Edgar Wallace

Edgar Wallace - Gesammelte Werke


Скачать книгу

Auto gestiegen war und auf sie zutrat.

      Diesen Augenblick, in dem die anderen abgelenkt wurden, benutzte der kleine Bursche und trat noch etwas näher an den älteren Herrn heran.

      »T.B.S.«, sagte er leise, aber klar verständlich.

      Der Mann erbleichte plötzlich, und das Geldstück, das in seiner großen, weißbehandschuhten Hand lag, fiel klirrend zu Boden.

      Der Zeitungsjunge bückte sich schnell und hob es geschickt auf.

      »T.B.S.«, flüsterte er noch einmal und noch eindringlicher.

      »Hier?« Die Lippen des alten Herrn zitterten.

      »Er beobachtet das Theater – eine Menge Detektive sind hier«, erwiderte der Junge rasch und war froh, daß er seine Botschaft angebracht hatte. Während er das Geldstück zurückgab, schob er ein Stück Papier in die Hand des Mannes.

      Dann drehte er sich mit einem vergnügten Blick zu der jungen Dame um, sah sie prahlerisch an, streifte auch ihren Begleiter mit den Augen und verschwand wieder in der Menge.

      Der ganze Vorfall hatte kaum länger als eine Minute gedauert. Gleich darauf saß die kleine Gesellschaft in einer Loge, zu der die prickelnden Melodien der Ouvertüre des »Strand Girl« hinaufschallten.

      »Ich wünschte, ich wäre ein kleiner Londoner Straßenjunge«, sagte das junge Mädchen nachdenklich und rückte den Veilchenstrauß an ihrem Ausschnitt zurecht. »Denken Sie nicht auch an Abenteuer, Frank?«

      Frank Doughton schaute mit einem bedeutungsvollen Lächeln zu ihr hinüber, und sie errötete unter seinem Blick.

      »Nein, das tue ich nicht«, erwiderte er liebenswürdig.

      Doris lachte ihn an und zuckte dann ihre schönen, zarten Schultern.

      »Für einen jungen Journalisten sind Sie viel zu offen und zu vertrauensselig, Frank. Ich möchte fast sagen: zu unerfahren. Sie müßten sich daran gewöhnen, diplomatischer zu sein und mit größerem Scharfsinn zu arbeiten – sehen Sie sich doch einmal unseren gemeinsamen Freund, den Grafen Poltavo, an!«

      Ihre Stimme klang mutwillig, und er fühlte sich verletzt. Als der Name des Polen genannt wurde, verfinsterten sich seine Züge.

      »Der kommt doch nicht etwa heute abend auch?« fragte er unangenehm berührt.

      Doris nickte mit lachenden Augen.

      »Ich weiß nicht, was Sie an diesem Mann finden«, sagte er ein wenig vorwurfsvoll. »Ich will jede Wette mit Ihnen eingehen, daß der Kerl ein Spitzbube ist! Er ist aalglatt und gewandt, aber er hat einen schlechten Charakter. Lady Dinsmore«, wandte er sich an die ältere Dame, »gefällt er Ihnen denn auch so gut?«

      »Fragen Sie nur Tante Patricia nicht«, entgegnete die junge Dame. »Sie hält ihn für den liebenswürdigsten und faszinierendsten jungen Mann in London – streite es nicht ab, Tante!«

      »Das fällt mir gar nicht ein, denn es stimmt. Graf Poltavo –« Lady Dinsmore unterbrach sich, um einige Leute durch ihr Lorgnon zu betrachten, die eben in die gegenüberliegende Loge getreten waren. Sie sah. nur den Schimmer eines grauen Kleides und eine Hand, die in einem weißen Handschuh steckte, da die Loge nicht erleuchtet war. »Graf Poltavo ist der einzige wirklich interessante Mann Londons. Er ist einfach ein Genie.« Sie schloß ihr Lorgnon, das leise einschnappte. »Es macht mir immer großes Vergnügen, mich mit ihm zu unterhalten. Lächelnd erzählt er nette Witze, zitiert in einem Atem Talleyrand und Lucullus, und man hat das Gefühl, daß er sich während der Unterhaltung ganz unabhängig von dem, was gesagt wird, seine Meinung über die Leute bildet und alle Resultate in seinem Gedächtnis registriert. Jeder bekommt sein Fach, auf dem fein säuberlich sein Name notiert wird. Wie Medizinflaschen im Schrank eines Apothekers – so wohlgeordnet stelle ich mir diese Urteile vor.«

      Doris nickte nachdenklich.

