beeinträchtigt, konnte Hauptkommissar Elsterhorst mit seinem Hinweis auf Ermittlungen in einem Mordfall sowie einer lebensbedrohlichen Körperverletzung ersticken.
„Es geht hier nicht um Bagatellen, meine Damen. Es geht um Mord an einer illegal beschäftigten Ausländerin und um Frau Dr. Angela Berghoff, die mit lebensgefährlichen, schwersten Verletzungen auf der Intensivstation liegt, verübt von Führungskräften des Instituts!“
Ein Raunen erfüllte den hohen, pseudogotischen Raum. Ein Stimmengewirr erhob sich:
„Was haben wir damit zu tun?“ „Davon wissen wir überhaupt nichts!“ „Undenkbar - das muss ein Irrtum sein!“ „Wer hat Ihnen denn solche Bären aufgebunden?“ „Das sind wieder so typisch männliche Gewaltphantasien! Durch nichts bewiesen!“ „Das kann doch nur dieser Hugo gewesen sein!“ „Wer nicht hören will, muss fühlen!“
Noch mal setzte Elsterhorst zu einer energischen Zurechtweisung an:
„Sollten Sie, meine Damen, nicht kooperieren, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die uns vorliegenden Informationen bereits ausreichen, um das Institut und das Haus sofort zu schließen. Für diesen Fall kümmern Sie sich schon mal um ein Notquartier. Vom Ergebnis der Einzelvernehmungen wird abhängen, ob und inwieweit es zu einer Übergangslösung kommt. Das Institut ist nach der offensichtlichen Flucht des gesamten Vorstands führungslos und in Auflösung begriffen.“
Die Einzelvernehmungen trugen allerdings nicht zur Aufhellung der mutmaßlich kriminellen Ereignisse bei. Das Prinzip „Nichts Böses sehen, nichts Böses hören, nichts Böses sagen“ bestimmte den Grundtenor aller Äußerungen. Einigen der Vernommenen diente das Haus als Frauenhaus. Sie zahlten eine relativ hohe Miete im Verhältnis zum meist dürftigen Wohnkomfort, die von den Sozialbehörden überwiesen wurde. Sie mussten dafür allfällige Arbeiten verrichten, im Haus, in der Küche, in der Wäscherei und Reinigungsarbeiten im Sanatoriums-Trakt. Andere waren halbtags irgendwo draußen tätig.
Fazit: Alle wussten von rein gar nichts. Niemand hatte angeblich in der Fluchtnacht irgendetwas gehört oder bemerkt. Was ziemlich unglaubhaft wirkte; denn wie kann eine Flucht mit derartig logistischem Aufwand, Computer- und Aktenmitnahme, dazu sicherlich auch ein Riesengepäck persönlicher Habe in vier oder maximal fünf nächtlichen Stunden leise arrangiert werden? Waren denn tatsächlich alle Hausbewohnerinnen bereits um 22 Uhr in ihren Zimmern? Saßen nicht welche im Gemeinschaftsraum, wo der Breitband-Bildschirm und das Fernsehprogramm lockten? Wurden die Chefinnen von Mitwisserinnen gedeckt?
Es gab ja einige, die überzeugt waren, es handle sich gar nicht um eine selbstinszenierte Flucht, sondern um das Werk von rachsüchtigen Männern, und die Damen, sämtlich ausgewiesene Persönlichkeiten, würden jetzt in irgendwelchen Verliesen missbraucht. Nie und nimmer würden diese über jeden Zweifel erhabenen Frauen ihr Institut freiwillig im Stich lassen. Vielleicht stecke ja hinter allem dieser unheimliche Hugo. Das bewiese ja schon, dass er bisher nicht aufgetaucht sei.
Ehe der Schlüsseldienst die erstaunlich luxuriös eingerichteten Apartments der Vorstandsdamen geöffnet hatte, wurde sogar die Hoffnung geäußert, die Frauen seien ja gar nicht weg, sondern lägen nur mit K.O.-Tropfen betäubt in ihren Betten, und die Ganoven hätten dann den von Hugo mit langer Hand vorbereiteten Raubzug in aller Ruhe durchführen können. In den Apartments aber lagen keine betäubten Frauen. Vielmehr war auch hier alles Wertvolle verschwunden. Bei Frau Dr. Frost-Breitbusch fand man in ihrem Nachttisch eine Europakarte mit rot markierten Routen in die Schweiz und nach Dänemark.
Frau Peters wusste, dass ihre Chefin einen Bruder in Australien und eine Schwester in Dänemark habe. Mit beiden habe sie regelmäßig über Skype telefoniert. So verstärkte sich der Verdacht, die Flüchtigen seien entweder nach Zürich unterwegs, um von dort nach Australien zu fliegen, oder nach Dänemark, wo es ohnehin ein dichtes Netzwerk von Feministinnen gäbe. Überhaupt seien sie ja alle leidenschaftliche Netzwerkerinnen. Jedes Mitglied dieser Community könne flächendeckend im ganzen Bundesgebiet bei Gleichgesinnten Gastfreundschaft genießen und Unterschlupf finden.
