Nina Galtergo

Versuchung


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machte eine resignierte Geste. Dann fügte er mit einem Blick zu ihr hinzu: „Schade, dass es noch immer solche Männer gibt.“

      Wieder öffnete sich die Tür und Mausi stand im Raum.

      „Kirsten“, näselte sie mit ihrer immerwährend arroganten Stimme, mit der man selbst Tote in die Flucht schlagen konnte, „die Getränke neigen sich. Du solltest sie nachfüllen.“ Blasiertes Frauenzimmer!

      Sie wandte sich Christoph zu und fragte pikiert: „Und wer sind Sie?“

      „Ich bin hier die Küchenhilfe“, antwortete er mit ernsthaftem Gesicht.

      „Nun, vernünftig, dass du dir Hilfe geholt hast, du schaffst das alleine ja immer so schlecht“, stichelte sie zuckersüß in Kirstens Richtung. Die musste sich von innen auf die Unterlippe beißen, um nicht lauthals loszulachen, dabei erstarb ihr sonst immer jegliches Lachen in Anwesenheit dieses durchtriebenen Biestes. Miststück, Miststück!

      „Nun denn, seien Sie schön fleißig, junger Mann“, munterte Mausi Christoph mit einer wohlwollenden Geste auf. „Gib ihm ein kleines Trinkgeld nachher“, zischte sie Kirsten zu, dann verließ sie wieder die Küche. Der Duft ihres schweren, süßen Parfüms hing in der Luft und Kirsten riss voller Verachtung die Tür zur Veranda auf.

      „Wow, das nenn ich mal 'ne Schwiegermutter“, scherzte Christoph anerkennend und Kirsten musste so heftig lachen, dass sie sich plötzlich an ihrer eigenen Spucke verschluckte. Er schlug ihr hastig auf den Rücken und reichte ihr zuvorkommend ein Glas mit Leitungswasser. Sie leerte es dankbar und zügig mit mehreren großen Schlucken. Peinlich berührt merkte sie, dass ihr Tränen über das Gesicht rannen. Wie peinlich!!!

      „Das passiert mir auch immer, wenn ich mich verschlucke“, sagte er, wiederum mit diesem fröhlichem Singsang in seiner Stimme.

      „Danke“, hüstelte sie heiser.

      „Keine Ursache“, erwiderte er grinsend. Eine Weile sagten sie beide nichts. Kirsten wartete darauf, dass die dicke Kröte in ihrem Hals wieder verschwand. „Woher weißt du denn, das sie meine Schwiegermutter ist?“, hakte sie schließlich heiser neugierig nach.

      „Naja, dein Mann hat sie vorhin ganz stolz allen als beste Mutter aller Zeiten vorgestellt.“

      Typisch, Mausi hatte ihren großen Auftritt gehabt, während sie als Lehmludchen mit Schürze und strähnigem Haar die Küche übernehmen musste.

      In Christophs Hosentasche piepte es und er holte eines dieser unglaublich stylischen Mobiltelefone hervor. Mit entschuldigendem Blick nahm er das Gespräch an, drehte sich dabei von ihr weg und sprach leise:

      „Nein, ich bin noch auf der Party. Ja, ja, ich weiß. Es ist gut, ich hab's kapiert, Mutti!“.

      Das letzte sagte er ironisch und lauter. Er legte auf und steckte das Telefon zurück in seine Hosentasche. Er schob den Ärmel seines hellgrauen Pullovers ein Stückchen hoch und schaute auf seine Uhr.

      „Ach, schon so spät, er hat recht! Ich muss jetzt los, leider. Ich hätte dir ja gerne noch weiter geholfen, aber ich muss früh raus, weil ich mit Kumpels Ski fahren gehe“, sagte er bedauernd. Wieder grinsend fügte er hinzu:

      „Das war mein bester Freund, Markus, der mir gesagt hat, dass er mich morgen zur Not mit einem Eimer Wasser aus den Federn holt, und das möchte ich nicht riskieren, denn der macht sowas wirklich und er hat einen Schlüssel zu meiner Wohnung.“

      „Ist doch kein Problem, viel Spaß beim Skifahren“, sagte sie. Schade, er geht schon!

      „Aber es war schön, dass wir uns kennenlernen konnten, und vielleicht sieht man sich ja bald mal wieder“, dabei sah er sie ernst aus viel zu fesselnden Augen an und Kirsten lächelte zaghaft zurück.

      „Sicher, warum nicht“, antwortete sie ihm. Sicher doch Kirsten, kein Problem! Frag deinen Mann, ob er damit auch kein Problem hat.

      „Dann bis bald“, sagte er leise und umarmte sie, kurz nur, aber innig. Verwirrt glaubte sie einen flüchtigen Kuss auf ihrem Scheitel zu spüren.

