Nina Galtergo

Versuchung


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ihren Blick wieder weg von ihm und in ihr regte sich ein Anflug von wirklicher Unbehaglichkeit, die nicht mehr nur bei dem Gedanken an den vermeintlich wütenden Florian aufkam. Wollte dieser Jüngling sie etwa anbaggern? Es gefiel ihr gar nicht, wie er sie verstohlen taxierte, allerdings machte er sich als Küchenhilfe ausgezeichnet, denn mit flinken Fingern räumte er den Geschirrspüler schon wieder ein und hatte dabei dasselbe System wie sie. Florian hatte bis heute nicht kapiert, auf welche Seite die Gläser kamen, doch der hier machte es gleich richtig.

      In diesem Moment schwang die Tür auf und Florian betrat den Raum. Man konnte mühelos erkennen, dass er bereits mehr als ein Bier zu viel getrunken hatte. Sein wässriger Blick heftete sich mit einem Anflug von Wut an Kirsten, dann erstaunt an seinen Referendar mit dem Geschirrtuch in der Hand: „Ach du, was machst du denn hier?“, fragte er mit schwerer Zunge.

      „Sie haben mich doch eingeladen, Herr Meiffert“, entgegnete dieser unsicher.

      „Jaja“, winkte Florian genervt ab, „was machst du hier in meiner Küche mit meiner Frau?“

      Kirsten wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Christoph jedoch schien der marode Zustand seines Vorgesetzten mehr zu belustigen, denn er antwortete grinsend:

      „Ich helfe ihr beim Ausräumen der Spülmaschine.“

      „Warum hilft ein Kerl wie du einer Hausfrau bei der Arbeit? Los, ab ins Wohnzimmer mit dir, hab mal ein bisschen Spaß, amüsier dich!“

      Ohne Widerworte legte Christoph das Geschirrtuch auf die Geschirrablage der Spüle und verließ mit einem entschuldigendem Achselzucken in Kirstens Richtung den Raum.

      „Vielleicht bis später“, murmelte er leise.

      Florian grinste sie süffisant an, dann verließ auch er die Küche wieder. Und Kirsten stand allein inmitten der sich auftürmenden Arbeit und bedauerte es insgeheim, das Gespräch mit dem attraktiven Referendar nicht weiterführen zu können. Es war so lange her, dass sich ein Mann ihr gegenüber so interessiert verhalten hatte wie dieser junge Typ. Das schmeichelte ihr, denn in ihrer Ehe mit Florian war schon seit längerem der Alltag eingekehrt, der jegliche Aufregung und Romantik zugunsten von Monotonie verdrängt hatte. Wann immer sie das Gespräch auf dieses Thema zu lenken versuchte, blockte Florian genervt ab und versicherte ihr, dass er sie so liebe und begehre wie am ersten Tag. Doch dessen war sie sich nicht mehr so sicher wie noch vor drei Jahren. Damals hatte er sie immer noch mit verliebten Blicken angesehen, hatte sie stolz wie ein Gockel präsentiert, wenn sich dazu die Gelegenheit ergab und hatte sie unaufhörlich liebkost, gestreichelt und geküsst, auch gerne in der Öffentlichkeit. Mittlerweile hatte er dieses Verrücktsein nach seiner Frau eingetauscht in pure Gleichgültigkeit ihr gegenüber, und daraus resultierte ihre anhaltende Unlust, ihn irgendwohin zu begleiten. Vielleicht gingen sie noch als Freunde durch, doch als Ehepaar?

      Und wenn sie mal miteinander schliefen, brauchte er kein Vorspiel mehr, stattdessen spulte er sein ödes Programm ab, bis er gekommen war oder sie so tat als ob, danach drehte er sich um und schlief, ging ins Badezimmer oder surfte am PC und ließ sie frustriert wie eine Katze im Regen im Bett zurück.

      So stand sie allein in der Küche und hing ihren Gedanken hinterher, während nebenan die Party in vollem Gange war. Da öffnete sich die Tür wieder und Christoph schob sich lächelnd herein, einige Gläser in den Händen, vielleicht als Alibi für sein erneutes Erscheinen. Augenblicklich pochte ihr Herz vor Aufregung ein wenig schneller und sie ermahnte sich zur Besonnenheit. Sie war eine zumindest äußerlich glücklich verheiratete Frau, die Frau seines Chefs, und der war nebenan, um seinen Geburtstag zu feiern. Sich einzubilden, dass sie mit diesem Mann so etwas wie flirten konnte, war pure Fantasie, ein Hirngespinst der Extraklasse.

      „Da bin ich wieder“, sagte Christoph fröhlich und gab der Tür mit dem Fuß einen Schubs.

