Edgar Wallace

Edgar Wallace - Gesammelte Werke


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Ich bin sehr müde.«

      Er ging wieder zu dem Geldschrank, schloß ihn umständlich auf und nahm ein längliches Paket heraus, das in braunes Papier eingeschlagen, sorgsam verschnürt und versiegelt war.

      »Das ist eine Brillantenhalskette – sie ist achttausend Pfund wert. Ich werde sie morgen in meinem Safe auf der Bank deponieren – das heißt, wenn Sie –«

      »Was meinen Sie?« fragte Elsie Chaucer ruhig.

      »Wenn Sie die Kette gern haben wollen, trage ich sie nicht auf die Bank, sondern schenke sie Ihnen. Ich habe nun einmal eine Schwäche für schöne Frauen.«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Ist es Ihnen noch nie aufgefallen, Mr. Birn, daß ich schon viele Halsketten hätte haben können, wenn ich gewollt hätte? Nein, ich danke Ihnen. Ich sehne mich nach dem Ende meines Dienstverhältnisses.«

      »Und wenn ich Sie nun nicht freilasse?« sagte Mr. Birn ärgerlich, als er das Paket wieder in den Geldschrank zurücklegte und die Tür sorgfältig abschloß. »Nehmen Sie einmal an, ich brauchte Sie noch für weitere drei Jahre? Was meinen Sie denn dazu? Die Tat Ihres Vaters ist in keiner Weise verjährt, er kann jeden Augenblick verhaftet werden. Kein Mensch darf einen anderen umbringen, selbst wenn der andere ein einfacher Croupier ist. In England steht noch immer der Strang darauf.«

      »Ich habe für den Fehltritt meines Vaters schwer genug bezahlt«, erwiderte sie leise. »Sie wissen ja gar nicht, wie ich dieses Leben hasse, Mr. Birn. Ich fühle mich elender als die verkommenste Frau auf der Welt. Ich muß mein Leben damit zubringen, Männer ihrem Ruin entgegenzulocken! Ich wünschte bei Gott, ich hätte niemals diesen Vertrag mit Ihnen gemacht. Manchmal ist mir schon der Gedanke gekommen, meinem Vater offen zu sagen, wieviel ich für seine Sicherheit zahlen muß, und ihn dann entscheiden zu lassen, ob mein Opfer das wert ist.«

      Mr. Birn sah sie betroffen an.

      »Sie werden keinen solchen Unsinn machen«, sagte er dann scharf. »Ich habe doch eben nur gescherzt, als ich davon sprach, daß Sie mir noch länger helfen sollten. Nun gehen Sie aber besser nach Hause, meine Liebe, und legen sich schlafen.«

      Er begleitete sie die Treppe hinunter bis zur Haustür und schaute ihr noch nach, bis sie in der dunklen Straße verschwand. Dann schloß er die Tür fest zu und ging in sein Zimmer zurück. Er trank das halbe Glas Whisky, das er auf dem Tisch hatte stehen lassen, auf einen Zug aus, aber sein Gesicht verzog sich dabei.

      »Das Zeug schmeckt aber sonderbar«, sagte er, ging zwei Schritte auf die Tür zu und fiel plötzlich bewußtlos nieder.

      Während Mr. Birn Elsie Chaucer begleitet hatte, war ein Fremder in das Zimmer geschlüpft. Er trat jetzt hinter den Fenstervorhängen hervor, neigte sich über den Mann und öffnete ihm den Kragen. Dann ging er leise in den schwach erleuchteten Gang und winkte jemand. Manfred kam geräuschlos herein – er trug Gummiüberschuhe.

      Er blickte auf Mr. Birn und dann auf die Überreste in dem Whiskyglas. »Du hast ihm wohl Buthylchlorid gegeben?«

      »Ganz recht«, bestätigte Leon sachlich, »den ›Knockout-Tropfen‹, der in Verbrecherkreisen so beliebt ist.«

      Er durchsuchte die Taschen Mr. Birns, nahm den Schlüsselbund heraus, öffnete den Safe und trug das versiegelte Paket zum Tisch. Dann sah er nachdenklich auf den Bewußtlosen.

