥmad Fawzī114, Rašīd al-Fīl115 u. a. gehören; zweitens, weil es Vergleichsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Auffassungen über Mīr-ī Kōra und die Kurden im allgemeinen bietet.

      Das Buch „Ta’rīḫ al-Mawṣil (Geschichte Mossuls)“, das von dem irakischen Wissenschaftler und der bekannten christlichen Persönlichkeit Sulaimān al-Ṣā‘iġ116 stammt, enthält einige Nachrichten über Mīr-ī Kōra. Ṣā’iġ hat sowohl muslimische als auch christliche Quellen für sein Werk benutzt. Deshalb ist sein Werk nicht einseitig.

      Das Buch „al-Ta’rīḫ al-ḥadīt (die neue Geschichte)“, das 1959 in den irakischen Schulen eingeführt wurde, enthält ein Kapitel über Mīr-ī Kōra. Dieses Buch ist mir insofern wichtig, als es die offizielle arabisch-irakische Auffassung über Mīr-ī Kōra vermittelt.

      Das Buch „Ta’rīḫ al-ta’līm fī al-‘Irāq fī al-‘ahd al-‘Uṯmānī (Geschichte des Unterrichtswesens