Edgar Wallace

Edgar Wallace - Gesammelte Werke


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sich nicht abzumühen. Ich glaube, das Gras ist sehr feucht.«

      Als sie fortgingen, drehte sich Ferraby noch einmal um und sah zu seiner Verwunderung, daß Isla tatsächlich vor den Sträuchern stehengeblieben war, auf die Lebanon gezeigt hatte, und mit jemand sprach, den man nicht sehen konnte.

      »Ich wußte doch, daß er dort steckt«, sagte Lord Lebanon und lachte. Dann nahm er Ferraby am Arm und ging mit ihm zusammen den Fahrweg hinunter. Da er nicht besonders groß war, reichte sein Kopf kaum an Ferrabys Schulter.

      »Es gibt zwei Redensarten über einen Lord. Entweder sagt man: ›so betrunken wie ein Lord‹ oder ›so glücklich wie ein Lord‹. Betrunken bin ich noch nie gewesen, und es ist schon sehr lange her, daß ich einmal glücklich war, so lange, daß ich es beinahe vergessen habe. Sie haben wohl viel zu beobachten, Mr. Ferraby? Sie müssen den Leuten nachgehen und aufpassen, was sie tun und reden? Wenn Sie nun aber selbst einmal beobachtet Würden? Ach, ich kann Ihnen sagen, das ist eine langweilige Geschichte.«

      »Haben Sie denn schon einmal unter Beobachtung gestanden?« fragte Ferraby erstaunt.

      Lebanon nickte heftig.

      »Obwohl Isla ihn gewarnt hat, folgt er mir«, entgegnete er ruhig.

      Ferraby wandte sich um und entdeckte einen großen Mann, der langsam hinter ihnen den Fahrweg entlangging. Er erkannte einen der beiden Diener von Marks Priory.

      »Es ist eine sonderbare Erfahrung, aber man gewöhnt sich mit der Zeit daran. Ich muß Ihnen etwas gestehen.« Er nahm seinen Arm aus dem Ferrabys und sah zu seinem Begleiter auf. »Wissen Sie, warum ich fragte, ob Sie mit mir ins Schloß kommen wollten? Ich wollte nur den Mann ärgern, der hinter uns hergeht. Und wenn ich sage: ärgern, dann meine ich: ihm Furcht einjagen. Wenn ich mich nicht sehr irre, hat er Sie erkannt und weiß, daß Sie ein Beamter von Scotland Yard sind. Und davor ist ihm doch etwas bang. Warum, weiß ich auch nicht. Aber man braucht im Schloß nur von Scotland Yard zu reden, dann ist es gleich so, als ob man sich in der Schreckenskammer befindet. Wo liegt eigentlich Scotland Yard?« fragte er plötzlich.

      Ferraby erklärte es ihm.

      »Ach so, in der Nähe des Parlaments. Ich glaube, ich kenne das Gebäude. Wenn ich in den nächsten Tagen in die Stadt komme, werde ich mich einmal ausführlich mit Ihnen und dem Beamten unterhalten, der die Untersuchung des Falles leitet; wie heißt er doch gleich – ach so, Tanner! Ich könnte ihm Dinge erzählen, die ihm geradezu Spaß machen würden.«

      Sie gingen quer über die Straße zu dem Gasthaus.

      »Nachdem ich nun getan habe, worüber sich alle ärgern, werde ich Sie verlassen«, sagte der Lord.

      »Worüber ärgern sich denn die anderen?«

      »Daß ich mich mit einem Polizeibeamten so eingehend und ernst unterhalte. Ich habe eine Ahnung, daß Gilder besonders dazu angestellt ist, das zu verhindern. Wenn er nun heute nacht unruhig schläft, freue ich mich wenigstens!«

      Ferraby stand in der Tür des Gasthauses und sah Lebanon nach. Gilder folgte seinem jungen Herrn in respektvoller Entfernung.

      Die Abende in Marks Priory schlichen meist in qualvoller Eintönigkeit dahin. Amersham war nach London zurückgekehrt, so daß Willie nicht einmal einen Menschen hatte, mit dem er sich zanken konnte. In Wirklichkeit hatte er doch ein wenig Furcht vor dem Doktor; aber manchmal konnte er ihn durch irgendeine anscheinend unschuldige Bemerkung nervös und ärgerlich machen. Nachdem er das einmal erlebt hatte, ließ er keine Gelegenheit ungenützt, es zu wiederholen.

      Isla hatte sich bereits zur Ruhe gelegt, und Lady Lebanon war unheimlich schweigsam. Der junge Lord fühlte, daß seine Mutter mit ihm sprechen wollte und daß die Unterredung nicht sehr angenehm für ihn werden würde. Diese Stille bedeutete meist nichts Gutes.

