Reiner W. Netthöfel

Der Aufpasser


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Sie das erklären?“

      „Nein.“

      „Gut.“

      „Browne?“

      „Ja?“

      „Sie sind mir sympathisch.“

      „Gut, dass Sie es sagen, gemerkt hätte ich es nicht.“

      „Warum hat er in New York angefangen?“, fragte MW unvermittelt.

      „Wer?“

      „Der Täter. Schauen Sie, er zieht eine Blutspur hinter sich her: New York, ein Mal, Chicago, zwei Mal, Seattle, ein Mal, Los Angeles, San Francisco, jeweils drei Mal, dann Houston, dann diese Mätzchen in Florida. Immer gab es Hinweise auf einen rassistischen, rechtsradikalen Hintergrund, kleine, verbrannte Kreuze, entsprechende Symbole. Der Klan ist doch vorwiegend im Süden aktiv. Warum fing er im Nordosten an? Warum wandert er quer durch das Land? Warum sollte ein rassistischer Südstaatler, der schwarze Prostituierte, oder was er dafür hält, hasst, nach New York fahren, um seine Serie zu starten?“ Browne machte ein ratloses Gesicht.

      „Keine Ahnung.“ MW grübelte.

      „Schon mal daran gedacht, dass der ganze Symbolismus ein Ablenkungsmanöver sein könnte?“

      „Wie meinen Sie das?“

      „In New York landen die meisten Auslandsflüge.“

      „Sie meinen, er ist gar kein Amerikaner?“

      „Auf jeden Fall wäre das möglich.“

      „Hey, Sie ermitteln ja!“, lachte Browne.

      „Ich möchte nur wissen, mit wem ich es gegebenenfalls zu tun haben werde, sind nur ein paar Gedankenspielchen.“

      „Was hat denn Ihre Kommunikationsanalyse ergeben?“, wechselte Browne das Thema.

      „Wir hatten natürlich nicht so viel Zeit, nur ein paar Stunden, wie Sie wissen. Aber eines ist interessant. Misty Stone hatte in den Monaten vor ihrem Tod häufiger Kontakt zu einer Person in einem sozialen Netzwerk, oder wie das heißt. Ein regelrechter Schleimer, der aber auch dann und wann mal den väterlichen Ratgeber gibt. So nach dem Motto: trink nicht so viel, rauch nicht so viel, mein Kind. Gibt vor, die Welt zu kennen, mehrere Sprachen zu sprechen. Er nannte sich Speedy Gonzales. Interessanterweise hören seine Einträge mit dem Tod der Frau auf. Als wenn er es gewusst hätte.“

      „Es gab Presseberichte.“

      „Ja, aber es ist immerhin ein Ansatzpunkt. Blunt hatte Kontakt zu einem ähnlichen Typen.“

      „Sie hat sich nach Stones‘ Tod schweren Herzens zurückgehalten, was ihre Präsenz im Netz angeht, hat ihren Nicknamen gewechselt und gibt vor, die Beiträge nur noch zu lesen, aber nicht mehr selbst zu kommentieren.“

      „Glauben Sie das?“ Browne zuckte die Schultern. MW hob den Zeigefinger. „Sie sollten sich darum kümmern.“

      „Ja, wird gemacht. - Kann man Speedy eigentlich zurückverfolgen, also feststellen, wer er ist, oder von wo er operiert?“

      „Nein, der ist geschickt, keine Chance.“ Wenn selbst MW’s Assistentinnenphantom das nicht herausfinden kann, dachte Browne, ist die Chance wohl wirklich ziemlich gering. Ihm fiel seine eigentliche Mission wieder ein und damit eine Idee, die er dann auch noch aussprach.

      „Würde es Ihrer Entscheidungsfindung helfen, wenn es eine Möglichkeit gäbe, den Präsidenten, äh, persönlich zu treffen?“, wollte Browne hoffnungsfroh wissen und erschrak, denn er erntete Blicke, als habe er etwas unglaublich Dummes gesagt, und so war das auch, aber das würde sich Jackson Browne in voller Gänze erst später erschließen.

      „Sind Sie wirklich der Meinung, ich ließe mich durch eine Audienz bei einem Politiker in meinen Entscheidungen beeinflussen?“, fragte MW entgeistert, wobei er das Wort ‚Politiker‘ förmlich ausspuckte. Seine Meinung von Browne war gerade in den Mariannengraben gerutscht. Browne hob abwehrend die Hände.

