Clemens Anwander

Des Orakels Richterspruch


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dass er sich jeden Tag erneut auf den Abstecher in den Palastgarten freuen würde, vor allem weil er ein miserabler Gärtner war. Degaar schmunzelte ob der Erinnerung an seine Jugend. Im Rahmen seiner Erziehung hatte er auch etwas über Pflanzen gelernt. Sein damaliger Hauslehrer, ein Gelehrter namens Koulak, hatte ihm verschiedene Exemplare mitgebracht, um die er sich zu kümmern hatte. Degaar erinnerte sich noch bis heute an das, was ihm sein Lehrmeister damals beigebracht hatte: „Was müsst ihr mit euch bringen, um das Königreich wachsen und gedeihen zu lassen? Ihr benötigt Hingabe, Disziplin und ja, auch die nötigen Materialien, denn ohne die, ist selbst der beste Baumeister hilflos. All dies solltet ihr haben, wenn ihr bei diesen Gewächsen erfolgreich sein wollt.“ Nach lediglich zwei Wochen waren alle eingegangen gewesen. Koulak hatte ihm für jede kaputte Blume fünf Schläge auf den Allerwertesten gegeben, doch auch das hatte nichts gebracht. Sein ganzes Leben lang war keine einzige Pflanze, die er unter seiner Obhut hatte, länger als ein paar Wochen am Leben geblieben. Was auch der Grund war, warum er für die Pflege seines Gartens etliche gut ausgebildete Gärtner hatte. Allerdings war sich Degaar sicher, dass der alte Mann heute stolz auf ihn wäre, wenn er sähe, wie gut es seinem Land derzeit ging. Dieses hatte er als König zum Wachsen gebracht, und aus diesem Blickwinkel heraus betrachtete Degaar mittlerweile auch seine Versuche mit der Botanik als Erfolg. Langsam begann der König wieder in Richtung Palast zu gehen. Sein Tag war noch längst nicht vorbei. Heute stand noch ein Kolloquium mit seinen Fürsten am Plan. Dieses fand einmal im Tertial statt, und es war das wichtigste Treffen der Fürsten Sekoyas. Dort wurde über außenpolitische Themen, wie internationalen Handel oder gar Krieg gesprochen, aber auch innenpolitische Themen wie Wirtschaft, Rechtsprechung und Ähnliches wurden behandelt. Degaar wusste zwar, dass das Kolloquium auch heute noch einen wichtigen Stellenwert einnahm, doch er war einfach nicht mehr zu vergleichen mit dem, den er bei seinem Großvater gehabt hatte. Damals, als die Koalition noch brandneu gewesen war, waren alle Fürsten erpicht darauf gewesen, nicht auch nur einen Funken ihrer Macht einzubüßen. Es war um jedes Thema gefeilscht worden, die schwächeren Fürsten hatten sich gegenüber den Häusern Tchiyo, Silberstein und Roth benachteiligt gefühlt und daher andauernd mit Krieg gedroht, den zwar niemand gewollt, der aber trotzdem immer in der Luft gehangen hatte. Heutzutage nutzten die Adeligen das Zusammentreffen hingegen meist nur noch um miteinander zu scherzen, die Tänzerinnen anzustarren und sich auf Staatskosten den Wanst mit allerlei Köstlichkeiten vollzuschlagen. Und nicht zuletzt um den königlichen Weinkeller gehörig zu plündern. Der Herrscher schüttelte den Kopf. Was war nur aus diesen früher so immens wichtigen Treffen geworden? Allerdings war es ihm, wenn er so recht darüber nachdachte, auf diese Weise um vieles lieber. Und die freundschaftlichen Beziehungen untereinander halfen, größere Dispute schnell und friedlich zu lösen. Degaar betrat den Palast, um seine Fürsten und Freunde zu begrüßen.