      Sie lächelte ihn zaghaft an und antwortete einsilbig mit einem „Schön“.

      „Ich finde das immer sehr schade, dass man bei solchen Feiern meistens nichts von der Dame des Hauses hat.“ Seit seinem letzten Besuch in der Küche schien er mutiger geworden zu sein, denn nun sah er ihr beim Sprechen ins Gesicht.

      „Es ist halt viel zu tun“, entgegnete sie ihm lahm wie eh und je und ärgerte sich insgeheim darüber, nicht schlagfertiger zu sein, denn was konnte ihn bei diesen knappen Antworten noch in der Küche halten? Sie bückte sich und wischte den klebrigen Schrank mit dem Lappen ab, um irgendetwas zu tun.

      „Florian hat schon so viel von eurem Haus erzählt, aber es ist wirklich toll“, warf er ihr den nächsten Happen hin. Und dieses Mal würde sie es nicht schon wieder vermasseln.

      „Mein Vater hat es entworfen.“

      „Oh, dein Vater ist Architekt?“, fragte er höflich interessiert.

      Kirsten freute sich diebisch, denn der hübsche Fisch hatte angebissen.

      „Er ist sogar ein sehr erfolgreicher Architekt“, fuhr sie mit stolzer Stimme fort und registrierte gleichzeitig verlegen, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.

      „Du scheinst viele erfolgreiche Männer in deiner Umgebung zu haben“, stellte er fest.

      Sofort schlug ihre Laune um, denn sie fühlte sich erinnert an die Vorhaltungen ihres Vaters, dass sie ihr Studium nie zu Ende gebracht hatte. Sie zog für einen Sekundenbruchteil ihre Stirn hoch, doch er hatte es sofort bemerkt.

      „Upps, falsches Thema“, sagte er, weiterhin um Fröhlichkeit bemüht.

      „Und was machen Sie nun genau in der Firma meines Mannes?“, hakte sie nach, dabei wusste sie es längst. Referendare waren da keine Seltenheit, doch eigentlich konnte das nicht sein, denn er war so jung. Hatte er sich einfach nur gut gehalten für sein Alter? Augenblicklich schoss ihr der Gedanke an die Anti-Aging-Augenpflege durch den Kopf, die sie sich neulich im Drogeriemarkt gekauft hatte. Bisher übrigens ohne sichtbares Resultat, die kleinen Fältchen waren noch immer da, leider. Lifting gefällig? Naja, wenigstens schlägt das Zeug zum Haarfarbeauffrischen von Florian auch nicht an.

      „Ich bin Christoph, sie brauchen mich nicht zu siezen.“

      „Ich heiße Kirsten“, entgegnete sie, geflissentlich ignorierend, dass er sie schon die ganze Zeit unverhohlen duzte.

      „Schön, Kirsten also“, nickte er und lächelte, „ich habe Jura studiert und muss nun bis zum zweiten Examen ein bisschen praxisnäher ran.“

      Diese Antwort überraschte sie. Wie alt war er, wenn er sein Studium schon fertig hatte? Die meisten Juristen, die sie kannte, und das waren viele, hatten ihr bisheriges halbes Leben an der Uni verbracht.

      „Ich bin 25“, sagte er nur.

      „Ich hab doch gar nicht gefragt“, fiel sie ihm ins Wort, doch er grinste nur.

      „Den Blick kenne ich aber schon zur Genüge, den ernte ich schon mein ganzes Leben“, sagte er. „Ich bin ein Wunderkind, war auf einem Internat für Hochbegabte und bin mit Medizin schon durch.“

      Kirsten wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte: Entweder er erlaubte sich einen kleinen Jux oder er war ein brillantes Wunderkind. Aber trugen Wunderkinder nicht Seitenscheitel, dicke Brillen, Hochwasserhosen und zu enge Pullover mit Rautenmuster? Unsicher wartete sie ab.

      „Nein, Blödsinn“, erlöste er sie, „den Blick kenne ich. Ich war einfach nur schnell und einigermaßen gut. Und ich habe auf der Schule tatsächlich eine Klasse übersprungen, aber auch nur eine, und das auch nur, weil meine ehrgeizige Mutter mir vor der Grundschule schon zu viel beigebracht hat.“

      „Nun, ich habe mein Studium nicht fertig bekommen, stattdessen habe ich Florian geheiratet“, sagte sie mit einem bitteren Lächeln.

      „Und Florian meint, dass du nicht so wirklich arbeiten musst, weil er schon so viel tut, was?“, schlussfolgerte er und lag damit leider nicht völlig daneben.

      „Tja, c'est ça.“

      „Das alte Lied, das war bei meinen Eltern genauso. Mein Vater den ganzen Tag im Büro, meine Mutter zu Hause, bis er mit