antwortete sie schließlich ebenso leise. »Sie ist ein kluges junges Mädchen und fragt niemanden um Rat.« Sie machte eine Pause, fügte dann aber zögernd hinzu: »Sie mag Sie nicht gern, es tut mir leid, wenn ich Ihnen dadurch weh tue, aber das ist ganz offensichtlich.«
Graf Poltavo nickte.
»Das weiß ich. Würden Sie mir einen aufrichtigen Freundschaftsdienst erweisen und mir mitteilen, warum ich ihr unsympathisch bin?«
Lady Dinsmore lächelte.
»Ich will sogar noch mehr als das tun«, erwiderte sie freundlich. »Ich will Ihnen Gelegenheit geben, sie selbst danach zu fragen. Frank!« Sie wandte sich nach vorne und klopfte mit ihrem Fächer auf die Schulter des jungen Mannes. »Würden Sie einmal zu mir kommen und mir sagen, was eigentlich Ihr Chefredakteur damit beabsichtigt, daß er all diese schrecklichen Kriegsgerüchte in die Welt setzt? Darunter leidet doch nur die Saison in den Badeorten.«
Der Graf erhob sich schweigend von seinem Sessel und nahm den leeren Platz an der Seite der jungen Dame ein. Es herrschte zuerst ein peinliches Schweigen, aber Poltavo ließ sich dadurch nicht einschüchtern.
»Miss Gray«, begann er ernst, »Ihre Tante war so liebenswürdig, mir Gelegenheit zu geben, eine Frage an Sie zu richten. Gestatten Sie mir diese Frage?«
Doris zog die Augenbrauen hoch, und ihre Lippen kräuselten sich leicht.
»Eine Frage, auf die Sie und Tante Patricia keine Antwort finden konnten – das muß allerdings etwas Spitzfindiges sein. Wie kann ich hoffen, eine Antwort darauf zu finden?«
Er überhörte den ironischen Ton ihrer Stimme.
»Die Frage betrifft Sie selbst.«
»Ach!« Sie sah ihn mit blitzenden Augen an, und ihre kleinen Füße klopften ungeduldig auf den Boden. Dann lachte sie ein wenig ärgerlich.
»Ich habe nicht viel mit Ihnen im Sinn, Graf, das gebe ich offen zu. Ich habe erfahren, daß Sie niemals sagen, was Sie meinen, oder meinen, was Sie sagen.«
»Verzeihen Sie, Miss Gray, wenn ich Ihnen erkläre, daß sie mich ganz und gar verkennen. Ich meine stets, was ich sage, besonders wenn ich mit Ihnen spreche. Aber alles zu sagen, was ich meine, all meine Hoffnungen und Träume zu offenbaren oder gar offen auszusprechen, was ich zu träumen wage«, er sprach ganz leise, »gewissermaßen mein Innerstes nach außen zu kehren wie eine leere Tasche und den Blicken der Menge preiszugeben – nein, das ist nicht meine Art; es wäre auch töricht.« Er machte eine ausdrucksvolle Geste. »Aber um nun zur Sache zu kommen – unglücklicherweise habe ich Sie irgendwie beleidigt, Miss Gray. Ich habe etwas getan oder unterlassen – oder meine unbedeutende Persönlichkeit findet nicht Ihr Interesse. Ist das nicht wahr?«
Die Aufrichtigkeit, mit der er sprach, war unverkennbar.
Aber das junge Mädchen war mit ihren Gedanken nicht bei der Sache. Ihre blauen Augen blieben kühl, als ob sie etwas anderes beobachtete, und ihr Gesicht hatte in seiner jungen Herbheit eine merkwürdige Ähnlichkeit mit den Zügen ihres Onkels angenommen.
»Ist das die Frage, die Sie an mich richten wollten?«
Der Graf verneigte sich schweigend.
»Dann will ich Ihnen auch eine Antwort geben«, sagte sie leise, aber erregt. »Ich will Vertrauen gegen Vertrauen schenken – ich will diesem unsicheren Zustand ein Ende machen.«
»Das ist mein sehnlichster Wunsch.«
Doris sprach weiter, ohne sich um die Unterbrechung zu kümmern.
