gewesen war, leider noch in einem Paketwagen irgendwo in Deutschland herumjökelten. Eigentlich hatte sie auch noch ein Foto rahmen wollen für seinen Schreibtisch, doch das hatte sie leider verpatzt, das musste nun bis Weihnachten warten.
Nach dem dreistündigen Marathon durchs Haus war sie im wahrsten Sinne des Wortes fertig. Das Essen wurde geliefert, ihr Mann war noch immer nicht da, dafür kamen die misstrauisch alles und jeden beäugende Mausi und ihr Wallach. Für die ersehnte Dusche blieb Kirsten daher keine Zeit, so mussten der Deostift und jede Menge Makeup herhalten, um ihr erhitztes Gesicht vorzeigbar zu machen.
Ein biestiges „Kirsten, du schminkst dich zu stark“ war der Dank für ihre verzweifelten last-minute-Bemühungen, und zum Glück klingelte es in dem Moment, in dem ihr das unfeine „F... dich!“ aus dem gelipglossten Mund rutschte. Ups, Glück gehabt.
Zwei Stunden später war die Party in vollem Gange, und sie kam sich vor wie eine mittelprächtige Saftschubse. Kirsten, hol dies, Kirsten, kannste mal das, Kirsten, wo sind die, so ging das pausenlos. Das Geburtstagskind strahlte angesäuselt vor Glück inmitten der inzwischen unübersichtlich ausgeuferten Gästeschar und sonnte sich in den Kommentaren zur gelungenen Party. Und kannste-mal-Kirsten war die nimmermüde Nachfüllerin der flüssigen und festen Vorräte, doch verglichen mit ihrem Nachmittag als Putzfrau war der Job definitiv ein Meilensprung auf der Karriereleiter eines erfüllten Lebens als Ehefrau. Gerade in diesem Moment stand sie mit dem Rücken an die weiß getünchte Wand gelehnt, gönnte ihren müden Füßen in den zu engen Pumps eine Pause und beobachtete das Geschehen mit einer Mischung aus Verachtung und Scham, weil sie sich wiederholt dabei ertappte, wie sie dem Geburtstagskind, ihrem Angetrauten, nicht nur Gutes wünschte. Wie er da stand, schwadronierend und schwitzend, wie sie alle an ihm klebten, nicht etwa weil sie ihn mochten, nein, weil er ihr Chef war. Wie seine elendige Mutter ihn anhimmelte, wie einen Popstar! Lächerlich! Ihr Gesicht verzog sich gedankenverloren zu einem bittersüßen Lächeln. Ja, der Florian. Wat haste dir verändert.
„Ganz schön stressig so ein Geburtstag, was?“
Ein junger Mann stand neben ihr. Wo er so plötzlich hergekommen war, konnte Kirsten nicht sagen, als wäre er plötzlich vom Himmel gefallen. Er lächelte sie abwartend an, abwartend auf eine Reaktion ihrerseits, und Kirsten fiel nichts Besseres ein als ein lahmes „Tja, so ist das nun mal.“ Schlagfertigkeit adé. Als hättest du die jemals besessen! Jämmerlich!
„Brauchst du Hilfe?“, fragte er sie und sie antwortete knapp „kann nicht schaden“, sichtlich erstaunt über dieses unerwartete Angebot. Unverzüglich begann er damit, leere Flaschen vom Tisch zu räumen, die er geschickt durch die Menschenmenge in die Küche manövrierte. Kirsten löste sich von der Wand, schnappte sich einen ganzen Stapel schmutziger Teller und eilte dem Unbekannten hinterher, so schnell es die brennenden Füße in den verfluchten Pumps zuließen. Wenn Florian mitbekam, dass sie seine Gäste zum Helfen einspannte, würde es Ärger geben, also nahm sie sich vor, den Fremden gleich wieder aus der Küche zu werfen, so großzügig und edelmütig sein Hilfsangebot im Angesicht der pulsierenden Party auch war.
Er schien sich auszukennen in ihrem Haus, denn er hatte bereits die Tür zur Speisekammer geöffnet und sortierte die leeren Flaschen in die Getränkekisten ein, die sie unter dem großen Vorratsregal hingestellt hatte. Verdutzt öffnete sie die Tür des Geschirrspülers und merkte genervt, dass dieser gerade gelaufen war. Und rate mal, wer den angestellt hat? Genau - du, du vergessliche Nuss! Leise fluchend griff sie sich ein Geschirrtuch und begann mit dem Ausräumen der Spülmaschine. Ein Küchenverkäufer hatte ihr einmal erzählt, dass das Ein- und Ausräumen des Geschirrspülers insgesamt so viel Zeit wie ein Abwasch kostete, nur dass man beim Abwasch ein größeres Erfolgserlebnis aufgrund der offensichtlich erbrachten Leistung bekam. Damals hatte sie den Mann zunächst nur für einen schlechten Verkäufer gehalten, doch heute wusste sie, dass sie es mit einem Verkäufer zu tun gehabt hatte, der Frauen das kleine bisschen Glück von Nicht-Spülhänden einfach nicht gönnen wollte. Was für ein Quatsch! Als ob irgendeine Frau auf der Welt ihr Glück in einem Stapel abgewaschenen Geschirrs suchte. Nur noch fix den Kram trockenzuwischen war wirklich besser als mühsam alles per Hand zu spülen. Ein Segen, dass Florian das genauso sah und auf einen Geschirrspüler bestand, Verkäufergeschwafel hin oder her.