      »Er wird nur fünf Minuten unter der vollen Wirkung des Schlafmittels stehen, aber ich denke, das genügt!«

      »Hast du dir eigentlich überlegt, welche Folgen derartige Dämmerzustände unter dem Einfluß von Buthyl haben können?« fragte Manfred. »Ich habe dich beobachtet, wie du das Hyocin mit Morphium gemischt hast, bevor wir fortgingen.«

      »Ich habe die Quantitäten nicht genau gemischt«, erwiderte Gonsalez sorglos. »Und wenn er tatsächlich abkratzte, würde ich nicht darum weinen. Du mußt ihm nach einer halben Stunde noch eine Spritze geben, George, dann werde ich wieder hier sein.«

      Er nahm einen kleinen, schwarzen Kasten aus der Tasche und öffnete ihn. Die Injektionsspritze war schon gefüllt. Sachkundig rollte er den Ärmel des Mannes zurück und machte die Injektion.

      Mr. Birn wachte am nächsten Morgen mit fürchterlichen Kopfschmerzen auf.

      Er konnte sich nicht darauf besinnen, wie er zu Bett gekommen war, aber offensichtlich hatte er sich selbst entkleidet, denn er hatte seinen violettseidenen Pyjama an. Er klingelte und erhob sich. Obgleich der ganze Raum sich um ihn zu drehen schien, konnte er sich doch auf den Füßen halten.

      Seine Haushälterin trat ein.

      »Was ist eigentlich gestern abend mit mir passiert?« fragte er.

      Sie sah ihn verblüfft an.

      »Nichts – als ich mich von Ihnen verabschiedete, saßen Sie in der Bibliothek im Sessel.«

      »Dann ist es dieser ganz abscheuliche Whisky«, brummte er.

      Ein kaltes Bad und eine Tasse Tee milderten die entsetzlichen Schmerzen, aber er war noch sehr schwach auf den Beinen, als er in die Bibliothek ging.

      Plötzlich kam ihm ein Gedanke, und ein furchtbarer Schrecken erfaßte ihn. Wenn man ihm ein Schlafmittel in den Whisky gegossen hatte! Er konnte sich zwar nicht vorstellen, wann das möglich gewesen wäre. Aber wenn jemand einen Einbruch verübt hatte ...!

      Er öffnete den Geldschrank und atmete erleichtert auf.

      Das Päckchen lag noch an seiner Stelle. Dann war es also doch dieser verdammte Whisky. Er frühstückte nicht, bestellte seinen Wagen und fuhr direkt zur Bank.

      Als er später in sein Büro kam, fand er seinen jungen Angestellten in einem Zustand höchster Verwirrung und Aufregung

      »Vorige Nacht müssen Einbrecher hier gewesen sein, Mr. Birn!«

      »Einbrecher?« wiederholte Mr. Birn entsetzt. Aber dann lachte er. »Ach, die können ja doch nicht viel holen. Aber wie kommen Sie zu der Annahme?«

      »Ich will darauf schwören, daß jemand hier war. Der Geldschrank stand offen, als ich heute morgen hierherkam, und eins der Geschäftsbücher war herausgenommen – es lag auf Ihrem Tisch.«

      Birn lächelte verschmitzt.

      »Nun, ich wünsche den Herren Einbrechern viel Glück.«

      Trotzdem war er betroffen und sah alle seine Papiere sorgfältig durch, ob eines der wichtigen Dokumente fehlte. Alle Schuldscheine, die er besaß, befanden sich im Gewahrsam der Bank, in derselben großen Kassette, die nun auch das kostbare Halsband barg. Es war ihm zur Bezahlung einer Schuld übergeben worden.

      Kurz vor Tischzeit kam der Clerk wieder in sein Büro.

      »Der bewußte Herr ist wieder da«, sagte er flüsternd.

      »Wen meinen Sie denn?« fragte Mr. Birn mürrisch.

      »Sie wissen doch, der Herr von der Jermyn Street, der die Schecks von Mr. Eder gesperrt hat.«

      »Lassen Sie ihn herein.«

      »Nun, mein Herr«, begann er liebenswürdig, als Leon hereinkam, »haben Sie sich die Sache überlegt?«

      »Ja – ich kann Sie doch wohl allein sprechen?«

      Birn gab seinem Angestellten einen Wink, den Raum zu verlassen.

      »Ich bin heute gekommen, um alle Schulden zu begleichen, zum Beispiel die Schuld eines Mr. Chaucer.«

      Mr. Birn starrte ihn an.

      »Wirklich, ein liebenswürdiger Herr, dieser Chaucer! Ich habe ihn heute morgen besucht. Vor einiger Zeit hat er einen solchen Nervenschock erlitten, daß ihm beide Beine gelähmt wurden. Er konnte infolgedessen seine Wohnung seit langer Zeit nicht mehr verlassen.«

      »Sie erzählen mir da Zeug, das mich nicht im geringsten interessiert«, sagte Mr. Birn grob.

      »Der arme Mensch steht unter dem Eindruck, daß er einen rothaarigen Croupier