Nina Galtergo

Versuchung


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Präsente, die Florian bekommen hatte. Ihre Geschenke lagen am äußersten Ende, daneben das Geschenk von Mausi und dem Wallach (es gab einen Seiden-Pyjama in einem senfgelben Ton, einen echten Alptraum eben, den nur eine Mausi ausfindig machen konnte, denn normalen Bürgern kam so etwas beim Shoppen gar nicht unter die Finger), dann kamen jede Menge Bücher, CDs und Blu-ray Discs. Da Florian einen vollkommen anderen Geschmack hatte als sie, war nicht viel Brauchbares dabei. Dann erspähte sie eine CD von Rihanna und legte sie ein. Kurz genoss Kirsten mit geschlossenen Augen die einsetzenden wummernden Beats, dann guckte sie weiter. Eigentlich wusste sie sehr genau, was sie suchte. Eine Karte mit den Unterschriften seiner Arbeitskollegen. Sie sah sich gerne Handschriften an und wollte unbedingt wissen, wie Christoph schrieb.

      Tatsächlich fiel ihr beim Durchstöbern der Karten besagte Kollegenkarte in die Hand. Es war ein schlichtes Exemplar ohne viel Text,das sich deutlich von Kirstens bunter Comic-Karte abhob, die beim Öffnen laut „Happy Birthday“ spielte. Seine Leute hatten offenbar nicht viele nette Worte übrig für ihren Chef, kurz und bündig wünschten sie ihm alles Gute, nicht einmal Glück oder Gesundheit oder den üblichen Schmu. Nur schlicht alles Gute.

      Christoph hatte tatsächlich unterschrieben. Er hatte eine bemerkenswert saubere Handschrift für einen Mann und hieß mit vollem Namen Christoph Oppermann. Das war alles, was sie wissen musste. Die restlichen Geschenke und Karten kümmerten sie nicht mehr. Sie eilte ins Arbeitszimmer, denn sie schätzte, dass der Joggingnovize nicht mehr lange durchhalten würde. Sie schaltete den PC ein und wartete ungeduldig auf die kleine Melodie, die signalisierte, das es losgehen konnte. Mit dem Fingerprint rief sie ihren Account auf und startete google. Dort gab sie den Namen Christoph Oppermann ein und das, was sie noch wusste, nämlich dass er hier wohnte, und sie war überrascht, dass der Name gar nicht so selten war. Aber als alter Internetfuchs fand sie ihn trotzdem nach wenigen Minuten.

      Christoph Oppermann, Jahrgang 1986, hatte ein Gymnasium in Hamburg besucht. Er gehörte einer Studentenverbindung an und war ein erstklassiger Absolvent der juristischen Fakultät. Momentan war er im Referendariat, doch das wusste sie ja bereits. Sein Foto auf seiner MySpace-Seite ließ ihr Herz höher schlagen, es zeigte ihn lachend auf einem Segelausflug. Verrückt, schalt sie sich, zu jung, zu gutaussehend, zu klug für dich. Der hat in jedem Hafen eine, wenn er Segelausflüge macht. Bei dieser Idee musste sie schmunzeln, wie ein Matrose sah er nicht gerade aus, und er hatte zum Glück keinerlei Ähnlichkeit mit Popeye. Ob er wohl Spinat mochte?

      Die Haustür ließ sie aufschrecken. Sofort schloss sie die Seite und fuhr den PC herunter. Beinahe ertappt, zum Glück aber nur beinahe!

      „Ich bin wieder da“, keuchte Florian aus dem Flur.

      Sie ging in den breiten Flur und sah mit Vergnügen, wie er mit dem Oberkörper nach vorne gebeugt auf die antike Kommode gestützt stand und nach Luft japste. Weg von der Kommode mit deinen triefenden Händen!

      „Boah, das war anstrengend!“, brachte er mühevoll hervor.

      Sie lächelte amüsiert.

      „Du hast meine CD schon reingelegt?“

      Rihanna sang gerade von gefundener Liebe. Seit wann hört er eigentlich Rihanna?

      „Ich habe mir deine Geschenke angesehen“, antwortete Kirsten lapidar, „da habe ich die CD gefunden und war neugierig, wie sie so ist.“

      „Du weißt doch, dass ich es nicht mag, wenn du einfach so an meine Sachen rangehst!“ Er stupste ihr leicht den Finger vor die Brust.

      „Es ist doch nur eine CD“, sagte sie achselzuckend.

      Doch sie sah ihm seinen Missmut deutlich an, und plötzlich regte sich in ihr ein komisches Gefühl. Seit wann war er so eigen, wenn es um seine Sachen ging? Er bediente sich an ihren Sachen auch immer ohne sie vorher um Erlaubnis zu fragen.

      „Schöne Geschenke hast du bekommen“, stellte sie fest, um das Schweigen zu unterbrechen.