Allmählich kehrte so etwas wie angespannte Ruhe ein. Der von Frau Möbius installierte Schwesternrat wollte lieber auf das natürliche Prinzip ‚Selbstorganisation’ vertrauen. Frauen seien darin ohnehin geübter als Männer, die stets eine Hierarchie bräuchten. Frauen aber kämen gut ohne ein Oben und Unten aus. Statt im Netz wurde mobil telefoniert.
Die Büros und die Apartments der Leitungskräfte wurden ebenso versiegelt wie die Kellerräume. Aus Freiwilligen wurde ein Team von fünf Polizisten und Polizistinnen gebildet, die als Wache bis zum nächsten Tag zurückbleiben sollten. Ihnen wurden Zimmer im Sanatoriums-Trakt zur Verfügung gestellt, wo sie sich abwechselnd ausruhen konnten.
Der VW-Bus mit dem inzwischen ermittelten Kennzeichen war bisher nirgendwo gesichtet worden. Der Vorsprung der Damen war jedoch inzwischen so groß, dass sie auch mit der alten Rostlaube - wie man so sagt - über alle Berge sein könnten.
Frau Möbius würde sich in den kommenden Tagen durch mehrere CD arbeiten müssen, auf denen alle noch abrufbaren Mailbox-Nachrichten und Dialoge gespeichert worden waren. War das juristisch korrekt? Die Rechtsabteilung sagte Nein. Und konfiszierte erst einmal die Datenträger. Zudem wurde der Zugriff auf alle IT-Nummern und Passwörter, über die man auch vom Büro aus den Datenverkehr hätte kontrollieren können, bis zu einer richterlichen Entscheidung blockiert. Irgendwann wären sie dann veraltet; jedenfalls für die Spurensuche der Flüchtigen wertlos.
5. Die Vernehmung der Dr. Winfriede Lepper
Hauptkommissar Velmond hatte sich nicht danach gedrängt. Es wäre ihm lieber gewesen, sein Kollege Elsterhorst hätte diese Aufgabe übernommen, zumal er der Einzige war, der das nächtliche Gespräch der Vorstandsfrauen in der Halle nach dem Abtransport der Frau Dr. Berghoff mit angehört hatte. Aber Velmond war es letztlich, der ihre Überführung in Untersuchungshaft angeordnet hatte. Hier galt es nun schnell zu entscheiden, ob die Gründe für eine weitere Haft ausreichend erscheinen würden.
Dass Frau Dr. Lepper eine Anwältin zu Hilfe rufen würde, war in Ordnung und zu erwarten. Frau RA Renate Hammer ließ in ihrer äußeren Erscheinung keinen Zweifel daran, dass sie ihrem Namen alle Ehre erweisen würde. Sie war wohl etwa gleichaltrig mit Frau Dr. Lepper. Frau Möbius hatte bereits die Personalien geklärt, Geburtsdatum 2.2.1960. Pharmazeutin. Beruf: Laborleiterin im Elysium-Institut für Phytologie und Naturmedizin.
Velmond: „Frau Dr. Lepper, Sie werden beschuldigt, Frau Dr. Angela Berghoff im Keller des Instituts niedergeschlagen, lebensgefährlich verletzt und mehrere Stunden bewusst hilflos liegengelassen zu haben. Ferner stehen Sie unter Verdacht, Pharmazeutika ohne Genehmigung hergestellt und in Verkehr gebracht zu haben sowie an Patienten getestet zu haben. In einem Fall besteht der Verdacht auf tödlichen Ausgang. Was haben Sie zu diesen Anschuldigungen zu sagen?“
RA Hammer: „Meine Mandantin muss sich zu allen diesen Vorwürfen überhaupt nicht äußern, da sie sich selbst im Vorgriff auf ein späteren Gerichtsverfahren belasten könnte!“
Velmond: „Das ist sicher ihr Recht. Vielleicht will sie sich dennoch zu den Vorwürfen äußern?“
Dr. Lepper: „Was würden Sie denn tun, wenn sich eine verdächtige Person widerrechtlich Zutritt zu Räumen verschafft, bei denen der Zutritt deutlich lesbar untersagt ist? Was würden Sie denn tun, wenn diese Person Datendiebstahl betreibt und von meinem eigenen Computer Rezepturen und Protokolle runter lädt, um sie vermutlich gegen das Institut und meine Person zu verwenden? Ich gebe zu, es kam zu einer Rangelei auf der Treppe. Ich entriss ihr die Diskette, sie stürzte unglücklich und zog sich die beschriebenen Verletzungen dabei selbst zu! Die Pharmazeutika, die Sie erwähnen, sind und waren keine zulassungspflichtigen. Es waren ausschließlich Placebos, bestehend aus Traubenzucker und Stärkemehl. Placebos sind die wirkungsvollsten Naturpräparate. Sie bestehen aus Naturprodukten und regen durch psychologische Aktivierungen erwiesenermaßen im Organismus der Patienten die Selbstheilungskräfte an. Ohne schädliche Nebenwirkungen“
Velmond: „Wie kommt es, dass an den Spitzen Ihrer Schuhe Hautfetzen aus der Stirnpartie der Frau