Karl Olsberg

Das Dorf Band 15: Der rätselhafte Fall


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da war ich schon, da ist es gar nicht so schlimm. Und außerdem wohnt da mein Freund Pixel!“

      Primo zieht eine Augenbraue hoch. Der Junge hat sich irgendwann diese Fantasiegeschichte ausgedacht, wie er angeblich zusammen mit Kolles Tochter Maffi einen Zombie-Pigman aus der Oberwelt zurück in den Nether begleitet hat, und hält seitdem ziemlich hartnäckig daran fest. Er möchte eben auch ein echter Abenteurer sein wie sein Vater.

      „Birta hat recht“, sagt Golina. „Man darf das Heilige Buch nicht mit abfälligen Bemerkungen herabwürdigen. Entschuldige dich gefälligst, Nano!“ Sie wirft ihrem Sohn einen strengen Blick zu.

      „Na gut, wenn es unbedingt sein muss“, grummelt Nano. „Entschuldigung, dass ich ‚blödes Buch‘ zu dem langweiligen Buch gesagt habe.“

      Birta blickt ihn wütend an, doch Magolus sagt großmütig: „Möge Notch dir deinen Frevel verzeihen. Und jetzt lasst uns das blö..., äh, Heilige Buch suchen.“

      Gemeinsam durchsuchen sie die Kirche, doch die ist nicht besonders groß, und es gibt kaum Versteckmöglichkeiten. In der Truhe, in der Magolus seine Sachen aufbewahrt, ist das Buch nicht, ebenso wenig im Zwischengeschoss des Kirchturms und auch nicht auf dem Dach des Turms, von dem aus man einen guten Überblick über das Dorf hat.

      Inzwischen hat sich eine kleine Gruppe von Dorfbewohnern vor der Kirche versammelt.

      „Was machst du da auf dem Kirchturm, Primo?“, ruft Olum, der Fischer.

      „Ich suche das Heilige Buch. Hat es einer von euch gesehen?“

      „Was soll ich denn mit einem Heiligen Buch?“, fragt der Fischer.

      „Es lesen“, meint Hakun, der Fleischer. „Dann bist du vielleicht anschließend nicht mehr ganz so dumm.“

      „Wer ist hier dumm?“, ruft Olum empört.

      „Immer der, der fragt.“

      „Ich verpass dir gleich eins mit der Angel!“

      Die beiden Streithähne werden von Paul unterbrochen, der in diesem Moment schon wieder laut kläffend hinter einem Huhn herjagt.

      Magolus erscheint neben Primo auf der Turmspitze.

      „Liebe Untertanen, äh, ich meine, liebe Gemeindemitglieder“, ruft er den Versammelten zu. „Wer auch immer von euch das Heilige Buch genommen hat, möge es sofort herausgeben! Wisset, dass es eine schwere Sünde ist, das Wort Notchs zu stehlen!“

      Die Dorfbewohner sehen sich ratlos an.

      „Vielleicht ist es ja in der Bibliothek“, meint Jarga, die Schäferin. „Nimrod ist doch manchmal etwas zerstreut, womöglich hat er es aus Versehen irgendwo in seine Regale geräumt.“

      „Könnte sein, dass Jarga recht hat“, meint Magolus. „Lasst uns in der Bibliothek suchen!“

      Primo rollt mit den Augen. In Nimrods Bibliothek herrscht ein solches Durcheinander, dass es Wochen dauern kann, ein bestimmtes Buch zu finden. Doch er muss zugeben, dass es der wahrscheinlichste Ort ist.

      Kurz darauf drängt sich das halbe Dorf in der nicht besonders geräumigen Bibliothek, die gleichzeitig das Zuhause von Kolle, Margi, ihrer Tochter Maffi, Kolles Eltern Nimrod und Delfina sowie des alten Lausius ist. Primo hat sich schon häufiger gefragt, wie sie das aushalten, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen – in der etwas kleineren Schmiede erscheint es ihm schon zu dritt oft zu eng.

      „Bringt mir bloß nichts durcheinander!“, mahnt Nimrod, als die Dorfbewohner Bücher aus den Regalen zerren und sie wieder zurückstellen.

      „Was ist denn hier schon wieder los?“, fragt der alte Lausius, der in einer Ecke sitzt und unverständliche Symbole auf ein Blatt Papier kritzelt.