      »Wer war der Herr, mit dem du dich heute so lange unterhalten hast, Willie?« begann sie schließlich.

      Darauf wollte sie also hinaus!

      »Ach, das ist – den Namen habe ich leider vergessen. Ich habe ihn unten im Dorf getroffen.«

      »Ein Polizeibeamter?«

      »Ja, ich glaube«, sagte Willie äußerst gleichgültig und griff nach einer Zeitung.

      »Was hast du ihm gesagt?«

      »Nichts. Ich habe mir nur die Zeit vertrieben! Er wohnt in dem Gasthaus – wirklich ein netter Kerl. Er kommt von London und stellt Nachforschungen wegen des Geldfälschers an. Wenigstens hat er mir das gesagt.«

      Sie biß sich auf die Unterlippe und sah ihn lange an.

      »Er ist hier, um den Mord aufzuklären. Er wurde auch beobachtet, wie er mit Mrs. Tilling sprach und sie ausfragte. Hoffentlich hast du nichts verraten, Willie?«

      Der junge Lord lachte laut auf.

      »Ich, etwas verraten! Was sollte ich denn verraten? Ich weiß doch nicht, wer den armen Studd umgebracht hat. Vielleicht habe ich eine Ahnung, aber genau weiß ich es nicht. Und wenn ich wirklich wüßte, wer es getan hat, würde ich dem Kerl eine Kugel durch die Rippen jagen – besonders wenn es der Mann ist, den ich für den Mörder halte.«

      Sie sah ihn an; ihr Blick war scharf, fast hypnotisch.

      »Du sprichst sehr leichtsinnig über diese Dinge, Willie. Aber hoffentlich begreifst du, wie schwerwiegend ein solcher Verdacht ist. Selbst wenn die Beamten nichts beweisen können, tragen sie vielleicht so viel Material zusammen, daß ein vollkommen Unschuldiger ins Gefängnis gesteckt wird.«

      »Der Schuldige aber auch«, entgegnete Willie rücksichtslos. »Aber ich weiß gar nicht, Mutter, warum du dir darüber Sorgen machst. Man sollte fast annehmen, du wolltest verhindern, daß der Mörder Studds verhaftet wird!«

      Sie richtete sich hoch auf, aber dann seufzte sie.

      »Was hast du dem Detektiv gesagt?« fragte sie aufs neue.

      »Nichts.«

      Er stand schnell auf und warf die Zeitung auf den Tisch.

      »Der Mann hat mich lange nicht soviel gefragt wie du. Ich gehe jetzt zu Bett!«

      Als er sich zur Treppe wandte, sah er Gilder auf der unteren Stufe.

      »Warten Sie einen Augenblick, Mylord. Ich möchte wirklich wissen, was Sie dem Polizeibeamten gesagt haben.«

      »Gilder«, rief Lady Lebanon hart, »lassen Sie den Lord vorbeigehen.«

      Lebanon konnte vor Zorn und Ärger nicht sprechen. Er eilte an dem Diener vorbei die Treppe hinauf.

      »Gilder, das hätten Sie nicht tun sollen.«

      »Es tut mir leid, Mylady«, erwiderte der Mann nicht gerade unterwürfig. »Aber dieser Detektiv von Scotland Yard hat mich außerordentlich beunruhigt. Ich dachte, die Untersuchung wäre zu Ende. Ich möchte nur wissen, warum sie die Sache wieder aufgegriffen haben. Es war einer von Tanners Leuten.«

      Sie nickte.

      »Er wohnt unten im Gasthaus. Glauben Sie, daß die Geschichte wahr ist – ich meine, daß er Nachforschungen wegen des Geldfälschers hier anstellen will? Immerhin wäre es möglich. Er muß nicht unbedingt hergekommen sein, um den Mord aufzuklären.«

      Gilder schaute sie zweifelnd an.

      »Ich weiß es nicht, er ist nur ein Sergeant. Wenn etwas Wichtiges im Gange wäre, würden wir sicher den Chefinspektor selbst hier sehen. Die niederen Beamten werden doch nur mit geringeren Aufgaben betraut. Ich glaube nicht, daß er sich den Kopf über Studd zerbricht.«

      »Ich möchte doch erfahren, was dieser Sergeant hier in der Gegend macht. Berichten Sie mir auf jeden Fall, wann er wieder abfährt.«

      Sie nahm eine Kassette aus einer Schublade ihres Schreibtisches und ging die Treppe hinauf. Sie führte ein sehr regelmäßiges Leben, dessen Verlauf nur unterbrochen wurde, wenn unangenehme Leute wie Dr. Amersham die Ruhe ihres Daseins störten.