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Es lebe hoch!
Sie hätte den aalglatten Verkäufer, der ihnen das dunkle Laminat in Nussbaumoptik als besonders pflegeleicht präsentiert hatte, mit einem einzigen Fußtritt mitten hinein in seinen schmalen, verlogenen Hintern zum Mond schießen können. Mit besten Wünschen! Wie konnte sich ein auf den ersten Blick vollkommen harmloses Wesen dermaßen entpuppen als durchtriebener Lügner, Betrüger und als Hausfrauenhasser sowieso!
„Nein, das ist nicht pflegeintensiv, ach was! Lassen sie dagegen die bezaubernde Optik auf sich wirken! Und eigentlich ist es ganz im Gegenteil pflegeleicht, hatte ich das schon erwähnt? So pflegeleicht, sie werden es kaum putzen müssen. Laminat an sich ist ein gänzlich schmutzunempfindlicher Fußbodenbelag.“ Dazu das klebrigste Lächeln der Menschheitsgeschichte, das Lächeln eines eiskalten Halsabschneiders.
Bisher hatte sie geglaubt, dass das verlockende Adjektiv „pflegeleicht“ keinen allzu großen Bedeutungsspielraum zuließ, dass es eindeutig war, in Bezug auf ihr Laminat bedauernswerterweise jedoch eindeutig falsch. Jede Fluse und jedes Flöckchen Staub, egal wie winzig, fielen selbst dem augenschwachsten Betrachter sofort ins Auge, weswegen der Staubsauger täglich für die Fußbodenpflege angeworfen werden musste. Außerdem war das ihr so verhasste Wischen im zwei-Tage-Rhythmus notwendig, um alle Schlieren und Flecken zu beseitigen. Das Haus durfte nur noch unbeschuht betreten werden, was bei einigen Gästen, ausgenommen Skandinavier - doch von denen hatten sie nicht allzu viele in ihrem Bekanntenkreis - zu dauerhafter Irritation führte (und zu manch peinlichem Anblick, wenn die Strümpfe der unverhofft Unbeschuhten zu wünschen übrig ließen). Wahrscheinlich hatte dieser Heuchler eine fette Prämie von seinem Chef kassiert, als er ihnen diesen Lagerbestseller andrehte, und gewiss hatte der sich dafür etwas Schönes kaufen können, während sie nun Unsummen in Laminatpflegezusätze investierte. Unzählige Male hatte sie es sich in ihrer Phantasie zusammengesponnen, wie er triumphierend sein mageres Fäustchen geballt hatte, während sie mit seeligem frisch-betuppt-und-nix-bemerkt-Lächeln zu ihrem Auto geschlendert waren, hocherfreut über den Neukauf. Und die ganze Zeit, die flöten ging, die schöne wertvolle Zeit, die sie nun mit der Reinigung des Fußbodens vergeudete. Der große Teppich unter dem Sofa verbarg mittlerweile zum Glück einen beträchtlichen Teil des Wohnzimmers. Den brauchte man nur zweimal wöchentlich zu saugen. Nun ja, die Küche als bevorzugter Aufenthaltsort hatte auch ihren Reiz.
Dennoch, blanke Wut und das Gefühl, von vorne bis hinten veräppelt worden zu sein, blieben.
Denn an Tagen wie diesen, an Tagen, an denen Besuch ins Haus stand, musste alles tiptop sein, was das verhasste Laminat selbstverständlich mit einschloss. Sie konnte nichts dagegen tun, irgendwie pflegte sie diesbezüglich eine hartnäckige Pedanterie, dabei wäre es wahrscheinlich klüger gewesen, den Besuchern am Eingang einfach getönte Sonnenbrillen in die Hände zu drücken mit der Bitte, diese beim Betreten des Wohnzimmers aufzusetzen. Das hätte der Party einen ganz eigenen Stempel aufgedrückt. Zumindest wären die Fotos dann mal sehenswert gewesen. So würde sich der alt bekannte Langweilerhaufen zusammenfinden, sich erst betrinken, zu fortgeschrittener Stunde hemmungslos besaufen und inmitten dieser Horde würde ihre Schwiegermutter heimlich ihre weißen Handschuhe aus ihrem possierlichen Jäckchen fischen und mit spitzen, behandschuhten Fingern über die Möbel streichen. Was für ein Miststück. Und hätte sie sie nicht im letzten Jahr dabei ertappt, hätte sie es nie für möglich gehalten, dass sich jemand tatsächlich so viel Mühe geben würde, um ihre Unzulänglichkeit als Hausfrau aufzuspüren. Miststück. Je öfter sie das stumm vor sich hersagte, desto befreiender wurde es: Miststück, Miststück, Miststück. Genau genommen putzte sie so gründlich für ein Miststück – war es das wert?
Dabei wusste sie genau, dass sie schon morgen alles wieder von vorne würde reinigen müssen, denn ihr Mann hatte es sich verbeten, dass seine Geburtstagsgäste auf Strümpfen auf seiner Party durch die Räume tapsten. Aber Schwiegermuttern stöckelte in wenigen Stunden ins Haus, da gab es kein Entrinnen vom Wischmop, Staubtuch und dem Glasreiniger, denn nichts entging den kritischen Handschuhen dieser elendigen Superhausfrau, die vermutlich täglich ihr Häuschen schrubbte und ihre Mahlzeiten als Beweis ihrer Reinlichkeit vom Fußboden einnahm. Putzen für ein Miststück, das in jeder Suppe ein Haar fand, und sei es noch so klein. Was konnte es an einem Freitag vier Wochen vor Weihnachten Schöneres geben?