      „Es war ein Versuch, okay?“ Der Amerikaner schüttelte den Kopf ob des übersteigerten Selbstbewusstseins dieses Privatdetektivs, wie er meinte. Wo nahm der das nur her? Jeder andere würde sich von einem Händedruck und smalltalk mit dem mächtigsten Mann der Welt beeindrucken lassen. Für wen hielt der Kerl sich?

      „Weiß er übrigens, dass ich auf Ihrer Einkaufsliste stehe?“ Browne schüttelte abermals den Kopf, diesmal jedoch, um zu verneinen.

      „Darum kümmert er sich nicht persönlich.“

      Ein paar Stunden assoziierten die beiden Männer noch hin und her, aßen etwas, machten weiter, dann fragte MW beiläufig:

      „Wann müssen Sie eigentlich fort?“ Der Amerikaner schlug sich erschrocken mit der flachen Hand vor die Stirn und jaulte auf; er hatte die verletzte Hand als Schlaghand benutzt.

      „Sie haben recht, meine Maschine geht heute Abend. Verdammt, daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Wir wollten ja so schnell wie möglich Klarheit, ob Sie akzeptieren. Ich muss mit Blunt sprechen, die Nichte notfalls überreden.“ Er sah auf die Uhr. „In vier Stunden geht mein Flieger, das schaffe ich niemals.“, meinte er resignierend.

      „Von wo fliegen Sie?“

      „Rammstein.“ MW schmunzelte.

      „Das schaffen wir.“, behauptete er.

      „Das sind doch dreihundert Meilen, oder so.“, veröffentlichte Browne Zweifel.

      „Wir nehmen das ulkige Auto.“

      „Da waren wir doch gestern essen.“ Browne wies erstaunt aus dem Fenster.

      „Korrekt.“

      „Das sind ja nur ein paar hundert Meter; mir kam das gestern viel weiter vor.“ MW schwieg.

      Obwohl er zweifelte, dass sie es rechtzeitig schaffen würden, war Browne zunächst guter Dinge und plapperte munter vor sich hin. Etwas ruhiger wurde er, als sie die Autobahn erreichten, um vollends zu verstummen, als die Anzahl der Verkehrsteilnehmer sank, die Besiedelung lockerer wurde und MW dem ulkigen Auto die Sporen geben konnte.

      Browne hatte vorsichtshalber die Augen geschlossen, so dass er ein interessantes Phänomen, das auf deutschen Autobahnen eher selten anzutreffen ist, nicht mitbekam: MW fuhr immer auf freier Strecke. Hatte er langsamere Fahrzeuge vor sich, wechselten die alsbald die Spur und ein Blick in die Gesichter der Fahrer hätte Browne erkennen lassen, dass die dies nicht freiwillig getan hatten und, vor allen Dingen, nicht wussten, warum sie es getan hatten. So allerdings entging dem Amerikaner dieses, einem Naturereignis gleichkommende, Geschehen und Verhalten und MW hatte keinerlei Interesse, seinen Fahrgast darauf aufmerksam zu machen.

      Während Browne also immer grauer wurde und verbissen schwieg, steigerte sich MW’s Laune, was sich aber nicht durch einen verbalen Mitteilungsdrang oder das Pfeifen von Liedchen oder Melodien äußerte, höchstens einem zufriedenen Lächeln hätte man dies entnehmen können, aber das entging Browne, weil der sich zu visueller Reizaufnahme nicht in der Lage sah.

      Als MW den Wagen vor dem ersten Tor der US-Luftwaffenbasis stoppte, hörte er ein Ächzen neben sich. Der schwarze Mann war ganz grau geworden.

      „Sie sehen schlechter aus als heute Morgen.“, bemerkte MW trocken. Als Antwort hörte er heftiges Atmen. „Wir sind übrigens da, sie können die Augen wieder aufmachen.“

      „Mmmpffff.“

      „Wie bitte?“

      „Ich glaube, ich bin noch nie so schnell gefahren.“, flüsterte der Graue.

      „Die Startgeschwindigkeit eines Flugzeuges …“, begann MW mit einer Belehrung, wurde aber unterbrochen.

      „Ich meine, in einem kleinen Auto auf öffentlichen Straßen.“ Browne klang schrill.

      Wortlos kletterte der Amerikaner mit weichen Knien aus dem Auto und schwankte zum Heck, wo MW ihm die Kofferraumklappe