Fred Kruse

Final Shutdown - Teil 1: Mysteriöse Todesfälle


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so in Bonn?«

      Damit überraschte sie ihn vollkommen an diesem Abend. Natürlich gab sie ihm mit dieser Frage die beste Steilvorlage, die er sich denken konnte. Sie redeten über die Vor- und Nachteile ihrer Wohnorte, und bevor er sich versah, tauschten sie sich schon gegenseitig über ihre privaten Lebenssituationen aus. Dabei stellten sie fest, dass sie den Single-Status teilten.

      In der Zwischenzeit hatten sie eine zweite Flasche Wein bestellt, diesmal auf seine Rechnung. Er wollte sich ja nicht dem Verdacht der Korruption aussetzen. Bei diesem Spruch lächelte er sie warm an. Das Lächeln, das damals von ihr zurückkam, hatte schon überaus vertraut gewirkt.

      Thomas kam an der Ausfahrt an. Fast zehn Minuten verstrichen, in denen er sich durch die Wirren der Verkehrsführung quälte. Endlich bog er auf die gewünschte Landstraße ein. Der Himmel zeigte sich zu einem großen Teil mit dunklen Wolken verhangen, die im harten Kontrast zu dem Blau des Himmels dem leuchtenden Rot der untergehenden Sonne standen.

      Er mochte dieses Zwielicht, auch wenn es sich nicht besonders gut zum Autofahren eignete. Es würde keine halbe Stunde mehr dauern und es wäre stockfinster bei diesem Wetter. Aber er hatte es auch nicht mehr weit. Eine Stunde in seinem geliebten Wagen durch die Dunkelheit zu fahren, machte ihm nichts aus. Ganz im Gegenteil, er genoss es, die kurvenreiche gebirgige Strecke zu meistern, die noch vor ihm lag.

      Der Wagen rollte mit konstanter Geschwindigkeit über die Landstraße. Der Motor schnurrte gleichförmig. In seinem Bauch breitete sich ein wohliges Gefühl der Vorfreude aus. Er sah Svenjas Gesicht vor sich. Er dachte wieder an diesen ersten Abend.

      Als sie die zweite Flasche Wein geleert hatten, fühlte er sich doch ein wenig angetrunken. Sie saßen zu diesem Zeitpunkt schon recht lange zusammen. Während der anregenden Unterhaltung nippten sie zwar nur an ihren Gläsern, aber eine ganze Flasche Wein, die er zum Schluss dann doch intus hatte, überstieg die übliche Menge, die er an so einem Abend trank.

      Sie brachen gemeinsam auf. Als sie gemeinsam aus der Restauranttür in die frische Luft traten, bemerkte er, dass ihm nicht als Einzigem der viele Wein zusetzte.

      Er machte sich darüber Gedanken, wie er Svenja am stilvollsten beibringen sollte, dass er sich wünschte, die Nacht mit ihr zu verbringen. Allerdings wundert er sich darüber, dass er selbst in Gedanken lallte. Daher fragte er sich, ob es nicht doch besser wäre, wegen seines Alkoholpegels eine gemeinsame Nacht auf ein anderes Mal zu verschieben.

      Er hatte den Gedankengang noch nicht ganz zu Ende gebracht, da wurde er dieser Entscheidung enthoben. Svenja stand plötzlich vor ihm.

      »Ich glaube, ich bin ein bisschen betrunken«, sagte sie und sah ihn dabei mit großen Augen an.

      Er dachte in diesem Moment nicht nach, nahm sie einfach in den Arm und ließ sie nicht mehr los. Sie wollte auch nicht mehr losgelassen werden. Er konnte sich bis heute nicht daran erinnern, wer von ihnen beiden die Initiative ergriff. Dafür spürte er noch immer diesen ersten Kuss. Er hätte niemals geglaubt, dass die kühle, rationale Frau, die er am frühen Abend in dem Restaurant getroffen hatte, derart leidenschaftlich küssen konnte.

      Er lächelte in sich hinein. Nein, mit dem Bild, das Svenja am Anfang vermittelt hatte, hatte seine Freundin mittlerweile wirklich nichts mehr gemein.

      Im Rückspiegel sah er zwei Scheinwerfer in einiger Entfernung. Ein weiterer einsamer Wagen auf der zu dieser Zeit verlassenen Landstraße, der durch die mittlerweile stockdunkle Nacht fuhr.

      An dem Abend damals oder besser in dieser Nacht hatten sie dann auch nicht mehr sehr viel geredet. Die Entscheidung fiel schnell, sein Hotel lag näher an dem Restaurant, in dem sie gegessen hatten. Sie benahmen sich wie die Teenager. An jeder Ecke blieben sie stehen und knutschten. So etwas war ihm seit Jahren nicht mehr passiert. Im Hotel konnten sie sich gerade so lange zurückhalten, bis sie durch das Foyer hindurch und an dem Portier vorbei waren. Schon im Fahrstuhl hatte Svenja sich derart leidenschaftlich an ihn gepresst, dass er bei der Erinnerung daran selbst heute noch die Furcht vor einer Entdeckung spürte.