      Dann verließ er hastig die Küche, ohne sich noch einmal umzudrehen, und Kirsten blieb überrascht von dem unerwarteten Körperkontakt mit ihm zurück. Sie konnte kaum glauben, was da eben passiert war. Dieser junge Mann, dieser 25-jährige Jungjurist, hatte sich mit ihr unterhalten, mit der unscheinbaren, unsportlichen, unstudierten, kinderlosen Kirsten, die mit ihrem Mann seit sieben Jahren verheiratet war. Und der es nichts ausgemacht hatte, dass ihr Mann nicht unbedingt den gängigen Schönheitsidealen entsprach mit seiner schütteren Halbglatze, der konservativen Brille, der großporigen Haut und seiner insgesamt unsportlichen Erscheinung. Florian sah schon damals aus wie Muttis Liebling, doch das hatte Kirsten nie gestört, denn Florian war nett, lustig, zielstrebig, und er hatte nie einen Hehl daraus gemacht, seine Zukunft mit Kirsten gemeinsam gestalten zu wollen. Sie war vollkommen besessen von diesem ehrlichen Mann gewesen, der im Gegensatz zu den attraktiveren Männern nie irgendwelche Spiele mit ihr gespielt hatte, der vom ersten Moment an zuverlässig und fürsorglich gewesen war und Kirsten auf Händen trug, seinerseits ebenfalls froh, endlich eine Partnerin gefunden zu haben. Er war der Spatz in der Hand, Männer wie Christoph glichen der unerreichbaren Taube auf dem Dach. Nun kam dieses attraktive Täubchen in ihre Küche hereinspaziert und sie schwärmte innerlich wie ein kleines Schulmädchen. Albern war das. Aber warum hatte er sie zum Abschied umarmt und geküsst? Umarmte man normalerweise Menschen, die man kaum kannte, noch dazu Menschen des anderen Geschlechts? Ehefrauen? Chef-Ehefrauen? Küsste man die, wenn auch nur scheu aufs Haar? Nein, das tat man nicht, das gehörte sich nicht, das war nicht richtig.

      Den Rest des Abends verbrachte Kirsten weiterhin mit Küchenarbeit. Zu Florian ins Bett sank sie erst um drei Uhr nachts oder morgens, wie auch immer man das sehen wollte. Er schnarchte ein bisschen, was er immer tat, wenn er Alkohol getrunken hatte, doch bis heute hatte sie das nie beim Einschlafen gestört. Nun aber war sie so aufgekratzt, dass sie noch lange wach neben ihm in dem kalten Bett lag, dick eingemummelt unter ihrer Decke und mit Wollsocken an den Füßen, und seinem Schnarchen lauschte. Dabei schwirrten ihr unaufhörlich Gedanken durch den Kopf, Gedanken an Christoph, wie er da gestanden hatte mit dem Geschirrtuch in der Hand, wie fröhlich und selbstbewusst er gewesen war, wie er ausgesehen hatte. Sein Kleidungsstil unterschied sich völlig vom ausdruckslosen Stil ihres Mannes, den sie bis heute immer für ganz in Ordnung gehalten hatte. Bis heute.

      Aber er war auch 16 Jahre jünger als ihr Mann. Und ganze sieben Jahre jünger als sie. Kirsten kam sich plötzlich ziemlich verloren und alt vor.

      Katerfrühstück und Katzenjammer

      Florian verließ eilig das Bett gegen acht Uhr und stürzte auf die Tür des Badezimmers zu. Die Tür schloss sich mit einem Knall und hinter ihr wurden Würgegeräusche hörbar.

      Eine ganze Weile ging das so, Würgen, Toilettenspülung und das Geräusch von fließendem Wasser wechselten sich ab. Nach einer Viertelstunde stand er blass in der Tür und stöhnte, während er sich mit den Händen über sein müdes Gesicht fuhr. Kirsten schälte sich aus ihrem Kokon und schleppte sich mühsam zu ihm, jeden Knochen wegen der kurzen Nacht spürend.

      „Geht's wieder?“, fragte sie mitfühlend im Kegel des Badezimmerlichts.

      „Das waren wohl ein paar Drinks zu viel“, brachte er mit kratziger Stimme hervor. Er roch gleichzeitig sauer und nach Zahnpasta, seine Haare waren verklebt und sein Schlafanzug sah aus, als hätte er in der Nacht stark geschwitzt. Nach all den Jahren war es für sie immer noch ein ungewohnter Anblick, wenn er seine Brille nicht trug, denn das veränderte die Proportionen seines Gesichtes vollkommen. Mit Brille sah er aus wie ein erfolgreicher Mann, der mitten im Leben stand. Ohne Brille sah er verletzlich aus, was sicherlich daran lag, dass er tatsächlich ohne Brille schlecht gucken konnte, da seine Dioptrienzahl bei minus acht lag. So glich er einem orientierungslosen Maulwurf.

      „Ich gehe duschen“, sagte er, „ich muss den Wagen in die Werkstatt bringen.“

      „Mit dem Restalkohol im Blut?“, fragte sie erstaunt. Wie praktisch, denn so brauchte sie ihm die Lüge von der