Thorsten Reichert

Status Quo


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Gegenteil, ich bitte darum!“

      Aller Augen richteten sich auf Streitmeier. Der hob beschwichtigend die Hand.

      „Keine allzu großen Erwartungen, ich fürchte, die neue Story ist auch nicht wirklich eine Story.“

      Einige Kollegen konnten sich ein erneutes Schmunzeln nicht verkneifen. Grit Junkermann gab einen Laut von sich, der zwischen Entrüstung und Resignation schwankte.

      „Tut mir leid, Grit, aber vielleicht kannst du da am Ende wirklich was rausquetschen. Wir brauchen jemanden, der sich mit dem BKA anlegt.“

      Erneutes Lachen, einer nuschelte „Bingo!“ Seine Kollegin nahm es eher als Kompliment denn als Beleidigung. Es war bekannt, dass sie zwar selten eine gute Story hervor brachte, aber dass sie ziemlich hartnäckig sein konnte, wenn sie einer Sache oder überhaupt jemandem auf der Spur war. Ihr Interesse war geweckt.

      „BKA?“

      Streitmeier lächelte sie mit einem breiten Grinsen an.

      „Jepp, Bundeskriminalamt Wiesbaden. Die Schlaumeier von der NSA haben nämlich ihre groß propagierte und angekündigte, ach so freundschaftliche Einsicht in ihre Abhördaten nicht etwa über Wikileaks organisiert, sondern die Akten exklusiv an das BKA geschickt. Kein öffentlicher Zugriff. Nicht jetzt und nicht in Zukunft geplant.“

      „Und wo ist die Story?“

      Grit ahnte, dass sie beim BKA ebenso auf Granit beißen würde wie im Fall Barschel.

      „Die Story darfst Du selbst machen. Finde was raus, klage sie an, schreib einen Protestartikel, in dem du forderst, dass alle die Daten einsehen dürfen – oder was auch immer. Mach einfach ne Story draus.“

      Grit nickte zufrieden. Keine Vorgaben, keine Handlungsanweisungen. So gefiel ihr die Arbeit als Journalistin. Niemand erhoffte sich viel von der Sache, also war die Erwartungshaltung minimal – irgendwas brachte sie am Ende immer zustande, und wenn es nur der Zorn derer war, über die sie schrieb.

      „Wann geht’s los?“

      Streitmeier nickte zufrieden und wies mit einer Geste Richtung Tür.

      „Am besten gestern!“

      Grit sprang auf und verließ gut gelaunt den Raum. Die nicht gerade heiß ersehnte Redaktionssitzung am Montagmorgen war erstaunlich angenehm verlaufen, sie hatte einen neuen Fall und konnte mal wieder so richtig im Dreck wühlen. Die Woche ging gut los...

       Fehmarnwinkel, Kiel, Montag 10.10 Uhr

      „Denkst du dran, dass deine Tochter am Wochenende ihr Turnier hat?“

      Mareike Johannsen sprach die Worte abwesend, während sie die Spülmaschine ausräumte. Ihr Mann, Martin Johannsen, Mitte vierzig und leitender Angestellter beim Landeskriminalamt in Kiel, versuchte gerade, sich ohne Spiegel seine Krawatte zu binden. Er war genervt, weil ihre Tochter Julia beim Frühstück wie so oft in letzter Zeit nur gemeckert und geflucht hatte. Ihr Bruder Jürgen hatte wie üblich das Weite gesucht und würde sein Frühstück wohl auf dem Fahrrad zu sich nehmen, während er freihändig zum Gymnasium radelte. Er hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Kindern, aber seine Kinder nicht immer zu ihm. Aber er liebte sie über alles, und gerade deshalb nervte es ihn, wenn sie seine bedingungslose Liebe nicht wertzuschätzen wussten. Außerdem wollte der doppelte Windsor heute irgendwie nicht klappen.

      „Hast du gehört, was ich gesagt habe?“

      Seine Frau trat zu ihm und half ihm mit dem Krawattenknoten. Mit zwei Handgriffen hatte sie den Schlips in eine vollendete Form gebracht.

      „Sie ist auch deine Tochter, falls du dich erinnern solltest.“

      Sie warf ihm einen sarkastischen Blick zu.

      „Unsere Tochter, Herr Schlauberger, hat am Samstag Reitturnier.“

      Er ignorierte ihre Spitze und versuchte sich daran zu erinnern, wann sie ihm von dem Turnier erzählt hatte. Julia hatte zu ihrem zehnten Geburtstag eine Reitbeteiligung geschenkt bekommen und hatte in den vergangenen eineinhalb Jahren so gute Fortschritte gemacht, dass sie ihr erlaubten, bei kleinen Turnieren teilzunehmen. Auf diese Weise konnte ihr heißblütiges Gemüt – das sie zweifelsohne von ihrer Mutter geerbt hatte – wenigstens ein wenig beruhigt werden.

