Nina Galtergo

Versuchung


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könnten“, lachte er zurück.

      Sie zog zweifelnd die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf.

      „Das gefällt mir nicht, Florian, wenn das mit uns rauskommt, dann haben wir jede Menge Ärger am Hals!“

      „Das mit uns kommt nicht raus, du wirst sehen“, beschwichtigte er sie.

      „Dein Wort in Gottes Ohr!“

      Den Rest des Abends hielt Kirsten sich von Christoph fern, um kein weiteres Aufsehen zu erregen. Wie in den früheren Jahren ihrer Anwesenheit gönnte sie sich die eine oder andere Leckerei am Buffet und unterhielt sich tatsächlich ganz nett mit einigen der anwesenden Frauen. Irritiert bemerkte sie die abschätzigen Blicke einer jungen Frau in einem etwas zu kurzen Hauch von einem Kleid, doch sie konnte mit der Dame nichts anfangen und war auch nicht in Stimmung, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

      Immer, wenn Christophs und ihre Blicke sich begegneten, spürte sie ein flaues Gefühl in der Magengegend und wusste in Sekundenschnelle wieder, was sie bereits alles gegessen hatte, weil ihr Mageninhalt durcheinandergewirbelt wurde. Dieses Unwohlsein verstärkte sich exponential, wenn Florian in ihre Nähe kam. Zum Glück absolvierte ihr Gatte nur kurze Stippvisiten an ihrer Seite, um dann weiter wie ein Vogel durch den Raum zu flattern und Konversation zu betreiben, denn in den wenigen Minuten, die sie tatsächlich nebeneinander standen, merkte er nicht, wie daneben seine Frau war.

      Sie betrachtete ihn an diesem Abend immer wieder interessiert von der Seite wie ein Studienobjekt: Wie hatte er sich verändert. Aus dem introvertierten Langweiler war ein richtiger Macher geworden, dem die Menschen seiner Umgebung an den Lippen hingen. Sie erkannte ihn kaum wieder, und das verunsicherte sie zunehmend. Wer war dieser Mann? Was dachte er, welche Pläne verfolgte er, welchen Träumen jagte er nach? Sie hätte es nicht sagen können, weil sie es schlichtweg nicht wusste. Gar nichts wusste sie mehr von ihm, zumindest nicht von seinem aktuellen Ich. In seiner Vergangenheit kannte sie sich gut aus, sie wusste genau, welche Größen die Kleidungsstücke an seinem Körper hatten. Aber die Krawatte, die er trug, kannte sie nicht. Dabei ließ er doch sonst stets sie seine Garderobe kaufen. Nun, dann sind diese Zeiten anscheinend vorbei, kein Grund zu jammern. Dennoch bekümmerte die neue Krawatte sie, weil sie ihr wie ein Symbol für die Distanz erschien, die es sich zwischen ihnen häuslich eingerichtet hatte. Ihr Blick suchte Christoph und heftete sich unauffällig an ihn. Die Ehefrau eines Kollegen sabbelte sie mit Kürbisrezepten voll und schwafelte ungebremst von veganer Küche. Sollte sie doch!

      Er unterhielt sich mit einem älteren Kollegen namens Schmidt, den hier alle sehr mochten. Schmidt schien von einem seiner legendären Auftritte als Gitarrist in frühen Jahren zu berichten, denn er spielte für einen Augenblick mit verzücktem Gesicht beeindruckend eine Luftgitarre. Kirsten liebte seine Geschichten über sein wildes Leben, das er vor Studienende geführt hatte, aber leider war er viel zu selten anwesend, wenn es etwas zu feiern gab, und dann wurde er umgarnt wie ein Popstar, weil alle wussten, dass man sich mit ihm amüsieren konnte. Und Christoph schien es nicht anders zu gehen, denn er amüsierte sich offenbar blendend über die Leistung seines Gegenübers, der gerade hingebungsvoll pogte. Er bemerkte ihren Blick und sah sie durch den Raum an, ihre Blicke schienen sich miteinander zu verbinden wie zwei Hände, die einander schüttelten. Unauffällig zwinkerte er ihr zu und schenkte ihr ein breites, etwas selbstgefälliges Lächeln, schließlich drehte er sich scheinbar entspannt wieder Schmidt zu, der in der Zwischenzeit von seiner Frau wieder beruhigt worden war und den seine Tanzeinlage von eben nun etwas peinlich zu berühren schien.

      Doch Kirsten sah, wie Christophs Hände nervös das Glas umklammert hielten.

      Sie freute sich zu gar nicht besonders später Stunde über Florians Angebot, dass sie schon ohne ihn nach Hause fahren konnte. Darauf hatte sie nur gewartet! Artig verabschiedete sie sich, auch von Christoph, per Handschlag, doch als sie ihm die Hand gab, spürte sie die nervöse Feuchtigkeit auf ihrer Haut und die hitzige Wärme an seiner. War das aufregend! Doch Christoph sagte weiter nichts, also ging sie so alleine, wie sie hergekommen war. Im Fahrstuhl lehnte sie sich mit geschlossenen Augen an die Wand und atmete tief ein und wieder aus.