      »Ich möchte einmal einige von ihnen nehmen und öffnen. Vielleicht werde ich es eines Tages noch tun.«

      »Nehmen Sie sich in acht«, erwiderte Frank böse. »Wahrscheinlich finden Sie auf jeder dieser Flaschen drei Kreuze und außerdem das Wort ›Gift‹ verzeichnet.« Er sah sie mit wachsendem Unmut an. In der letzten Zeit hatte sich ihr Benehmen gegen ihn vollkommen geändert. Sie war seine gute Freundin gewesen, die ihm vertraut hatte, und nun hatte sie sich vor seinen Augen in eine Fremde verwandelt, die ihm fast feindlich gegenüberstand. Und doch war sie schöner als jemals. Aber sie machte sich jetzt über ihn lustig, spottete über ihn und fand ein grausames Vergnügen daran, ihn zu kränken. Sie verhöhnte seine Jugend, seine Schwerfälligkeit, seinen offenen, arglosen und ehrlichen Charakter. Am schwersten freilich war der feine Spott zu ertragen, mit dem sie seinen schüchternen Versuchen begegnete, sich ihr zu nähern, um ihr seine Zuneigung auszudrücken. Und wie gerne hätte er ihr die Leidenschaft gestanden, die ihn fast gegen seinen Willen für sie ergriffen hatte.

      Er verfiel in bittere und trübe Gedanken. Er dachte an den seidenweichen Stutzer, diesen Grafen, der als sein Rivale aufgetaucht war und der durch sein Auftreten, sein gutes Benehmen und durch seine Vorliebe für Kunst und Literatur glänzte. Welche Chancen hatte er, ein einfacher Brite, gegen solche offensichtliche Überlegenheit – wenn sich dieser Mensch nicht, wie er im Innersten hoffte, noch als Verbrecher entpuppte! Er wollte die Meinung ihres Vormunds darüber hören.

      »Mr. Farrington«, fragte er laut, »wie denken Sie denn hierüber – hallo!«

      Er sprang plötzlich auf und hob den Arm, um den älteren Herrn zu stützen.

      Farrington war aufgestanden und schwankte ein wenig. Er war auffallend blaß geworden, und sein Gesicht zuckte, als ob er Schmerzen hätte.

      Mit der größten Anstrengung riß er sich zusammen.

      »Doris«, fragte er schnell, »wo hast du dich von Lady Constance getrennt?«

      Das Mädchen schaute erstaunt auf.

      »Ich habe sie heute nicht gesehen. Sie ist gestern abend nach Great Bradley gefahren – das stimmt doch, Tante?«

      »Ja, es war recht sonderbar und meiner Meinung nach unhöflich«, erwiderte Lady Dinsmore, »daß sie ihre Gäste im Stich ließ und in ihrem Auto durch den Nebel zu ihrer Wohnung da draußen fuhr. Manchmal kommt mir der Gedanke, daß Constance ein wenig verrückt ist.«

      »Ich wünschte, ich könnte auch dieser Ansicht sein«, sagte Farrington grimmig. Dann wandte er sich plötzlich an Doughton.

      »Kümmern Sie sich, bitte, um Doris. Ich vergaß ganz, daß ich noch eine Verabredung habe.«

      Er winkte Frank mit einer kaum wahrnehmbaren Geste, und die beiden verließen die Loge.

      »Haben Sie etwas entdeckt?« fragte Farrington, als sie draußen standen.

      »In welcher Beziehung?« fragte Frank unschuldig.

      Ein beinahe ironisches Lächeln huschte über Mr. Farringtons Züge.

      »Für einen jungen Mann, der so wichtige Nachforschungen betreibt, sind Sie ein wenig unachtsam.«

      »Ach, Sie meinen die Tollington-Affäre! Nein, bis jetzt habe ich noch nichts herausgebracht; ich glaube allerdings auch nicht, daß es meine Sache ist, den Detektiv zu spielen, Nachforschungen anzustellen und Leute aufzuspüren. Ich kann ganz nette Kurzgeschichten schreiben, aber als Detektiv tauge ich nicht viel. Es ist natürlich äußerst liebenswürdig von Ihnen, daß Sie mir den Auftrag gegeben haben –«

      »Reden Sie keinen Unsinn«, unterbrach ihn der alte Herr. »Es ist nicht Liebenswürdigkeit – es ist mein eigenstes Interesse. Irgendwo in diesem Lande befindet sich der Erbe der Tollington-Millionen. Ich bin einer der Treuhänder dieses großen Vermögens und natürlich sehr daran interessiert, den Erben zu finden, damit ich meine Verantwortlichkeit loswerde. Sie wissen, daß ich demjenigen, der ihn entdeckt, gern einige tausend Pfund zahle.« Er sah auf seine Uhr. »Ich möchte aber noch über etwas anderes mit Ihnen sprechen – es betrifft Doris.«

      Sie standen in dem kleinen Gang, der hinter der Loge vorbeiführte,