      „Wir suchen das Heilige Buch“, erklärt Primo.

      „Und warum sucht ihr es ausgerechnet hier?“

      „Weil hier nun mal viele Bücher sind.“

      „Aber hat nicht Magolus das Heilige Buch immer bei sich oder in der Kiste in der Kirche?“

      „Normalerweise schon. Aber es ist verschwunden.“

      Der Alte kratzt sich am Kopf. „Verschwunden? Das Heilige Buch? Das ist merkwürdig. Sehr merkwürdig.“

      Primo runzelt die Stirn. „Warum findest du das so merkwürdig?“

      „Na, Bücher verschwinden doch nicht einfach so von selbst.“

      „Das stimmt.“

      „Also muss es jemand genommen haben.“

      „Ja, aber wer?“

      „Das ist es ja gerade, was merkwürdig ist: Die Einzigen, die sich in diesem Dorf für Bücher interessieren, sind Nimrod und ich, und vielleicht noch Margi und Birta. Aber Nimrod hat schon mehr als genug Bücher, Margi würde niemals ein Buch nehmen, ohne vorher den Besitzer zu fragen, und Birta ist doch sowieso jeden Tag in der Kirche, wo sie im Heiligen Buch lesen kann, so oft sie will.“

      „Und du? Was ist mit dir?“, fragt Primo.

      „Ich? Ich lese doch nicht solchen langweiligen Kram! Mich interessieren nur spannende Bücher mit vielen Zahlen und Formeln und komplizierten Diagrammen, so wie das hier.“ Er deutet auf ein Buch neben sich mit dem Titel Allgemeine Relativitätstheorie von einem gewissen Albert Einstein. „Echt total interessant. Kann ich dir gerne mal leihen.“

      „Äh, danke, aber ich glaube, das kenne ich schon.“

      Auf einmal öffnet sich die Tür, und Birta kommt herein, das Heilige Buch in der Hand.

      „Ich hab es!“, ruft sie außer Atem. „Ich habe das Heilige Buch gefunden!“

      Alle drehen sich nach ihr um.

      „Wo war es denn?“, fragt Magolus.

      Birta zeigt mit dem Buch anklagend auf Nano.

      „Der Junge hatte es! Genau, wie ich es mir gedacht habe!“

      „Stimmt ja gar nicht!“, widerspricht Nano.

      „Stimmt ja wohl! Ich war gerade in Primos Haus und hab noch mal alles durchsucht, und da hab ich es gefunden, in einer Kiste mit Nanos Spielsachen!“

      „Was fällt dir ein, einfach so in unser Haus zu gehen und alles zu durchsuchen?“, fragt Golina scharf.

      „Mir blieb ja nichts anderes übrig!“, verteidigt sich Birta. „Ihr streitet doch immer alles ab, wenn euer Sohn Unsinn macht!“

      „Das stimmt überhaupt nicht!“, ruft Nano. „Ich habe das Buch nicht genommen! Ehrlich!“

      Primo blickt seinen Sohn ernst an. „Hör mir zu, Nano! Es ist schlimm genug, das Heilige Buch zu nehmen und zu verstecken. Aber es ist noch viel schlimmer, es nicht zuzugeben und stattdessen zu behaupten, dass eine Erwachsene lügt. Also frage ich dich jetzt noch einmal: Hast du das Buch genommen?“

      „Nein! Ich schwöre es!“

      „Ach ja?“, ruft Birta triumphierend. „Und wie kommt es dann in deine Kiste?“

      „Woher wissen wir denn eigentlich, dass das Buch wirklich in der Kiste war?“, fragt Golina. „Vielleicht hast du es die ganze Zeit gehabt, Birta, und willst nur meinem Sohn die Schuld in die Schuhe schieben!“

      Birta wird erst blass, dann rot vor Wut. „Was? Du wagst es, mir so etwas zu unterstellen? Ich hätte das Heilige Buch an mich genommen, ohne seiner Heiligkeit, dem Obersten Hohepriester von Allen, etwas davon zu sagen? Und dann soll ich auch noch lügen?“

      „Hast du denn einen Beweis dafür, dass du das Buch in unserem Haus gefunden hast?“

      Birta blickt sich um. „Ihr ... ihr denkt doch wohl nicht, dass ich lüge, oder?“

      Gemurmel erhebt sich. Birta ist bei den anderen Dorfbewohnern