      Jagdfieber

      Jarihm wusste genau, was er wollte. Oder besser gesagt wen. Sie saß drei Tische weiter und nippte an dem Brandwein, den sie schon vor über einer Stunde bestellt hatte, und der sich immer noch nicht seinem Ende näherte. Sie wirkte wie ein Fremdkörper in dieser, für ihn so vertrauten Umgebung. Zwischen den immer selben, traurig dreinblickenden Gesellen, die ein Getränk nach dem anderen bestellend, an der Bar saßen und den fröhlich tratschenden Gruppen von Jugendlichen an den Tischen stach sie hervor wie der Nordstern in einer klaren Mondscheinnacht. Doch Jarihm war sie sogar schon in der kleinen Seitengasse etwas abseits des Gasthofs aufgefallen, und das, obwohl sie, wohl behütet vor neugierigen Blicken, sichtlich darauf bedacht gewesen war, dass ihre Unterhaltung, mit den zwei sich im Schatten haltenden Gestalten, unbeobachtet blieb. Doch wenn eine neue Schönheit sein Jagdrevier betrat, dann entging dies Jarihm nicht, ganz egal wie sehr sie sich auch bedeckt halten mochte. Mit wem sie dabei welche Geschäfte machte, interessierte ihn außerdem nicht im Geringsten. Entscheidend war nur, dass er sie haben wollte. Und er würde sie haben! Dessen war er sich sicher. Er wusste nur noch nicht genau, wie er es anstellen sollte… Bereits drei andere Männer hatten ihr Glück versucht und hatten sich der schönen Blonden genähert. Doch jedes Mal das gleiche Schauspiel: Sie gingen zu ihrem Tisch, die Frau blickte sie an, musterte sie mit ihren tiefblauen, funkelnden Augen und erwiderte auf die Avancen nur mit einem abweisenden Lächeln. Zwei der drei Männer waren enttäuscht wieder von Dannen gezogen. Bei einem der beiden meinte Jarihm sogar eine Träne gesehen zu haben. Der Dritte, ein Berg von einem Mann, hatte sich aber, allein durch ihre Worte, noch nicht geschlagen gegeben und hatte versucht, sich an ihrem Tisch niederzulassen. Als sie ihm das offensichtlich nicht gestatten wollte, hatte er versucht, seine Hand auf ihren linken, wohlgeformten Schenkel zu legen, während er ihr etwas ins Ohr geflüstert hatte. Was genau, das hatte Jarihm nicht verstehen können, allerdings war es ein großer Fehler gewesen. Denn, wie sich gezeigt hatte, konnte die Schöne in ihrem blauen Kleid hart austeilen. Sie hatte seine Hand gepackt und sie ihm dermaßen verdreht, dass er kurzzeitig einen Laut von sich gab, der wie das Jaulen eines brünftigen Blindarbiestes klang. Daraufhin hatte er mit seiner freien Hand eine Faust geballt, um sie ihr mit donnernder Wucht in den Magen zu rammen, doch in einer einzigen flüssigen Bewegung war sie seinem Angriff ausgewichen, indem sie aufgesprungen und einen kleinen Schritt zur Seite gemacht hatte. Den eben an ihr vorbeisausenden Arm hatte sie gepackt, eng an ihren Körper gepresst und ruckartig in eine unnatürlich aussehende Richtung gerissen. Durch das ganze Lokal hatte man es schnalzen und den anschließenden Schmerzensschrei des Hünen gehört. Jarihm war sich sicher, dass auch die Gäste, die in den oberen Stockwerken des Gastbetriebes nächtigten, davon wach geworden waren. Der Koloss war von einem seiner Gefährten gestützt, zum nächsten Heiler gebracht worden, während sich die anmutige Fremde gemütlich wieder niedergelassen hatte, um, ohne einen einzigen Tropfen Schweiß auf der Stirn, wieder seelenruhig an ihrem Getränk zu nippen. Seit diesem Zwischenfall hatte sich verständlicherweise niemand mehr getraut, sich der Dame zu nähern, und auch die Kellerinnen und der Barmann hatten respektvoll Abstand gehalten. Doch Jarihm war dank dieses Zwischenfalls nur noch mehr an der Frau interessiert. Nicht weil er Brutalität mochte, sondern weil sie anders war als die jungen, naiven Mädchen, an die er sich normalerweise ranmachte, und die nach ein paar einfachen Komplimenten schon bereit waren, das Bett mit ihm zu teilen. Er hatte schon viel zu lange keine Herausforderung mehr gehabt, und heute war diese unnahbare Schönheit seine Aufgabe. Ihr Äußeres hatte er sich inzwischen schon so gut wie nur irgendwie möglich eingeprägt, schließlich konnte er sie ja nicht die ganze Zeit anstarren, vor allem dann nicht, wenn er bedachte, dass sie ihn vorhin bereits dabei ertappt hatte. Gekleidet war sie in ein körperbetontes, um die Taille geschnürtes, sattelbraunen Obergewand, welches er aber nur deshalb erkennen konnte, weil es unter einem schlichten, azurblauen Kleid ein wenig hervorlugte, welches lediglich durch zwei dünne Träger an seinem, ihm vorbestimmten Platz, gehalten wurde. Als Schuhwerk trug sie schmucklose Lederschuhe, die so wirkten, als hätte sie darin schon etliche lange Wanderungen hinter sich gebracht. Doch auch wenn ihre Bekleidung im besten Fall als durchschnittlich beschrieben werden konnte, war ihm klar, warum sie ihn auch optisch so ansprach. Sie hatte ein hinreißendes Gesicht mit einem winzigen Muttermal am Kinn, langes blondes Haar, das sie zu einem Zopf zusammengebunden hatte, wohlgeformte Brüste und ein Hinterteil, bei dem sich Jarihm vorstellen konnte, dass man wesentlich bessere Dinge damit tun konnte, als lediglich darauf zu sitzen. Abgerundet wurde das ganze durch ihre wunderbar langen Beine und Jarihm hatte sich bereits dabei ertappt, wie er diese gedanklich über und über mit Küssen bedeckte. Doch jetzt war nicht die Zeit dazu, vor allem würde es später, wenn er es tatsächlich tun würde, viel mehr Spaß machen. Als erfahrener Schürzenjäger, wobei er sich eingestand, dass er wohl als ein solcher zu bezeichnen war, war er sich bewusst darüber, dass Ungeduld schon so manch eine Beute vertrieben hatte, doch jetzt musste er schnell handeln, denn gerade eben hatte sie in überraschend großen Schlucken ihr Glas geleert, und Jarihm konnte nur vermuten, dass sie demnächst aufbrechen wollte. Er stand auf und stolzierte so anmutig, wie er es nur fertig brachte, zu ihrem Tisch. Sie blickte auf und sah ihn fragend an. Seine Kehle fühlte sich trocken an, was er sich eigentlich nicht erklären konnte, hatte er dieses Phänomen doch nicht mehr verspürt, seit er als unerfahrener Jüngling die ersten paar Male seinen Arrest gebrochen hatte um sich davonzustehlen.

      »Immer wenn ich eine hübsche Frau alleine trinken sehe, verspüre ich den unbändigen Drang, ihr dabei Gesellschaft zu leisten. Wenn ich mich vorstellen darf: Mein Name ist Jasid de Los Cuervos, zu ihren Diensten.«