Edgar Wallace

Edgar Wallace - Gesammelte Werke


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wird. Haben Sie nicht letzte Woche von John Didworth gelesen, der eine Krankenpflegerin in Kensington Gardens niederknallte und sich dann selbst erschoß?«

      Manfred nickte.

      »Er war doch ein sehr bekannter Mann?«

      »Ja, er genoß so großes Ansehen und hatte so viele Beziehungen, daß wir den Fall auf sich beruhen ließen. Es hätte zuviel Staub aufgewirbelt. Er starb am nächsten Tag im Hospital, und die Ärzte erklärten, daß er unweigerlich unter dem Einfluß eines indischen Rauschgiftes stand. In den wenigen Augenblicken, in denen er noch zum Bewußtsein kam, erzählte er dem Arzt, daß er in der Nacht vorher betrunken war und schließlich in einer Art Opiumhöhle landete. Von der Zeit an konnte er sich auf nichts mehr besinnen, bis er im Hospital erwachte. Er starb, ohne zu wissen, daß er dieses gräßliche Verbrechen begangen hatte. Zweifellos hat er unter dem Einfluß dieses Rauschgiftes in einer Art Wahnsinn die erste Person niedergeschossen, die ihm begegnete.«

      »War er in Mr. Ballams Opiumhöhle?« fragte Gonsalez interessiert.

      In diesem Augenblick hob sich der Vorhang wieder, und sie konnten ihre Unterhaltung nur noch flüsternd fortsetzen.

      »Das wissen wir nicht genau. In seinem Delirium hat er allerdings Ballams Namen erwähnt. Wir haben alles getan, was in unseren Kräften stand, um es herauszubringen. Ballam ist Tag und Nacht beobachtet worden. Alle Lokale, die er besucht hat, haben wir durchforscht, aber wir haben nichts gefunden, was ihn in irgendeiner Weise belasten könnte.«

      Leon Gonsalez hatte seine besonderen Eigentümlichkeiten. Morgens um neun Uhr beim Frühstück war er am lebhaftesten und leistungsfähigsten. Am nächsten Morgen legte er die Zeitung hin und fragte:

      »Was ist eigentlich Verbrechen?«

      »Mein lieber Professor«, sagte Manfred feierlich, »das will ich dir sagen. Es ist die Abweichung von den Gesetzen, welche die menschliche Gesellschaft beherrschen.«

      »Das ist eine abgegriffene Erklärung. Mein lieber George, um neun Uhr morgens bist du immer etwas fade. Hätte ich dich um Mitternacht gefragt, so hättest du mir geantwortet, daß jede Handlung ein Verbrechen ist, die absichtlich deinen Nächsten verletzt oder schädigt. Wenn ich die Sache noch genauer bestimmen und, wie man sich hierzulande ausdrückt, juristisch definieren wollte, würde ich hinzusetzen, ›die gegen das Gesetz verstößt‹. Auf ein aufgeklärtes Verbrechen kommen wohl zehntausend unentdeckte. Die Leute nennen eigentlich nur diejenigen Übertretungen Verbrechen, die von einer gewissen Klasse von ungebildeten oder halbgebildeten Verrückten oder Halbverrückten begangen werden. Hier liegt doch eine ganz gemeine Tat vor, ein ungeheuerliches Verbrechen. Wir haben hier einen Mann, der die Lebenskraft junger Menschen zerstört und ihr Glück erbarmungslos mordet. Hier ist einer, der Männer und Frauen in den Schmutz zieht, sie in ihren eigenen Augen herabsetzt und allen Ehrgeiz, alles Aufwärtsstreben in ihnen tötet, nur damit er in einem gewissen Luxus leben, schneeweiße Wäsche tragen, teure Weine trinken und die feinsten Leckerbissen essen kann.«

      »Wen meinst du denn eigentlich?« fragte Manfred.

      »Er wohnt Nr. 93 Jermyn Street, er ist sozusagen unser Nachbar.«

      »Ach so, du sprichst von Mr. Ballam?«

      »Allerdings«, erwiderte Gonsalez ernst. »Heute abend werde ich als ein ausländischer Artist ausgehen und mir viel Geld in die Tasche stecken. Ich habe die Absicht, mich auf Tod und Leben zu amüsieren, und ich zweifle nicht, daß ich früher oder später dabei mit Mr. Ballam zusammentreffe. Sehe ich eigentlich wie ein Detektiv aus, George?« fragte er unvermittelt.

      »Du siehst eher wie ein genialer Klaviervirtuose aus«, sagte George.

      Gonsalez rümpfte die Nase.

      »Du kannst sogar morgens um neun Uhr schon recht unausstehlich sein.«

      *

      Die Verbrecher haben mit zwei Gefahrmomenten zu rechnen, wenn sie darauf ausgehen, schnell und leicht zu Reichtum zu kommen. Zunächst besteht das Risiko der Entdeckung und Bestrafung sowohl für wohlhabende als für arme Verbrecher, und außerdem können sie viel Geld verlieren, das sie angelegt haben, um sich damit noch größere Summen anzueignen. Der Verbrecher, der Geld in ein Geschäft steckt, läuft die geringste Gefahr, entdeckt zu werden. Aus diesem Grunde werden gewöhnlich auch nur die Mittellosen und die Dummen gefaßt und zur Verantwortung vor den Richter gezogen, während die Wohlhabenden selten auf der Anklagebank sitzen.