»Sie haben recht – es ist wahr, daß ich mich nicht für Sie interessiere. Ich freue mich, daß ich es Ihnen einmal offen sagen kann. Vielleicht sollte ich einen anderen Ausdruck wählen. Ich habe eine ausgesprochene Abneigung gegen Ihr geheimnisvolles Wesen – es verbirgt sich etwas Dunkles in Ihnen; und ich fürchte Ihren Einfluß auf meinen Onkel. Sie sind mir erst vor vierzehn Tagen vorgestellt worden, Mr. Farrington kennt Sie weniger als eine Woche – trotzdem haben Sie es fertiggebracht, mir einen Heiratsantrag zu machen, was ich eigentlich nur als eine Unverschämtheit – bezeichnen kann. Heute waren Sie drei Stunden bei meinem Onkel. Ich kann nur vermuten, was Sie mit ihm zu tun hatten.«
»Wahrscheinlich vermuten Sie das Falsche«, erwiderte er kühl.
Farrington sah schnell und argwöhnisch zu ihnen hinüber. Poltavo wandte sich wieder an Doris.
»Ich möchte nur Ihr Freund sein an dem Tage, an dem Sie meine Hilfe brauchen«, sagte er leise. »Und glauben Sie mir, dieser Tag wird bald kommen.«
»Ist das Ihr Ernst?« fragte sie ein wenig bedrückt.
Er nickte zustimmend.
»Wenn ich Ihnen nur glauben könnte! Ja, ich brauche einen Freund. Oh, wenn Sie wüßten, wie ich von Zweifeln hin und her geworfen werde! Wie mich Furcht und schreckliche Vorstellungen bedrängen!« Ihre Stimme zitterte. »Es ist irgend etwas nicht so, wie es sein sollte – ich kann Ihnen nicht alles erklären ... Wenn Sie mir helfen könnten ... Darf ich eine Frage an Sie richten?«
»Tausend, wenn Sie es wünschen.«
»Und werden Sie mir auch antworten – ich meine, aufrichtig und ehrlich?« In ihrem Eifer sah sie wie ein Kind aus.
Er mußte lächeln.
»Wenn ich überhaupt antworten kann, so seien Sie sicher, daß ich die Wahrheit sagen werde.«
»Dann sagen Sie mir, ob Dr. Fall zu Ihren Freunden gehört?«
»Ich kenne ihn recht gut«, erwiderte er schnell. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wer Dr. Fall sein konnte, aber die augenblickliche Situation schien diese Lüge zu rechtfertigen – Poltavo fiel das Lügen sehr leicht.
»Oder kennen Sie vielleicht Mr. Gorth?«
Er schüttelte energisch den Kopf, und sie atmete erleichtert auf.
»Und wie stehen Sie zu meinem Onkel? Sind Sie sein Freund?« Sie hatte ganz leise gesprochen, aber sie sah ihn begierig an, als ob von seiner Antwort alles abhinge.
Er zögerte.
»Das ist schwer zu sagen«, gab er schließlich zurück. »Wenn Ihr Onkel nicht unter dem Einfluß Dr. Falls stände, würde er wohl mein Freund sein.« Er griff alles aus der Luft und folgte nur der Anregung, die er durch ihre erste Frage erhalten hatte.
Doris sah ihn plötzlich mit Interesse an.
»Darf ich Sie vielleicht fragen, wie Ihr Onkel die Bekanntschaft dieses Dr. Fall gemacht hat?«
Poltavo stellte diese Frage mit einer Sicherheit, als ob er alles wüßte und bis auf diesen einen Punkt vollständig informiert wäre.
Sie war unentschlossen.
»Das weiß ich nicht genau. Dr. Fall haben wir schon immer gekannt. Er lebt nicht in der Stadt, und wir sehen ihn nur gelegentlich. Er ist –« Sie zögerte wieder, fuhr dann aber schnell fort: »Ich glaube, er hat einen furchtbaren Beruf, er behandelt Geisteskranke.«
Poltavo war aufs äußerste interessiert.
»Bitte erzählen Sie mir noch ein wenig mehr.«
»Ich fürchte, Sie lieben den Klatsch«, sagte sie ein wenig ironisch, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich kann ihn nicht ausstehen, aber mein Onkel sagt, das sei ein Vorurteil von mir. Er ist einer dieser ruhigen, bestimmt auftretenden Männer, die sehr wenig sprechen und aus denen man nicht klug wird. Kennen Sie dieses ungewisse Gefühl auch? Es ist so, als ob man gezwungen wäre, einen Tango vor einer Sphinx zu tanzen.«
Poltavo lachte, so daß seine weißen Zähne sichtbar wurden. »Und Mr. Gorth?«
Wieder zuckte sie zögernd die Schultern.
»Das ist ein ziemlich gewöhnlicher Mann, er sieht fast aus wie ein Verbrecher, aber anscheinend hat er meinem Onkel viele Jahre lang treu gedient.«
»In welchen Beziehungen steht Dr. Fall zu Ihrem Onkel?« fragte er. »Ist er ihm