Reiner W. Netthöfel

Der Aufpasser


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Brownes Gesicht hellte sich auf, endlich würde er einen Namen erfahren. Er reichte dem Deutschen die Hand.

      „Jackson.“ MW ergriff mit einem Lächeln Jacksons heile Rechte.

      „MW.“ Jacksons Lächeln erstarb. Im Fortgehen drehte sich MW noch einmal um und rief dem enttäuschten Schwarzen zu: „Grüß Michelle, falls du sie siehst.“

      „Welche Michelle?“

      „Die Gattin deines Präsidenten.“

      Mit hängenden Mundwinkeln sah Jackson dem fortfahrenden MW nach.

      „Ich möchte wissen, mit wem Jackson in den nächsten Stunden telefonisch Kontakt aufnimmt.“, raunte MW in das Telefon.

      „Welcher Jackson?“

      „Jackson Browne.“

      „Ach, der. Ich dachte, es ginge um diesen Hit von Johnny Cash.“, kicherte eine merkwürdige Frauenstimme. Sie sollte sich mal die Stimmbänder operieren lassen, dachte MW.

      „Bitte.“

      „Okay.“

      Am übernächsten Morgen ging vor der Zeit das Telefon, entsprechend war MW’s Laune.

      „Hi.“, hörte er aus dem Gerät. Ein Amerikanisch sprechender, schwarzer Mann, dachte er.

      „Kaum bist du zu Hause, hast du schon alle Regeln der Höflichkeit vergessen, was?“, raunzte MW.

      „Wieso?“, fragte Jackson entrüstet zurück.

      „Schon mal was von Zeitzonen gehört? – Außerdem wolltest du erst anrufen, wenn du mit der Nichte gesprochen hast. Hast du?“ Schweigen, das MW, zum Vorteil von Jackson, als Verlegenheit auslegte, seine Wut aber nicht milderte. Dazu trug auch nicht bei, dass Jackson nicht mit einer Antwort auf seine Frage aufwartete.

      „Ich habe herausgefunden, wie du heißt.“ In Jacksons Stimme schwang Siegesgewissheit mit, aber MW schmunzelte spöttisch.

      „Aha. Und deshalb rufst du mich mitten in der Nacht an?“

      „Martin Winterkorn.“, erklang es triumphierend aus dem Gerät. Jetzt musste MW trotz der frühen Uhrzeit doch lachen.

      „Hast dir das Melderegister vorgenommen, was? Check es in ein paar Stunden noch einmal.“

      „Wieso?“

      „Mach es einfach.“

      „Na gut. Was die Sache mit Blunt angeht …?“

      „Du hast noch nicht mit ihr gesprochen, aber mach es bald.“

      „Ich frage jetzt nicht, woher du das weißt, ist das richtig?“, fragte Jackson vorsichtig und fast hoffnungslos.

      „Wenn du kein ganz mieses Gefühl bekommen willst, ist das richtig.“

      „Was?“

      „Nicht zu fragen. “

      Ein paar Stunden später war unter der Adresse MW‘s ein Michael Westhofen gemeldet.

      Der Schwarze lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. Jackson Browne hatte alles getan. Fast alles. Er hatte diesen MW für den Fall interessiert. MW war zwar kein Kriminalist, wie er selbst gesagt hatte, aber er hatte durchaus Interesse an diesen Dingen, und seine Ideen hinsichtlich des Serienmörders hatten etwas, das gaben selbst die professionellen Ermittler zu. Aber MW hatte noch nicht zugesagt, den Auftrag zu übernehmen; hierzu müsste Jackson bei Emmy Blunt Schönwetter machen, und das war nicht so einfach, wenn nicht unmöglich. Er sah nur eine Möglichkeit, sie zu bewegen, wenigstens einmal daran zu denken, sich schützen zu lassen: sie mit dem Schicksal Misty Stones zu konfrontieren. Sie wusste zwar ungefähr, was passiert war, aber er musste ihr vor Augen führen, dass sie in derselben Gefahr schwebte. Er brauchte einen Plan. Er brauchte auch einen Plan, um MW enttarnen zu können. Das war zwar eher eine persönliche und private, eine sportliche Herausforderung, aber er hatte diesen Mann nun einmal kennengelernt und blickte überhaupt nicht mehr durch. Dass jemand seine Identität verschleiert, damit konnte Browne umgehen, das passierte in manchen Kreisen. Aber dass niemand sagen konnte, wie MW seine Heldentaten vollbracht hatte, machte ihn stutzig. Wurde MW einfach gnadenlos überschätzt? Andererseits war da die Sache mit der

      Schublade …

      Er hat mit Katzen und Bären gesprochen. Jackson musste lächeln. Oder hatte er die Tiere, die Einbrecher, die Attentäter … beeinflusst? Browne schüttelte den Kopf. Er hatte einfach zuviel Fantasie. Übersinnliche Kräfte gehörten in das Reich der Märchen und science fiction.