      „Da fällt mir ein, dass der Paketbote ein Päckchen für dich abgegeben hat, und du hast doch gestern gesagt, dass du noch was für mich erwartest.“ Noch immer japste er ein wenig.

      „Wo ist es?“

      „Ich hab's aufs Sofa gelegt, als ich ans Telefon gegangen bin.“

      Während sie zum Sofa ging, fragte sie über die Schulter nach hinten: „Und wer hat angerufen?“

      „Nur meine Mutter“, antwortete er knapp.

      Da wollte sie nicht weiter fragen. Immer wenn das Gespräch auf diese persona non grata kam, stieg ihr Blutdruck spürbar an. Mausi war schlichtweg ungesund für sie.

      Sie riss die Lasche an der Verpackung auf und blickte glücklich auf das Geschenk. Besser spät als nie! Schnell verschwand sie im Arbeitszimmer und verpackte das Spiel, dann eilte sie zurück zu Florian, der bereits damit begonnen hatte, seine übrigen Geschenke wegzuräumen.

      „Du kannst das doch noch da stehen lassen“, sagte sie erstaunt.

      „Ach, weißt du, ich kann heute den Tag noch zum Aufräumen nutzen, morgen habe ich wieder keine Lust dazu.“

      Wo er recht hatte, hatte er recht.

      Stolz reichte sie ihm mit weit ausgestrecktem Arm das Geschenk: „Ich hab da noch was für dich!“

      Er lächelte, nahm es ihr aus der Hand und setzte sich auf die Couch, um es auszupacken. In seinem Gesicht spiegelte sich wahre Freude, als er sah, was er da noch von ihr bekam.

      „Danke!“

      Er nahm sie in den Arm und drückte sie sachte an sich.

      „Ist es das richtige?“, fragte sie.

      „Ja, und wenn du nichts dagegen hast, weihe ich es gleich ein.“

      Sprachs und verschwand in den Nebenraum. Kirsten blieb alleine auf dem Sofa zurück und lauschte Rihannas Stimme. Irgendwann hatte sie genug von den Liedern über Liebe, denn Liebe war heute kein Thema nach ihrem Geschmack. Sie suchte im CD-Regal nach Linkin Park und wurde fündig.

      Florian hatte es gar nicht erwarten können, dem Wohnzimmer den Rücken zu kehren. Dass sie die Ausrede mit dem Joggen so leicht geschluckt hatte, überraschte ihn, doch es zeigte ihm auch, dass sie nichts ahnte. Als ob er joggen würde! Gedanken- und Lieblosigkeit, das ist es, dachte er. Gedanken- und Lieblosigkeit machen diese Ehe kaputt. Und der Alltag.

      Seit drei Monaten hatte er nun eine Affäre mit Sandra, einer Sekretärin seiner Kanzlei. Sandra war ganz anders als Kirsten, nicht so antriebslos, nicht so farblos, nicht so langweilig. Vor der Ehe mit Kirsten hatte vor allem seine Mutter ihn unermüdlich gewarnt, hatte ihm die Augen zu öffnen versucht, dass sie nicht die Frau seines Lebens war, und vielleicht war gerade das vehemente Dazwischenfunken seiner anstrengenden Mutter der Anreiz gewesen, mit dieser Frau so schnell wie möglich Nägel mit Köpfen zu machen. Wenn er jetzt darüber nachdachte, wie verrückt er nach ihr gewesen war! Völlig irrational und blind vor Liebe war er gewesen, wild entschlossen, sie zu halten, die eine, die sich endlich für ihn interessierte. Doch es hatte nur wenige Jahre gebraucht, um auch das Interesse anderer Frauen zu erwecken, mit dem beruflichen Erfolg mauserte er sich zu einem Mann, den die Frauen reizvoll fanden, und das gefiel ihm, schmeichelte ihm, dem Mann, der bis dahin nie einen Schlag bei Frauen gehabt hatte. Gut, Schlange standen sie nicht, aber Sandras Avancen waren unmissverständlich gewesen und er war nur allzu bereit darauf eingegangen. Er hatte sich verändert, er war älter und reifer geworden, er wusste, was er vom Leben wollte. Er wollte eine Partnerschaft, in der er die Zügel in der Hand hielt, und Sandra würde ihn niemals in Frage stellen, denn nicht zuletzt war er ihr Chef. Welch praktischer Umstand!

      Den ersten Kuss mit ihr würde er dennoch nie vergessen! Elektrisierend, leidenschaftlich, verlangend war er. Dagegen waren Kirstens Küsse kalter Kaffee, ein müder, pflichtschuldiger Abklatsch. Gleich nach dem ersten Kuss hatten sie Sex gehabt auf der rauhen Auslegeware seines Büros und ihm wurden noch heute die Hände nass vor Aufregung, wenn er daran dachte. Sie hatten die Tür nicht abgeschlossen, sie waren einfach übereinander hergefallen und hatten es getan, während nebenan die Kollegen arbeiteten. In diesem Moment