      „Ich weiß, Schatz, ich werde mir Samstag auf jeden Fall freihalten, damit wir gemeinsam dorthin gehen können.

      Sie blickte ihn abschätzend an. Es wäre nicht das erste Mal, dass er ein solches Versprechen nicht würde halten können, daher gab er es auch lieber seiner Frau und nicht Julia. Wenn irgend etwas dazwischen kommen sollte, dann wäre sie untröstlich.

      „Ich muss los, bist du hier, wenn ich zurück komme?“

      „Kommt drauf an, ich habe um halb fünf einen Arzttermin“, antwortete sie, während sie zeitgleich eine Einkaufsliste schrieb. Ihre Multitasking-Fähigkeiten erstaunten ihn immer wieder. Er war schon froh, wenn er während der Autofahrt das Navi programmieren konnte, ohne einen Unfall zu bauen.

      „Ich versuche um vier wieder hier zu sein. Kann aber sein, dass es später wird, wir kriegen heute wohl die Daten vom BKA rein.“

      Er hatte ein mulmiges Gefühl wegen der BKA-Sache. Die Abhördokumente waren seit Monaten in allen Medien, jetzt also sollten sie einen Einblick in die Unmengen an Daten und Dokumenten erhalten. Niemand wusste bislang, was da drin stand oder welchen Umfang die Daten haben würden, aber es sollte sich um den Zeitraum der letzten fünfzig Jahre handeln, man konnte sich vorstellen, dass das mehr als ein paar Aktenordner waren. Und überhaupt, was sollten sie eigentlich mit diesen Daten anfangen? Das LKA war eine Strafverfolgungsbehörde, weder ein journalistisches Medium noch ein Gericht, schon gar kein Nachrichtendienst. Sie waren nicht für die Aufarbeitung ausländischer Bespitzelung zuständig, nicht im juristischen Sinne noch im Interesse der Öffentlichkeit.

      „Versuch es einfach, ok?“

      Die Stimme seiner Frau klang resigniert, er wusste, dass sie sich innerlich bereits darauf eingestellt hatte, dass er vor dem Abendessen nicht zuhause sein würde. Nicht dass dies die Regel wäre, aber er war einfach nicht besonders gut darin, Versprechen zu halten. Vielleicht war es sein Naturell, vielleicht Schicksal, ganz bestimmt aber war es sein Job, der ständig mit unangenehmen Überraschungen aufzuwarten wusste. Immerhin, diesmal würde man ihn nicht auf dem falschen Fuß erwischen. Die NSA-Geschichte war vorprogrammierter Ärger, sowohl mit den Medien als auch in der Sache selbst. Wenn es ihm nicht gelingen würde, diese Sache auf eine andere Abteilung abzuwälzen, dürfte der eingereichte, bevorstehende Urlaub leicht ins Wasser fallen.

      Auf dem Weg zur Arbeit dachte er über den geplanten Urlaub nach. Es war nichts besonderes, die Kinder hatten Ferien und sie wollten gemeinsam ein verlängertes Wochenende oder vielleicht die ganze Woche in ihr Ferienhäuschen an der Ostsee fahren. Es wäre mal wieder an der Zeit, keine Frage.

      Martin Johannsens Wagen führ im Autopilot die vierspurige Umgehungsstraße entlang, während der Fahrer seinen Urlaubsplänen nachsann. Als er sich wieder auf den Verkehr konzentrierte, bog er bereits auf den Parkplatz des großen Klinkergebäudes ein, in welchem das LKA Schleswig-Holstein untergebracht war. Da sage nochmal einer, er wäre nicht multitaskfähig.

       Deutsche Bank Zentrale, Frankfurt am Main, Montag 10.23 Uhr

      „Und schon bin ich drin.“

      Mike Pawelski blickte zufrieden in die Runde. Er hatte sich soeben in das vermeintlich hervorragend geschützte Sicherheitssystem eines der größten Kreditinstitute Europas gehackt und hatte sichtlich Spaß daran. Gleiches ließ sich nicht gerade von dem Dutzend Männern sagen, die ihm in teuren Anzügen gegenüber saßen. In seiner zerrissenen Jeans und dem Che T-Shirt wirkte er komplett deplatziert, und dennoch sahen ihn die Banker an als habe er ihnen gerade die Leviten gelesen. Mithilfe eines Trojaners, den er durch die Hintertür in ihr Sicherheitssystem geschleust hatte, war es ihm gelungen, das System davon zu überzeugen, dass sein externer Zugriff ein ganz normaler Vorgang sei.

      „Das