      Kannte MW Michelle Bama? Wieso ließ er Grüße an sie ausrichten? Sicher konnte er ihr am Rande von irgendwelchen Konferenzen begegnet sein. Es half nichts.

      Er griff zum Telefon und wollte gerade Emmy Blunt anrufen, als das Gerät sich meldete.

      „Ja?“

      „Cormack hier.“ Das Büro des Präsidenten. Browne straffte sich. „Haben Sie schon jemanden für die Nichte?“

      „Ich stehe in Verhandlungen, Sir.“

      „Mit wem?“

      „Das möchte ich im Augenblick noch nicht sagen, Sir.“

      „Aha.“, sagte Cormack abschätzig. „Woran liegt es, dass Sie noch nicht weiter sind? Sie wissen, dass Geld keine Rolle spielt.“

      „Weiß ich, Sir, es liegt auch nicht am Geld.“

      „Sondern?“

      „Der potenzielle Auftragnehmer setzt das Einverständnis von Mrs. Blunt voraus.“

      „Oh je.“

      „Genau, Sir.“

      „Was wollen Sie unternehmen?“

      „Wollte sie gerade anrufen, Sir.“

      „Okay, locken Sie, drohen Sie, machen Sie, was Sie wollen, aber bekommen Sie das hin.“ Cormack hatte aufgelegt, bevor Browne etwas entgegnen konnte.

      Browne stand im Schatten einer Palme und schwitzte. Seine Anzugjacke hatte er ausgezogen und die Krawatte gelockert, dennoch wirkte er inmitten von Shorts und Bikinis tragenden Menschen deplatziert. Er kam trotz seines Südstaatenslangs aus der Gegend der Großen Seen und würde sich nie an die tropische Schwüle Floridas gewöhnen. Blunt hatte es kategorisch abgelehnt, sich in ihrer Wohnung zu treffen, und so hatte er zugestimmt, den Strand Miamis als Treffpunkt zu wählen. Seine Gedanken wanderten sehnsüchtig zu Blunts klimatisiertem Appartement. Seit einer Stunde wartete er auf die extravagante Lady. Er sah sich um und entdeckte eine Frau, die einer brasilianischen Karnevalstanztruppe entsprungen schien. Um die hochgesteckten, schwarzen Haare hatte sie ein grellbuntes Tuch gewunden, so dass es aussah, als trüge sie einen Turban, aus dem oben ein Haarbüschel herausragte. Ihr ovales Gesicht wurde von einer riesigen Sonnenbrille halb verborgen, die auf einer relativ kleinen, für ihre Rasse schmalen Nase saß. An ihren kleinen Ohren hingen riesige, rosa Reifen. Die muskulösen Schultern und Arme waren unbedeckt, wenn man von einer Reihe bunter Armreifen, die die halben Unterarme umgaben, absah. Sie trug ein grellgelbes, mit giftgrünen Rüschen besetztes Bikinioberteil, das nicht viel zu verdecken hatte. Darunter sah man einen Waschbrettbauch, der unterhalb des Bauchnabels von einer äußerst knappen Jeansshorts begrenzt wurde, die wiederum zwei äußerst wohlgeformte, muskulöse Beine ausstellten, deren Füße in durchsichtigen Plateauschuhen steckten. An ihrer Schulter hing eine große Strandtasche und ihn einer Hand hielt sie eine rosa Hundeleine, an deren Ende ein rotblondes Fellbündel im Sand schnüffelte. Allerdings bemerkte Browne, dass dieser Dame nicht die Aufmerksamkeit zuteil wurde, wie es zum Beispiel in einer Kleinstadt in den Appalachen gewesen wäre. Da hier am Miami Beach haufenweise schrille und schöne Leute herumliefen, zog sie kaum die Blicke auf sich.

      Browne hob zaghaft die Hand, worauf die Lady auf ihn zugestapft kam.

      „Hi, Jackson!“, rief sie schon von weitem und balancierte auf ihren Plexiglassohlen. „Tut mir leid, dass Sie fünf Minuten warten