Edgar Wallace

Edgar Wallace - Gesammelte Werke


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ist Miss Crane«, erklärte Mrs. Tilling, die seine Verlegenheit nicht bemerkte, »die Sekretärin von Mylady. Sie ist furchtbar hochnäsig, und dabei sagen die Leute, daß sie kein Vermögen hat und nur von dem lebt, was sie hier auf dem Schloß verdient. Wenn man sie so daherkommen sieht, könnte man glauben, sie wäre eine Königin.«

      Mrs. Tilling hatte so hart und böse gesprochen, daß sich Ferraby wunderte.

      Plötzlich reichte sie ihm ihre kleine Hand, die in einem eleganten Handschuh steckte, und verabschiedete sich.

      Er hatte die Empfindung, daß jemand am Fenster des Wirtshauses stand und sie beobachtete. Sicher war es Tom, denn als er ins Gasthaus eintrat, begrüßte ihn der junge Mann grinsend.

      »Die hat sich also auch schon an Sie herangemacht? Wie die es bloß immer anstellt, daß sie sofort mit allen Leuten bekannt wird! Ich halte mich von ihr fern; ich bin verlobt, und mit meiner Braut ist in der Beziehung nicht zu spaßen.«

      Tom trat hinter den Schanktisch.

      »Ist es Ihnen noch zu früh für ein Glas Bier?«

      »Nein, ich trinke immer ganz gern ein Glas«, log Ferraby.

      Plötzlich hörte er Schritte hinter sich, und eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter.

      »Kennen Sie meine Frau?« fragte jemand.

      Ferraby drehte sich gelassen um und schaute in das dunkle Gesicht des Parkwächters, dessen Augen zornig aufblitzten.

      »Wenn Sie noch einmal Ihre Hand auf meine Schulter legen«, sagte er mit Nachdruck, »dann schlage ich Ihnen mit der Faust unters Kinn. Ich kenne Ihre Frau nicht – wenn Sie Mr. Tilling sind. Ich bin nur mit ihr die Straße zum Dorf entlanggegangen. Wenn Sie sonst noch etwas wissen wollen, dann fragen Sie schnell, bevor ich Sie hier hinauswerfe.«

      »Ich habe ein Recht zu fragen, oder wollen Sie das bestreiten? Es soll nicht jeder Fremde meine Frau anquatschen –«

      »Ich bin hier kein Fremder.« Ferraby nahm die Sache nicht mehr tragisch. »Ich bin ein Detektiv von Scotland Yard und habe ein Interesse daran, mich mit allen Leuten gutzustellen.«

      Tilling erschrak und sah den jungen Beamten von der Seite an.

      »Von Scotland Yard?« stotterte er. »Das wußte ich nicht. Was wollten Sie denn von meiner Frau wissen?«

      Aber noch ehe Ferraby antworten konnte, wandte sich Tilling um und verließ das Gasthaus.

      »Ist das nicht ein netter Kerl?« fragte Tom ironisch. »Aber daran ist nur die Frau schuld. Was halten Sie von ihr, Mr. Ferraby?«

      »Ach, sie ist reizend und wirklich sehr schön.«

      Tom nickte.

      »Die macht ihren Mann noch verrückt. Passen Sie auf, der stellt nächstens noch Dummheiten an. Aber dafür kann man ihn dann nicht zur Verantwortung ziehen.«

      Ferraby trank nicht gern Bier am frühen Vormittag, aber vom Gastzimmer aus konnte er die Gegend ruhig beobachten. Er sah auf die Dorfstraße hinaus und hoffte, daß Isla Crane auf diesem Weg nach Hause zurückkehren würde.

      Nach einer Weile bemerkte er sie auch. Hastig setzte er sein Glas nieder, trat möglichst gleichgültig auf die Straße hinaus und grüßte sie.

      »Erinnern Sie sich noch an mich, Miss Crane?«

      Sie lachte ein wenig.

      »Ja. Sie sind Mr. Ferraby. Haben wir uns nicht eben schon gesehen, als Sie mit – Mrs. Tilling sprachen?« fragte sie mit leichter Ironie. »Forschen Sie wieder die Leute aus, Mr. Ferraby? Warum sind Sie überhaupt hier?«

      »Ich muß eine Menge von Angaben nachprüfen. Es handelt sich diesmal um einen Mann, der hier im Gasthaus wohnte und den man verhaftete, weil er gefälschte Banknoten unter die Leute brachte.«

      »Ach so!« Allem Anschein nach fühlte sie sich erleichtert. Es fiel ihm aber auf, daß sie ebenso begierig war, ihn auszufragen, wie er sie. Er begleitete sie noch ein Stück Weges, aber hundert Meter vor dem Hausportal blieb sie stehen.