      Mr. Gregory Ballam hatte früher bei einer Auktion drei Häuser in der Montague Street, Portland Place, gekauft. Sie standen nebeneinander und bildeten einen Block für sich. Das erste war als Bürogebäude vermietet; ein Rechtsanwalt hatte das Erdgeschoß belegt, im ersten Stock befanden sich die Räume eines Wein- und Spirituosenhändlers. Der zweite Stock enthielt eine Reihe einfacher Zimmer, in denen Mr. Gregory Ballam seine Geschäfte abwickelte. Außerdem benutzte er auch das Kellergeschoß, das er vollständig hatte ausbessern und herrichten lassen. Hier war, wenn auch gerade nicht ein komfortables, so doch nettes und sauberes Lager angelegt. Durch den Keller konnte man unter anderem auch zu einer neuen Garage kommen, die für einen Teilhaber Mr. Ballams eingebaut worden war.

      Nur die Bauarbeiter, die bei den Reparaturen beschäftigt waren, wußten, daß man auch von einem Haus in das andere gelangen konnte, und zwar durch eine Tür im Keller, die schon vor dem Verkauf der Häuser bestand, oder durch einen neuen Zugang in den Büroräumen Mr. Ballams.

      Das dritte Haus beherbergte die Räume des Internationalen Artistenklubs. Die Polizei war Mr. Ballam niemals dorthin gefolgt, weil er niemals dorthin gegangen war, wenigstens nicht durch den vorderen Haupteingang. Der Artistenklub hatte unter seinen Räumen auch einen ›Ruhesalon‹, und hier war Mr. Ballam manchmal erschienen, als ob er ein Zauberer wäre. Er hatte dann eine kleine, ausgewählte Gesellschaft getroffen und sie durch eine wohlverborgene Seitentür in das Erdgeschoß des Mittelhauses geführt, welches das ansehnlichste der drei Gebäude war. Hübsche Gardinen hingen an allen Fenstern. Hier wohnte Mr. Reymond, ein älterer, achtbarer Herr mit seiner Frau.

      Es war seine Gewohnheit, jeden Morgen um zehn Uhr ins Geschäft zu gehen. Sein blitzblanker Zylinder saß dann immer etwas kühn auf dem Kopf, unter dem Arm schaute ein zusammengerollter Regenschirm hervor, und im Knopfloch prangte eine Blume. Die Polizei kannte ihn vom Ansehen, und die Polizisten des Bezirks grüßten ihn freundlich. In früheren Zeiten hatte dieser Mr. Reymond einen prachtvollen, weißen Bart und bezog ein verhältnismäßig hohes Einkommen, indem er Bettelbriefe schrieb und leichtgläubige, mitfühlende alte Damen besuchte, um ihren Geldbeutel zu erleichtern. Damals führte er allerdings einen ganz anderen Namen und genoß auch nicht den guten Ruf, dessen er sich in der Montague Street erfreute. Aber jetzt war er glattrasiert, sah aus wie ein pensionierter Admiral und erhielt vier Pfund wöchentlich dafür, daß er jeden Morgen um zehn Uhr aus dem Hause ging, seinen tadellosen Zylinder kühn durch die Straßen trug, den zusammengerollten Regenschirm unter den Arm klemmte und eine Blume im Knopfloch trug. Die meiste Zeit des Tages verbrachte er in der Guildhall-Bibliothek; um fünf Uhr abends kam er dann wieder heiter und guter Dinge in seine Wohnung zurück.

      Wenn er sein schweres Tagwerk vollendet hatte, ging er mit seiner Frau in das kleine Wohnzimmer, und dort spielten sie Karten. Sie unterhielten sich dabei lustig und vergnügt, aber ihre Ausdrücke waren keineswegs salonfähig.

      Im Obergeschoß dieses Mittelhauses befand sich ein geheimnisvoller, luxuriös eingerichteter Salon. Dort frönten hinter dreifachen schwarzen Samtvorhängen Männer und Frauen Tag und Nacht dem Opiumrauchen. Mr. Ballam hatte die Trennungswand zwischen zwei Zimmern herausbrechen lassen und dadurch einen kleinen Saal geschaffen, der unter seiner persönlichen Aufsicht auf das prächtigste ausgestattet worden war. Dieser Raum war nur zum Opiumrauchen bestimmt. Wenn jemand Haschisch bevorzugte, konnte er sich diesen Genuß im Erdgeschoß verschaffen. Zuweilen erschien auch Mr. Ballam selbst, um eine Pfeife von diesem träumeerzeugenden Kraut zu rauchen, aber gewöhnlich beschränkte er seine Besuche auf besondere Gelegenheiten, zum Beispiel die Einführung eines neuen lukrativen Kunden. Merkwürdigerweise hatten die Rauschgifte keinen gesundheitsschädigenden Einfluß auf ihn, worauf er sehr stolz war.

      Auch jetzt rühmte er sich wieder einem