      Die Tür öffnete sich mit einem Ruck und Kirsten eilte im Parkhaus auf ihren Wagen zu. Trotz der strikten Sicherheitsvorkehrungen fühlte sie sich immer beklommen hier unten so alleine. Per Fernbedienung öffnete sie das Auto, stieg eilig ein und verriegelte den Wagen von innen. Hoffentlich war auf dem Heimweg nicht viel Verkehr, denn nüchtern war sie irgendwie nicht, auch wenn sie keinen Alkohol getrunken hatte. Vermutlich war das das erste Mal, dass sie die Weihnachtsfeier selbst fahrend hinter dem Steuer des Autos verließ, dachte sie schmunzelnd, völlig champagnerfrei, aber dennoch berauscht.

      Sie fuhr die Rampe hinauf und hielt wenige Meter nach dem Passieren der Schranke abrupt an, denn Christoph stand winkend am Straßenrand. Sie ließ das Fenster herunter und spürte wieder ihr Herz, das arme, das heute so viel mitmachen musste. Buppbupp, Buppbupp.

      „Ich wollte dir nur eine gute Nacht wünschen und drinnen läuft eine Kamera.“

      Heimlichtuerei! Wie fühlt sich das an, he? Nicht gut, was?

      Er lächelte sie atemlos und aufgeregt an, sein Atem zeichnete sich in der kalten Winterluft ab und ihr schwante, dass dieses Lächeln sie viel mehr in seinen Bann zog, als es sollte, viel mehr, als es ihr und ihrer Ehe gut tat. Ein läppisches Küsschen und schon bist du sein größter Fan. Erbärmlich!

      „Darf ich dir noch einen Gutenachtkuss geben?“, fragte er lächelnd. Er hatte sich spontan dazu entschlossen, schließlich schien die Überrumpelungstaktik bei ihr aufzugehen Was hätte er nicht alles gegeben für einen weiteren Kuss von ihr!

      Sie nickte nur und er beugte sich durch das geöffnete Fenster in das Wageninnere.

      Dieses Mal erwiderte sie den Kuss um einiges schneller und so geriet der Gutenachtkuss ein wenig zu intensiv, um danach noch gut schlafen zu können. Um ein Haar hätte sie ihn ins Auto gebeten, und nicht auszudenken, welchen Verlauf der Abend dann genommen hätte.

      „Wann sehen wir uns wieder?“, fragte er ungeduldig, er schlang sich die Arme um den Oberkörper und rieb die Schuhe aneinander. Seine Wangen röteten sich bereits etwas.

      Zeit gewinnen, Mädchen! Erst einmal die vielen Hormone ausschwitzen und auf den Boden der Tatsachen aufschlagen!

      „Ich ruf dich an“, seufzte sie.

      „Du hast meine Nummer noch gar nicht.“

      Er kramte in seinem Jackett nach Papier, doch er fand nichts. Sie holte einen alten Parkschein und einen Stift aus der Seite ihrer Tür und reichte ihm beides. Eilig kritzelte er seine Nummer auf das Stückchen Papier und gab es ihr mit einem verlegenen Lächeln, zweifelnd darüber, ob sie ihn wohl jemals anrufen würde.

      „Danke. Gute Nacht.“ Sie legte den ersten Gang ein und löste die Handbremse.

      „Schlaf schön.“

      Er trat vom Auto zurück. Lächelnd fuhr sie an und sah ihn langsam im Rückspiegel verschwinden. Ihr Herz schlug wilde Kapriolen – was für ein Abend. Ob du ihn wohl jemals anrufen wirst?

      Zu Hause angekommen kochte sie sich noch einen Tee, den sie sich mit ins Badezimmer nahm. Sie betrachtete sich lange nachdenklich im Spiegel. Wer bist du eigentlich? Zu was bist du fähig? Was geht in dir vor? Hast du das so geplant? Was hat dich dazu gebracht, ihn dazu zu bringen, es zu tun? Was hast du dir dabei gedacht und was gedenkst du nun zu tun?

      Sie fuhr sich mit dem rechten Zeigefinger über die Lippen, als könne sie dabei den Kuss noch einmal spüren. Ein wohliger Schauer huschte ihr über den Rücken bei dem Gedanken daran und sie musste unbewusst lächeln.

      Langsam zog sie sich aus, Stück für Stück. Nur in Unterwäsche ging sie ins Schlafzimmer und hängte das Kleid ordentlich auf den gepolsterten Bügel. Die durchsichtige Kleiderhülle ließ sie achtlos auf dem Fußboden liegen.

      Zurück im Bad bürstete sie sich gedankenverloren das Spray aus den Haaren und begann, sich abzuschminken. Zuletzt griff sie zur elektrischen Zahnbürste und ließ sie im Mund kreisen.

      So nüchtern und schlicht