      »Es ist besser, wenn Sie nicht weiter mitkommen, Mr. Ferraby. Sonst könnte man glauben, Sie wären nicht wegen des Mannes mit dem Falschgeld hier, sondern um den Mord in Marks Priory aufzuklären. Und das würde wahrscheinlich Mylady in große Aufregung versetzen.«

      Plötzlich wandte sie sich um und sah den Fahrweg entlang. Sie besaß ein besseres Gehör als Ferraby und hatte die Schritte auf dem Kiesweg längst gehört. Gleich darauf kam ein junger Mann in Sicht, der einen leichten Flanellanzug trug und ohne Hut ging.

      »Kennen Sie Lord Lebanon?« fragte sie leise.

      »Ich bin ihm schon begegnet, aber ich glaube nicht, daß er sich meiner erinnert.«

      »Guten Morgen, Isla.« Der junge Mann sah ihren Begleiter neugierig und fragend an. »Ach, ich kenne Sie«, sagte er dann plötzlich und kniff die Augen zusammen, als ob er scharf nachdächte. »Sie kamen mit Mr. Tanner her. Ich weiß auch Ihren Namen: Ferret ... Ferraby, sehen Sie, ich habe es doch.«

      »Ein glänzendes Gedächtnis, Mylord«, entgegnete der Detektiv.

      »Das ist aber auch das einzig Gute an mir! Und selbst diese Fähigkeit macht in Marks Priory keinen Eindruck. Aber was tun Sie hier? Haben Sie die arme Isla im Verhör?« Er grinste. »Mich hat niemand ausgefragt, weder Tanner noch der merkwürdige kleine Kerl, der immer bei ihm ist – dieser Sergeant Totty. Ich muß wohl sehr dumm aussehen – hast du übrigens Amersham getroffen?« fragte er Isla.

      »Ich wußte nicht, daß der hier ist.«

      »Oh, der ist im Schloß. Wir müßten eigentlich immer eine Flagge hissen, wenn er ankommt. Am besten wäre ein grüner Schädel mit zwei gekreuzten Knochen auf gelbem Feld.«

      »Willie!« sagte sie leise und vorwurfsvoll.

      Er lachte nur darüber.

      »Kennen Sie eigentlich unseren Freund Amersham?« wandte er sich an Ferraby.

      »Oberflächlich.«

      »Das genügt auch. Es wäre selbst für einen Polizisten überraschend, wenn er ihn durch und durch kennenlernen würde. Uns fällt er hier so auf die Nerven, daß wir es kaum aushalten können.« Er sah nachdenklich auf den Detektiv. »Warum sind Sie eigentlich hier? Wegen dieser verdammten Mordgeschichte?«

      »Mr. Ferraby hat mir vorhin erzählt, daß er damit nichts zu tun hat. Es handelt sich um den Mann mit den gefälschten Banknoten, der hier im Dorf war –«

      »Ach ja, ich besinne mich auf ihn. Wo wohnen Sie denn, Mr. Ferraby – unten im Gasthaus? Sie hätten doch zum Schloß kommen sollen. Ich bin sicher, daß Mylady nichts dagegen hätte einwenden können. Und ich –«

      Isla sah ihn scharf an, und er brach plötzlich ab.

      »Ich glaube, daß es im Gasthaus sehr ungemütlich ist. Das ist direkt ein Schweinestall!«

      »Aber Willie, es ist doch ein sehr anständiges Gasthaus«, sagte Isla mit Nachdruck.

      »Und ich habe das beste Zimmer«, entgegnete Ferraby lächelnd. »Außerdem wunderbar gesunde Beine, auf denen ich schnell das Lokal verlassen kann, wenn es mir nicht mehr passen sollte.«

      Der junge Lord lachte herzlich.

      »Sie schlafwandeln doch nicht etwa?« Plötzlich wandte er sich verlegen an Isla. »Es tut mir leid, daß ich das gesagt habe.«

      Ferraby sah zu seinem Erstaunen, daß sie dunkelrot geworden war.

      »Sind Sie auf dem Weg zum Herrenhaus, Mr. Ferraby? Dann begleite ich Sie.«

      »Nein, Mr. Ferraby ist nur mit mir gekommen und geht jetzt zum Dorf zurück.«

      »Dann begleite ich Sie dorthin.«

      Isla ging fort, ohne sich zu verabschieden.

      »Isla,