Der Fremde stand neben ihr und hatte sich ebenfalls ein Geschirrtuch gegriffen. Allerdings hatte er das nasse erwischt, mit dem man kein Geschirr der Welt mehr hätte trocknen können, höchstens säubern.
„Das Tuch ist ganz nass“, sagte er anklagend.
Fast erwartete sie von ihm, dass er sich selbstständig ein neues Tuch aus dem Schrank holte, doch den Gefallen tat er ihr nicht. Vielleicht war die Sache mit der Speisekammer doch lediglich ein Glückstreffer gewesen, gewiss hatte einfach nur die Tür offen gestanden und den Blick auf die Getränkekisten freigegeben. Abwartend stand er vor ihr. Sie löste sich aus ihrer Starre, griff wortlos in den Schrank, gab ihm ein frisches Tuch und augenblicklich legte er los.
„Darf ich fragen, wer Sie sind?“, fragte Kirsten freundlich nach zehn polierten Gläsern, um die peinliche Stille zu durchbrechen. Fang nicht auch noch ein Gespräch mit dem an, schmeiß ihn raus hier! Wenn Florian das mitkriegt, ist die Hölle los!
„Ich bin Christoph“, lautete die knappe Antwort. Nun hat er auch keine Lust mehr auf ein Gespräch mit dir. Kein Wunder, bei deinem Esprit!
„Ich mache gerade ein Referendariat in Florians Abteilung“, fügte er hinzu.
Der Referendar also, so so. Über den hatte Florian bisher nichts berichtet.
„Florian hat noch gar nichts von Ihnen erzählt“, tastete sie sich weiter vor.
„Naja, ich bin ja nur der Referendar, und als Chef hat man ja immer gut zu tun.“ Er lächelte entschuldigend, verlegen. Er war das kleine Teelicht in einem Rudel von Flutscheinwerfern.
Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Er war jünger als sie und äußerst attraktiv. Früher hätte er perfekt in ihr Beuteschema gepasst, heute kam sie sich neben ihm ziemlich alt und unscheinbar vor. Er war deutlich größer als Florian, mindestens 1,85 Meter, hatte kurz geschnittenes blondes Haar, das er sich sorgfältig mit Gel frisiert hatte, ein ebenmäßiges Gesicht mit einer geraden Nase, einem markanten Kinn und tiefblauen Augen, die unter schmalen Augenbrauen hervorstrahlten wie Edelsteine. Am auffälligsten waren seine sinnlichen Lippen, nicht zu schmollig, aber auch nicht so dünn wie die schmalen Lippen ihres Gemahls. Das einzige, was dünn an dem war, von den Ohrläppchen mal abgesehen.
Er musste relativ sportlich sein, denn unter seinem eng anliegenden grauen Pullover zeichnete sich ein tadelloser Oberkörper ab. Und auch in seiner Levi's-Jeans machte er eine gute Figur, was nicht jedem Mann beschieden war, ihrem eigenen schon gar nicht, der nach der Anprobe von etwa zwanzig Levi's-Jeans im Laden den Traum aufgegeben hatte und auf andere Hersteller ausgewichen war. Als er nach dem Geschirrtuch gegriffen hatte, waren ihr seine schlanken Hände ins Auge gefallen, mit langen schlanken Fingern. Florians Hände wirkten dagegen wie griffige Mini-Bifis.
Trotz seines attraktiven Aussehens hielt er sich offenbar lieber in der Küche auf, als sich unter seine Kollegen in spe zu mischen, was die Damenwelt jenseits der Tür sicherlich bedauerte, da sich ansonsten nicht allzu viel für die Augen erfreuliches Mannswerk auf der Feier befand.
„Und was machst du so?“, fragte er beiläufig, „du bist Florians Frau, oder?“
„Ja, stimmt. Und ansonsten eine langweilige Halbtagssekretärin.“
„Warum bezeichnest du dich als langweilig?“, fragte er neugierig, „du bist doch nicht langweilig!“
„Wie soll ich denn das verstehen?“, fragte sie unfreundlich zurück. Schmeiß ihn endlich hier raus! Gib ihm ein Bier und sag ihm, er soll spielen gehen mit den hübschen jungen Dingern, die auch anwesend sind! Und bremse deinen Herzschlag ab, das ist ja peinlich!
„Einfach nur, dass du auf mich keinen langweiligen Eindruck gemacht hast“, antwortete er knapp, doch er blickte ihr dabei nicht in die Augen, sondern senkte seinen Blick auf die Fliesen, die nicht mehr ganz so perfekt glänzten wie am Nachmittag. An einem Schrank bahnte sich eine dunkle Flüssigkeit den Weg nach unten,