      Hier allein in seinem Wagen überlagerte allerdings die Erregung, die die Situation damals in ihm ausgelöst hatte, seine Gefühle. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als schon da zu sein. Selbst die Lust am Autofahren verging ihm. Die Strecke wurde langsam kurvenreicher und an einigen Stellen recht eng. Die Straße wand sich langsam höher hinauf in die Berge. Noch immer war kein anderer Wagen in Sicht, nur die Lichter des Fahrzeugs, das in großem Abstand hinter ihm fuhr.

      Um die Vorfreude noch zu steigern, ließ er die Ereignisse der ersten Nacht weiter vor seinem inneren Auge ablaufen: In seinem Hotelzimmer angekommen, kam er nicht mehr zur Besinnung. Svenja fiel regelrecht über ihn her. Ja, ja, stille Wasser sind tief!

      Bis zu diesem Abend hatte er Nicole, eine junge Frau, mit der er etwa drei Monate liiert war, als sein heißestes Erlebnis angesehen. Dass diese drei Monate in sexueller Hinsicht zu toppen wären, hatte er nicht gedacht. Er hatte sich geirrt, so wie er sich in Svenja von Anfang an geirrt hatte.

      Sicher, Nicole hatte vielleicht einfallsreicher und tabuloser als Svenja agiert, aber da war etwas anderes. Etwas, das er bisher noch bei keiner seiner vielen Bekanntschaften und kurzzeitigen Freundschaften gespürt hatte. Etwas, dass seine eigene Leidenschaft in ungewohnte Höhen steigerte.

      Auch wenn er es sich nur ungern zugeben mochte, jetzt hatte es ihn doch erwischt. Er hatte sich verliebt. Svenja sah nicht hübscher aus als seine bisherige Freundinnen. An ihrem ersten Abend hatte sie keine besonderen Verrenkungen oder ungewöhnlichen Praktiken angewendet. Nein, die Erinnerung an diesen Abend hatte sich als so einzigartig in ihm festgesetzt, weil es sich um eine so einzigartige Frau handelte. Ja, weil er so einzigartige Gefühle zu ihr empfand.

      Eine Wärme strahlte vom Mittelpunkt seiner Brust aus und flutete seinen ganzen Oberkörper. Er musste jetzt etwas vorsichtiger fahren, die Straße wurde sehr kurvenreich. Der Wagen hinter ihm hatte zwar aufgeholt, hielt aber genug Abstand. Gut so! Er hasste Einheimische, die meinten, sie müssten auf solchen Straßen riskant überholen. Er schlich schließlich nicht. Die Kurven schneller zu nehmen als er, wäre reiner Wahnsinn.

      Ja, träumte er weiter, das Schönste war, er konnte mit Svenja sogar über Dinge reden, über die er noch nie mit einer Frau geredet hatte, seine Arbeit zum Beispiel. Heute Abend würde er ihr erzählen, was er entdeckt hatte. Er würde ihr das Geheimnis dieses kleinen Sticks, der in seiner Jacketttasche steckte, und des zweiten, den sie in ein paar Tagen per Post bekommen würde, erklären. Er wusste, es klang schon fast paranoid, aber von dem Inhalt dieses kleinen Datenträgers hing nicht nur seine berufliche Zukunft ab. Bei diesem Stick handelte es sich um den Schlüssel zu einer gemeinsamen Zukunft. Er würde ihm alle möglichen Türen öffnen und dann stellte es auch kein Problem mehr dar, Svenja nach Bonn oder wohin er von dort auch immer gehen wollte, zu holen. Nicht dass sie seine Protektion tatsächlich brauchte, sie war wirklich gut in ihrem Job, aber seine neue Rolle würde es auch ihr erleichtern, die notwendigen Türen zu öffnen.

      Vielleicht wies sie sogar mehr Kompetenz auf als er, zumindest auf technischer Ebene. Diesen Teil hatte Frank für ihn übernommen. Fachlich hatte sein Kollege sicher mehr geleistet als er selbst, aber eine so große Sache wollte auch verkauft werden. Er meinte das nicht im ökonomischen Sinne, er verhielt sich schließlich seinem Arbeitgeber gegenüber loyal. Und auch wenn man so einiges am deutschen Staat kritisieren konnte, wüsste er nicht, mit welchem anderen er tauschen wollte.

      Nein, es war gut, dass diese Sache nicht nur sein persönliches Fortkommen, sondern auch der Gemeinschaft nutzte. Bei dieser Formulierung handelte es sich schon um eine ziemliche Untertreibung. Wenn die deutsche Bevölkerung erst einmal wusste, in welcher Gefahr sie sich befand, wenn man es erst geschafft hatte, den Leuten das Problem zu verdeutlichen, dann würde die Hölle losbrechen. Das stand fest, jedenfalls für ihn.

      Heute Abend würde er das alles Svenja erzählen. Er freute sich schon auf ihre kugelrunden Augen, die sie mit Sicherheit bekam, wenn er ihr erklärte, was er tatsächlich herausgefunden hatte. Bisher hatte er ihr die Sache gegenüber nur vage angedeutet. Sie ahnte zwar schon die Richtung, in die seine Entdeckung – oder besser, die von Frank und ihm – ging, aber das Ausmaß der Geschichte kannte sie noch nicht.

      Er