Wenigstens brauchte sie sich keine Sorgen ums Essen zu machen, das wurde geliefert. Wozu Schwiegermuttchen nur ein hämisches „So!“ beisteuerte, denn bei ihr gab es nur Selbstgekochtes aus Bio-Zutaten. Zumindest normalerweise, an Feiertagen kreiste über ihrem Herd die Vorratspackung Sahne abwechselnd mit dem Stück guter Butter und ganz viel Öl. Doch Rache war süß – bis heute war es der dummen Gans ein Rätsel, warum der Salat, den sie unbedingt zum Hochzeitsbuffet hatte beitragen müssen, völlig versalzen war. Gegen einen Spendenbetrag von gerade mal zehn Euro zum Kauf einer neuen Barbie hatte ihr kleines Blumenstreukind unbemerkt den Salzstreuer über der Schale geöffnet und großzügig nachgewürzt. Wie herrlich bestechlich Kinder doch waren. Moral Fehlanzeige.
Sie selbst hatte um den Salat einen großen Bogen gemacht. Alle übrigen Gäste ebenso, weil sich die Kunde vom versalzenen Salat in Windeseile herumgesprochen hatte. Nur ihr Schwiegervater, der Mann mit den amputierten Eiern und dem daraus resultierenden (und natürlich streng internen) Spitznamen «Wallach», hatte etwas davon essen müssen. Aber der trug ja auch eine lindgrüne Krawatte passend zum Kleid seiner Angetrauten (ihre Mutter hatte später anhand guter Beweisfotos belegen können, dass es sich um den identischen Stoff gehandelt hatte), dabei hasste der Grün, ganz zu schweigen von Lindgrün. Grün war ja bekanntlich die Farbe des Lebens, doch nebenbei auch die Farbe des Giftes.
Seitdem lehnte der Sohn regelmäßig alle gut gemeinten Essensspenden aus der Küche seiner Mutter ab, doch das Geheimnis des Salates blieb bis zum heutigen Tage ungelüftet. Sollte der alte Drachen irgendwann einmal in einem Altenpflegeheim schmoren, und diese blühende Zukunft lag vor ihr, würde sie ihr die Wahrheit genüsslich stecken, quasi als Entschädigung für all die Jahre voller Beziehungsstress, die das Miststück verursacht hatte. Miststück.
Manchmal hielt sie nur der Gedanke an diesen Tag der Wahrheit davon ab, der Mausi, wie ihr Wallach sie zu nennen hatte, gehörig die Meinung zu geigen. Mein Tag wird kommen, dachte sie dann stets, Mausi, wart's nur ab.
Weg mit diesen Gedanken, es gab noch so viel zu tun! Putzen, das Geschirr bereitstellen, die Tische für das Essen zusammenschieben und mit Papierdecken („Umweltverschmutzung“, so Mausis Kommentar) einhüllen, Servietten und Besteck in Körben anrichten, Getränke aus dem Keller herauftragen, die Deko anbringen und zu guter Letzt auf den Paketboten lauschen, der das letzte Geschenk liefern sollte.
Da ihr Göttergatte sich heute entgegen der Absprache keinen freien Tag genommen hatte, musste sie nun mehr oder weniger alles alleine machen. Für den Service bekam sie dann abends die alljährliche Belohnung – ein naiv freudiges, alkoholgeschwängertes „Dankeschön“ und eine chaotische Küche als Überbleibsel eines anstrengenden Tages. Natürlich würde er morgen früh etwas ganz Wichtiges zu erledigen haben, dabei war doch Samstag. Meistens hatte er nach solchen Feierlichkeiten einen Termin bei der Autowerkstatt, und der verantwortungsbewusste Mann wartete die wenigen Stunden auf seinen Wagen, um jederzeit nach dem Rechten schauen zu können. Versorgt mit seinem Laptop zog er los, um aufopferungsvoll auf sein Vehikel zu achten, das seiner Firma gehörte. So war es auch in diesem Jahr geplant, wie sie nach einem informativen Anruf bei der Werkstatt herausbekommen hatte, welch netter Schachzug. Leider konnte die Werkstatt den morgigen Termin aufgrund von plötzlich aufgetretenen Terminüberschneidungen nicht einhalten – erstaunlich, was doch das Versprechen auf ein großzügiges Extra-Trinkgeld bei ihrer nächsten Inspektion so ausmachte! Der entsprechende Anruf würde auf seiner Mailbox auf ihn warten. Der Gatte blieb ergo wohl mangels Termin daheim, doch überraschend würde sie unterwegs sein, denn sie hatte sich in weiser Vorausschau für den Vormittag einen Termin bei der Kosmetik geholt. Zum Entspannen. Womit sein Gesäusel von „Gönn dir doch auch mal was!“ unverhofft wahr werden würde.
So eilte sie die nächsten Stunden im Laufschritt durchs Haus, um zu erledigen, was zu erledigen war. Das Geschenk mit dem garantierten Liefertermin kam natürlich nicht (morgen würde es mit Sicherheit dann ankommen, wenn sie gerade unterwegs war, so dass das neugierige Ex-Geburtstagskind in den Karton spähen und dabei selbstverständlich auch die Rechnung finden würde), so dass sich das Geschenk auf die Klassiker der männlichen Geschenkekunde